Bologna-Prozess:Baustelle Bachelor

Weniger Semester, problemlos studieren im Ausland - eigentlich sollte die Bologna-Reform das Studentenleben in Europa erleichtern. Doch nicht alle Erwartungen wurden in der Praxis erfüllt.

Johann Osel

Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik werden die Zukunft Europas entscheiden. Was treibt Spaniens protestierende Jugend an? Wie können Bildungssysteme voneinander lernen? Was wird aus dem Bologna-Prozess? Die Süddeutsche Zeitung widmet diesen Fragen ein Dossier, das in Zusammenarbeit mit El País, The Guardian, Gazeta Wyborcza, La Stampa und Le Monde entstanden ist. Das Dossier finden Sie auf dieser Seite.

Bildungsstreik

Bildungsstreik - In Dutzenden deutschen Universitäten protestierten Studenten 2009 gegen die Bologna-Reform.

(Foto: dpa)

Eigentlich sollte die Bologna-Reform das Studentenleben erleichtern: Wegen der neuen Abschlüsse Bachelor und Master könnten Studenten problemlos zwischen den Universitäten Europas wechseln, versprachen die Reformer. Zudem würden sie schneller einen Abschluss in Händen halten. Doch diese Erwartungen wurden in der Praxis nicht immer erfüllt.

Was ist der Bologna-Prozess?

Die Reform verfolgt zwei Hauptziele: einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum durch vergleichbare Abschlüsse sowie die Orientierung des Studiums an der Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen und damit den früheren Berufseinstieg. Der Bologna-Prozess - 1999 von knapp 30 europäischen Bildungsministern in der italienischen Stadt initiiert und inzwischen von 47 Staaten getragen - sollte bis 2010 den einheitlichen Hochschulraum schaffen. In Deutschland ist die Reform offiziell umgesetzt: Derzeit enden 85 Prozent der gut 15 000 Studiengänge mit den neuen Abschlüssen. Systematisch wurden in den vergangenen Jahren die alten Abschlüsse Magister und Diplom durch den in der Regel sechs Semester dauernden Bachelor ersetzt. An diesen ersten Abschluss, der bereits berufsqualifizierend sein soll, kann ein Masterstudium (meist vier Semester) angehängt werden.

Wie verläuft ein Bachelor-Studium?

Die Bologna-Staaten haben das "European Credit Transfer and Accumulation System" (ECTS) eingeführt, um Leistungen effektiver zu messen und international vergleichbar zu machen. Wurde früher nur die Zeit eines Seminars (Semesterwochenstunden) erfasst, wird mit der neuen Punkte-Währung auch der Aufwand für die Vor- und Nachbereitung gemessen (Workload). Ein Student belegt Module und sammelt zum Beispiel in sechs Semestern so viele ECTS-Punkte wie für den Bachelor nötig. Die einzelnen Module werden benotet und fließen in die Abschlussnote ein. Inhaltlich ist der Bachelor eine bewusste Verknappung eines Fachs - ein Master soll der Spezialisierung dienen.

Wie finden Arbeitgeber den Bachelor eigentlich?

Wogegen protestierten die Studenten?

Bildungsstreik

Bildungsstreik - In Dutzenden deutschen Städten besetzten Studenten im Herbst 2009 aus Protest gegen die Bologna-Reform die Hörsäle ihrer Universitäten. 

(Foto: dpa)

In Dutzenden deutschen Städten sind Studenten im Herbst 2009 gegen die Bologna-Reform auf die Straße gegangen. Im Fokus der Kritik stand die "Verschulung" der akademischen Bildung. Zugleich sei die Arbeits- und Prüfungsbelastung im Bachelor zu hoch. Tatsächlich hatten viele Lehrstühle die Inhalte des alten, längeren Studiums in den Bachelor gepresst. Minister und Rektoren versprachen Verbesserungen. Bologna-Beauftragte wurden eingeführt, vielerorts organisierte man Dialog-Projekte, in denen Studenten und Professoren gemeinsam eine Reform der Reform anstießen. Eine Gratwanderung: Werden Inhalte gestrichen, bestärkt dies Kritiker, die das Reform-Modell für ein Schmalspurstudium halten. Ein ungelöstes Problem ist die Finanzierung. Der Bologna-Gedanke sieht verstärkt Arbeit in kleinen Gruppen vor. Die intensivere Betreuung durch Hochschullehrer kostet Geld. Die Grundsatzkritik an Bologna ist heute nicht verstummt - aber deutlich leiser geworden.

Wie finden Arbeitgeber den Bachelor?

Zwar stellen Studien eine marginale Bachelor-Arbeitslosigkeit fest; Firmenumfragen zeigen aber Klagen über die Eignung der Absolventen. Industriebetriebe trauern bisweilen dem alten Diplom nach, das auf der ganzen Welt für deutsche Ingenieurskunst stand. Ärger gibt es oft wegen Hürden für die Zulassung zum Master. Es gab Fälle, in denen nicht mal gute Bachelor-Noten reichten. Der Andrang aber ist ungebrochen, weniger als ein Fünftel aller deutschen Uni-Bachelor-Studenten nimmt laut Umfragen mit dem ersten Abschluss vorlieb.

Wie steht es um die Mobilität?

Eine weitere Baustelle. Einerseits klagen viele Studenten über Schwierigkeiten, ein oder zwei Semester im Ausland in den Stundenplan zu integrieren. Ein weiteres Problem ist andererseits die fehlende Anerkennung im Ausland erbrachter Leistungen. Auf dem Papier gibt es die Voraussetzungen für Vergleichbarkeit: das ECTS-System. Das Problem liegt aber in den Köpfen vieler Professoren. Nach wie vor gibt es eine Art Standesdünkel, wonach die eigene Studienordnung die einzig wahre ist. Und die Wissenschaft hat Angst um die Qualität.

Wie geht es weiter mit der Reform?

Kritik zielt oft auf die Studienbedingungen ab. Mit mehr Geld für die Hochschulen würde auch die Umsetzung der Bologna-Reform besser gelingen. Dabei ist Deutschland mit einem weitgehend stagnierenden Budget noch gut aufgestellt: In anderen EU-Ländern werden die Ausgaben für akademische Bildung wegen der Euro-Krise drastisch zurückgefahren. Was in Deutschland fehlt, ist der ehrliche Umgang mit den Früchten der Reform. Ein 22-jähriger Akademiker - jahrelang hat die Wirtschaft davon geträumt. Dass ein kürzeres Studium weniger Wissen und Persönlichkeitsbildung ermöglicht, wird vielen erst jetzt schmerzhaft klar.

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