Bologna-Reform:Weg von der reinen Lehre

Die Bologna-Reform ist abgeschlossen - so will es zumindest Bildungsministerin Schavan sehen. Denn in der Praxis läuft noch lange nicht alles glatt. Weil Bachelor-Studiengänge oft praxisfern sind, sollen Hochschulen nun enger mit der Wirtschaft kooperieren.

Johann Osel

Horden demonstrierender Studenten auf den Straßen, besetzte Hörsäle, die von der Polizei geräumt werden müssen - solche Szenen, wie sie 2009 im "Bildungsstreik" zu beobachten waren, sind vorerst Geschichte. Es ist Ruhe eingekehrt in den Bologna-Prozess, also in der Umstellung auf die Abschlüsse Bachelor und Master.

Per Reform der Reform wurden vielerorts die Angebote überarbeitet, die Prüfungen wurden weniger, die Stundenpläne schlanker. Allerdings mussten es die Studenten erst einklagen, dass man die Inhalte eines Diploms nicht in den kürzeren Bachelor pressen kann.

Den größten Ärger gibt es mittlerweile um die Hürden für die Zulassung zum Master, die Unis müssen auch aus finanziellen Gründen den Zugang quotieren. Der Andrang aber ist ungebrochen, weniger als ein Fünftel aller Uni-Bachelorstudenten nehmen laut Umfragen mit dem Sechs-Semester-Abschluss vorlieb. Sie fühlen sich ohne Master als Schmalspurakademiker; und sie wissen, dass in Fächern wie Architektur oder Chemie eine Karriere alleine mit einem Bachelor-Abschluss kaum möglich ist.

Zwar stellen Studien eine marginale Bachelor-Arbeitslosigkeit fest. Firmenumfragen aber offenbaren Klagen über die Eignung der Absolventen. Tenor: Die seien zu unreif, zu wenig praxistauglich.

Das war nicht im Sinne der Erfinder. Als 1999 Dutzende Bildungsminister den Bologna-Prozess initiierten, wollten sie einerseits die europäische Studienarchitektur vergleichbar machen, anderseits den früheren Einstieg ind en Job etablieren. Darüber werden die Minister der 47 Bologna-Staaten auch auf der internationalen Konferenz im rumänischen Bukarest beraten, die am Donnerstag begonnen hat und an diesem Freitag in einem Abschluss-Communiqué mündet. In dem Text, dessen Entwurf der Süddeutschen Zeitung vorliegt, empfehlen sie, dass die Hochschulen stärker mit Arbeitgebern kooperieren und etwa Hand in Hand an Studiengängen basteln sollen.

So könne der Praxisbezug im Bachelor forciert werden, um "zu den wachsenden Anforderungen von Gesellschaft und Arbeitsmarkt beizutragen". Das Motto: "Employability" - also die Fähigkeit zur Beschäftigung. Zudem wollen die Minister berufliche Erfahrung besser anerkennen und mehr junge Leute ohne Abitur ins Studium bringen. Zwar ist in Deutschland der Anteil beruflich Qualifizierter an den Studenten laut Statistischem Bundesamt von einem halben Prozent im Jahr 2001 auf zuletzt zwei Prozent gestiegen. Doch von der jüngsten Rekordanzahl an Erstsemestern - eine halbe Million - hatten nur ein paar Tauend keine Hochschulreife.

Der Bologna-Prozess ist organisatorisch ein Prozess. Meist im Zwei-Jahres-Rhythmus tagen die Minister - oft gibt es eine Bilanz mit Eigenlob. Vor zwei Jahren wurde offiziell die "Umsetzung des gemeinsamen Hochschulraums" verkündet. Stolz leitete auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), die sich in Bukarest aus terminlichen Gründen vom Staatssekretär vertreten lässt, kürzlich dem Bundestag den Bologna-Bericht zu. Demnach ist die Umstellung auf Master und Bachelor "abgeschlossen", derzeit enden 85 Prozent der gut 15.000 Studiengänge so. Alles außer Medizin, Jura, teils Lehramt sowie einige Widerstandsnester.

Ein Grund zur Freude - wäre da nicht das Problem mit der Akzeptanz des Bachelors. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber schrieb jüngst in einem Strategiepapier: "Nach wie vor verbirgt sich in zu vielen Studiengängen alter Wein in neuen Schläuchen." Der Verband fordert mehr Berufsorientierung und verweist auf den Fachkräftemangel. Es gibt aber schon Kooperationen von Hochschulen und Wirtschaft:

Manche Unis bieten ein "Studium im Praxisverbund" an. Und duale Hochschulen, die meist in Wirtschaftsfächern Studium und betriebliche Ausbildung kombinieren, boomen in einzelnen Ländern. Schavan wünscht sich ein flächendeckendes Netz, jedes Land könnte eine duale Hochschule mit dezentralen Standorten haben. "Das Angebot sollte sich danach richten, welcher Wirtschaftszweig in der Region besonders stark ist."

Doch die weitere Verzahnung von Studium und Praxis könnte schnell aus der Balance geraten: Wenn Firmen konkrete Projekte in die Hochschulen hineintragen, bestehe immer die Gefahr, dass nicht mehr die Grundlagen vorkommen, sondern nur angewandtes Spezialwissen vermittelt werde, sagt Klaus Heimann, Bildungsexperte im Vorstand der IG Metall. "So sollte ein Automobilingenieur etwas von Automobilproduktion an sich verstehen und nicht nur vom Karosseriebau einer speziellen Modellreihe."

Die Hochschulen lösten ihre Verpflichtungen im Bologna-Prozess ein. "Aber sie dürfen sich nicht vereinnahmen lassen, sondern müssen die eingeforderte Berufsfähigkeit auch in der vollen Breite einhalten." Auch könnte die Ökonomisierung Grundsatzkritik wiederbeleben - und am Ende holen gar die Studenten wieder ihre Protestplakate hervor.

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