Biologie an der Grundschule:Zum ehrlichen Unterricht gehört auch die Evolution

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Kuckuck und Teichrohrsänger - Kinder fragen im Untericht von selbst, wieso Vögel verschiedene Schnabelformen haben. Anhand solcher Beispiele lässt sich die Evolution gut erklären. (Foto: dpa)

Mehr als 80 Wissenschaftler und Pädagogen fordern, das Thema Evolution in die Grundschullehrpläne aufzunehmen. Fragen an André Sebastiani, der mit seinen Schülerinnen und Schülern bereits über die Evolution spricht.

Von Markus C. Schulte von Drach

Mehr als 80 Wissenschaftler, Pädagogen und Philosophen haben eine Resolution verabschiedet, in der sie fordern, das Thema Evolution in die Grundschullehrpläne aufzunehmen. Auf einem Kongress in Gießen wurde dazu Lehrmaterial des Projekts Evokids vorgestellt, mit dem Lehrkräfte die Entstehung und Entwicklung des Lebens schon Kindern ab der 3. Klasse näherbringen könnten. André Sebastiani ist Grundschullehrer in Bremen. Er spricht bereits mit seinen Schülerinnen und Schülern über die Evolution.

SZ.de: Die Evolution steht nicht in den Lehrplänen für Grundschulen. Sie sprechen das Thema bei Ihren Schülerinnen und Schülern trotzdem an. Was für Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

André Sebastiani: Das Thema ist zwar nicht vorgesehen, aber hin und wieder gibt es die Gelegenheit, es anzusprechen. Im Sachunterricht behandeln wir zum Beispiel Singvögel und beobachten sie auch in der Nachbarschaft der Schule. Da entdecken die Kinder selbst Unterschiede zwischen den Arten - etwa die verschiedenen Schnabelformen - und fragen, wie das kommt.

Da denkt man natürlich gleich an den Klassiker von Charles Darwin: Die Galapagosfinken.

Genau. Es bietet sich natürlich an, ihnen etwas darüber zu sagen, dass die verschiedenen Vogelarten aus gemeinsamen Vorläufern entstanden sind. Ich habe meine Zweitklässler auch konkret gefragt, was sie darüber wissen, wie die Welt und das Leben entstanden sind. Und es hat sich herausgestellt: eine ganze Menge.

Tatsächlich?

Eine ganze Menge, was die religiösen Schöpfungsmythen angeht. Demnach hat Gott alles gemacht. Manche wissen vom Paradies und der Schlange. Solche Sachen. Sonst wissen sie allerdings nicht viel.

Ein Kind hatte eine gewisse Vorstellung davon, dass es zuerst Bakterien gab. Ein anderes meinte, Gott habe die Erde inklusive Dinosaurier geschaffen. Dann kam Lava und alles wurde zerstört. Danach hat Gott noch einmal alles geschaffen, diesmal auch den Menschen. Das ist gewissermaßen eine Variante der Schöpfungsgeschichte, die sich ein Stück weit gegen die Vorstellung von einer Entwicklung und Evolution immunisiert.

Es gehört inzwischen doch zur Allgemeinbildung, dass der Mensch und der Affe gemeinsame Vorfahren haben.

Danach habe ich die Kinder auch gefragt. Sie haben an verschiedenen Stellen davon schon gehört, aber vielen fällt es schwer, sich vorzustellen, dass sie selbst auch irgendwie Affen wären. Ein Mädchen hatte im Fernsehen tatsächlich etwas über diese gemeinsame Abstammung gesehen. Als ich sie darauf hingewiesen habe, dass es also noch etwas anderes zu geben scheint als die Schöpfungsgeschichte, meinte sie, die im Fernsehen erzählen doch nur Quatsch.

Das bedeutet, die Schöpfungsmythen stehen im Widerspruch zur Evolution, aber Grundschüler orientieren sich eher an den religiösen Vorstellungen?

Die Kinder sind ja fast alle diesen Schöpfungsmythen ausgesetzt, privat oder im Religionsunterricht. Es gibt in unserem Religionsunterricht in der 3. Klasse jedes Jahr ein großes Projekt, in dem alle Weltreligionen angesprochen werden. Wir gehen mit den Kindern auch in die entsprechenden Gotteshäuser und setzen uns damit auseinander. Da stelle ich fest, dass ihre Religion für viele Kinder schon identitätsstiftend ist. Auch Schülerinnen und Schüler, die in der Schule eher leistungsschwach sind, können häufig viel über die Religion in ihrer Familie und Gemeinde sagen.

Aber in der Schule möchte ich die Kinder mit den religiösen Vorstellungen als Antwort auf existentielle Fragen nicht allein lassen. Zu einem ehrlichen Unterricht gehört ja dazu, dass auch vermittelt wird, was man heute weiß. Dass sich das Leben entwickelt hat, ist eine erwiesene Tatsache.

Ein bei Kindern ungeheuer beliebtes Thema sind Dinosaurier. In den Büchern über sie wird die Evolution doch häufig angesprochen.

Dino-Bücher werden aber nicht von allen gelesen und beispielsweise in fundamentalchristlichen Elternhäusern wird man sie nicht finden. Aber auch wenn diese Bücher gelesen werden, entwickeln die Kinder häufig trotzdem auch falsche Vorstellungen. Häufig zeigen die Darstellungen in den Büchern, dass sich erst aus Einzellern Mehrzeller gebildet haben, daraus dann Fische, Amphibien, Reptilien und dann Säugetiere, Affen und Menschen. Diese Bilder wirken offenbar stärker als die Texte.

Manche Kinder haben den Eindruck, die Tiere würden gewissermaßen von einer Art in eine andere "morphen". Und die Affen haben irgendwann ihr Fell abgelegt - darunter war dann der Mensch. Die private Beschäftigung mit dem Dauerbrenner-Thema Dinosaurier ersetzt also keinen gut gemachten Fachunterricht, sie bietet aber viele Anschlussmöglichkeiten.

Interview zum Unterricht in der Grundschule
:Warum die Evolution schon Kindern erklärt werden sollte

In der Grundschule hören die Schüler von der Erschaffung der Welt durch Gott. Von der Evolution erfahren sie noch nichts. Das möchte die Initiative "Evokids" ändern. Die frühe Beschäftigung mit dem Thema sei notwendig, um ein fundiertes Menschenbild zu entwickeln, sagt Dittmar Graf, Professor für Biodidaktik an der Uni Gießen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Vielleicht ist die Evolutionstheorie für die Grundschüler einfach noch zu komplex? Es heißt etwa, dass dafür ein Verständnis der Genetik notwendig ist. Deshalb steht sie erst im Lehrplan für höhere Klassen.

Charles Darwin, der die Grundlage für die moderne Evolutionstheorie gelegt hat, wusste selbst auch nicht viel von Genetik. Ich glaube, den Kindern lassen sich die Grundlagen schon vermitteln. Mir schwebt zum Beispiel die Idee vor, mit den Kindern eine Projektwoche zu machen, in der wir die Weltreise von Darwin auf dem Forschungsschiff Beagle nachvollziehen. Kinder springen ja stark auf Geschichten an. Und Darwin ist das Modell eines guten Wissenschaftlers: Er war neugierig, hat sich umgeschaut, genau beobachtet, alles Mögliche gesammelt - vor allem Tiere und Pflanzen - und hat sich dann in Ruhe Gedanken gemacht und seine Theorie entwickelt. Ich kann mir vorstellen, dass die Kinder das spannend finden.

Sie haben am 2. Kongress des Evokids-Projekts in Gießen teilgenommen. Die Beteiligten um Professor Dittmar Graf von der Universität Gießen haben dort Lehrmaterial vorgestellt, das extra für Kinder in der dritten bis fünften Klasse entwickelt wurde. Was halten Sie von dem Material?

Bislang gab es ja kaum frei verfügbares Material zur Evolution. Mit dem Evokids-Material ist auf jeden Fall ein sehr guter Anfang gemacht. Es ist bislang noch eher wenig differenziert, es soll aber auch in einer digital zu bearbeitenden Form bereitgestellt werden, sodass man das Material den eigenen Bedürfnissen anpassen kann. Ich werde sicher einiges von dem Material einsetzen.

Evokids-Lehrmaterial zur Evolution in der Grundschule (Foto: Evokids)

Was zum Beispiel?

Auf jeden Fall werde ich die Papierflieger-Evolution benutzen. Die Schülerinnen und Schüler basteln Flieger, die nach und nach so verändert werden sollen, dass sie besser fliegen. Manche Veränderungen wirken sich negativ auf die Flugeigenschaften aus, andere positiv. Daran lässt sich eine allmähliche Anpassung der Merkmale des Fliegers an die Umwelt veranschaulichen, ähnlich wie es bei den Vögeln stattgefunden hat.

Ein anderes Arbeitsblatt zeigt einen Greifvogel, der im Winter Hasen jagt. Die Kinder können sofort erkennen, dass der Vogel die Hasen mit dunklem Fell besser sieht als den mit weißem Fell. Der ist am besten an die Umgebung angepasst. So lässt sich ihnen das Prinzip der Selektion gut vermitteln. Dann kann man den Kindern erklären, dass bei den Hasen gelegentlich andere Fellfarben entstehen - durch Mutationen. Dann hat man schon ganz schnell das Prinzip herausgearbeitet.

Wie Evolution funktionert: Ein Adler jagt ein Kaninchen. Greifvögel sehen dunkle Tiere im Schnee besser als helle. (Foto: Reuters)

Außerdem habe ich vor, mit den Schülern über das Buch "Big Family" und den Film dazu zu sprechen, in dem die Evolutionsgeschichte als Familiengeschichte dargestellt wird. Da kann jeder die eigene Familiengeschichte über Mutter, Oma, Ur-Oma und so weiter bis zurück zu den Einzellern nachvollziehen.

Ihr Forum
:Sollte Evolutionstheorie schon in Grundschulen gelehrt werden?

Mehr als 80 Wissenschaftler, Pädagogen und Philosophen haben eine Resolution verabschiedet, in der sie fordern, das Thema Evolution in die Grundschullehrpläne aufzunehmen.

Wie ist denn das Interesse unter Ihren Kolleginnen und Kollegen?

Das Evokids-Projekt selbst ist wohl noch nicht so bekannt. Aber auch unabhängig davon nehme ich schon ein großes Interesse und eine große Aufgeschlossenheit wahr. Es gibt allerdings auch Berührungsängste. Manche Lehrkräfte werden sich vielleicht Sorgen machen, dass die Kinder Fragen zur Evolution stellen, bei denen sie sich selbst nicht sicher sind. Vor allem Lehrer, die Sachunterricht fachfremd geben, das Fach also gar nicht studiert haben.

Wenn Kinder daheim von den religiösen Schöpfungsmythen hören und in der Schule etwas anderes lernen, werden sie dann nicht verunsichert? Und drohen nicht Konflikte mit den Eltern?

Konflikte gibt es ja auch in anderen Bereichen. Etwa beim Schwimmunterricht oder der Sexualkunde. Wir haben aber gute Erfahrungen gemacht, hier möglichst große Transparenz herzustellen, in dem die Eltern vorab darüber informiert werden, was im Unterricht behandelt wird. Zur Evolution im Unterricht würde ich den Eltern sagen, dass es nicht darum geht, ihren Kindern die Religion wegzunehmen, sondern dass ich zeigen möchte, was die Wissenschaft heute weiß. Natürlich widerspricht das den Mythen, die sie kennen. Aber selbst streng religiösen Eltern lässt sich sicher vermitteln, dass den Kindern die Informationen über das Wissen über die Evolution nicht vorenthalten werden sollte.

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"Urmel saust durch die Zeit" ist ein neues Buch aus der Urmel-Reihe, die eigentlich schon vor langer Zeit zu Ende war. Es soll Kindern die Evolution erklären - und ist trotzdem vor allem ein gewohnt unterhaltsames, pfiffiges Kinderbuch.

Von Markus C. Schulte von Drach

Die Kinder müssen die Möglichkeit haben, ihr eigenes Weltbild auch mithilfe der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu entwickeln. Sie werden möglicherweise erst einmal beide Vorstellungen nebeneinander gelten lassen - Schöpfung und Evolution. Aber je länger sie nur ein rein religiös geprägtes Weltbild haben und die wissenschaftlichen Fakten nicht sauber aufgearbeitet präsentiert bekommen, desto schwerer wird es, auch ein wissenschaftlich-kritisches Weltbild zu entwickeln. Die Eltern sollten natürlich nicht das Gefühl bekommen, es fände ein Frontalangriff auf die Religion statt.

Was ist der nächste Schritt, damit die Evolution tatsächlich Teil des Unterrichts wird?

In den allermeisten Bildungsplänen sind die Erschließung der Umwelt und das Anbahnen wissenschaftlicher Arbeitsweisen als grundsätzliches Bildungsziele im Sachunterricht vorgesehen. Und damit ist die Evolution nicht nur vereinbar, sondern fast schon gefordert und jede Lehrkraft kann sie behandeln. Wenn das Evokids-Material so weit ist, könnte es vielleicht in den Lehrerfortbildungen verwendet werden. Außerdem sollte es den Experten der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU) vorgelegt werden, die einen großen Einfluss haben.

André Sebastiani ist Grundschullehrer in Bremen (Foto: Photographer: Andre Sebastiani; André Sebastiani)

Ich selbst habe schon die Schulbehörde in Bremen angesprochen - die ist für das Thema aufgeschlossen. Allerdings wird der Sachunterricht schon von allen Seiten mit immer neuen Anforderungen überfrachtet. So soll etwa die Medienerziehung mit hinein ...

Was angesichts der Entwicklungen in den Medien sicher auch wichtig ist.

Wichtig ist ganz viel. Auch Verkehrserziehung, Sexualerziehung, Demokratieerziehung, Dinge wie Klassenrat, Schülerparlament - da wird die Zeit halt eng. Aber ich denke, das kritisch-wissenschaftliche Denken sollte auf jeden Fall bereits in der Grundschule angeregt werden. Und da ist die Evolution ein wichtiger Baustein.

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