Bildungspolitik 2015:Es gibt noch viel zu lernen

Run auf Hochschulen

Mancherorts wird es eng: Studenten sitzen in einem Hörsaal der Ruhr-Universität in Bochum während einer Vorlesung auf den Treppen.

(Foto: dpa)

Lange Schlangen an der Uni, kurze Hosen an der Schule, öffentliche Proteste und geheime Tests - was in diesem Jahr die Bildungspolitik bewegte und welche Folgen das für 2016 hat.

Fragen und Antworten von Johann Osel

Wird es nach dem Rekord von 2015 im kommenden Jahr noch mehr Studenten geben?

Welle, Schwemme, Ansturm - diese Substantive wurden nicht nur oft mit dem Wort Flüchtlinge kombiniert, sondern auch mit Studenten. Sogar von einer Obergrenze hörte man zuweilen. "Akademikerschwemme, so ein Quatsch. Studierende sind doch kein Treibgut. Das klingt, als würden wir massenhaft arbeitslose Akademiker produzieren. Dem ist nicht so", konterte Horst Hippler, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, im August im SZ-Interview.

Im laufenden Semester gibt es jedenfalls einen Studentenrekord: 2,8 Millionen. Seit 2011 liegt die Zahl der Studienanfänger bei gut einer halben Million. Zum Vergleich: 1995 gab es 260 000 Neulinge. Es waren zunächst die doppelten Abiturjahrgänge und das Ende der Wehrpflicht, die einen Push bescherten. Und es ist Tatsache, dass mehr Jugendliche Abitur machen, dass Zugangswege an die Unis flexibler werden, dass Studieren einfach im Trend liegt. Das Centrum für Hochschulentwicklung spricht vom "Normalfall Hochschulbildung". Auch 2016 und in den Folgejahren sind Anfängerzahlen von knapp unter einer halben Million zu erwarten. Daher wird die Zahl der Studenten, die zwei Jahrzehnte lang um die zwei Millionen lag, sich bald der Drei-Millionen-Marke annähern oder sie sogar knacken.

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So hat sich die Anzahl der Studierenden in Deutschland in den vergangenen Jahren entwickelt.

Erst 2020 wird es wohl weniger als 450 000 Erstsemester geben, demografisch bedingt; und die aktuellen Kohorten haben dann ihren Abschluss in der Tasche. Debatten sind also 2016 einzuplanen, spätestens beim Ausbildungsbeginn im September. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, beklagt eine "Überakademisierung" - zu Lasten des dualen Systems.

Gelingt es 2016 endlich, das Abitur bundesweit vergleichbar zu machen?

Wahnsinnig schwer hier, ein Klacks dort? Die Debatte über ein unterschiedliches Abitur-Niveau in den Ländern hatte im Juni wieder einen Höhepunkt erreicht. Da berichteten die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel über interne Daten der Kultusministerkonferenz (KMK). Die Quote der 1,0-Traumzeugnisse, als Beispiel: Das schafft im einen Land nur jeder Zweihundertste, im anderen jeder Vierzigste. "Die Abi-Lotterie" titelte der Spiegel, "Numerus falsus" die SZ - da die Note maßgeblich für die Zulassung bei Studiengängen mit Numerus clausus ist.

Seit Jahren arbeitet die KMK an Vergleichbarkeit, unter anderem durch einen Aufgaben-Pool für Deutsch, Mathe und Fremdsprachen; dessen "standardbasierte Abituraufgaben" sollen als Richtschnur dienen, Länder können Teile verwenden oder sich zumindest daran orientieren. Und nun soll es endlich so weit sein: Das Pool-Angebot soll "für den möglichen Einsatz im Abitur ab dem Schuljahr 2016/2017 zur Verfügung stehen", so die KMK. Woran es scheitern könnte, dass die Standards vergleichbar werden? Der mögliche Einsatz - er sticht sofort ins Auge.

Ist Ausbeutung in der Wissenschaft nun ein Riegel vorgeschoben?

Die Chance, dass Missbrauch von Befristungen für Nachwuchsforscher verhindert wird, ist zumindest gestiegen. Kürzlich hat der Bundestag das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformiert, so sollen Karrierewege unterhalb der Professor-Ebene planbar werden. Viele junge Akademiker hangeln sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag. "Sachgrundlose Kurzbefristungen" soll es nun nicht mehr geben. Zeitverträge etwa bei Doktorarbeiten, sollen "angemessen" sein. Laut der Bildungsgewerkschaft GEW sind viele Dinge im Gesetz so vage formuliert, dass "vor Ort Häuserkämpfe" über die Auslegung zu erwarten seien. Problematisch zudem: Nur ein kleiner Teil des Forschernachwuchses, der sich habilitiert, kann Professor werden. Hoffnung gibt es auf Investitionen in zusätzliche Stellen - etwa "Tenure Track"-Professuren (Bewährungsstellen vor einer echten Professur). 2016 könnte sich hier etwas tun.

Wie geht die Exzellenzinitiative weiter?

Die Wissenschaftsszene blickt gerade gespannt auf einen Mann: den Schweizer Physiker und Forschungsmanager Dieter Imboden. Er ist Chef einer Kommission, die im Januar ein Gutachten zum bisherigen Erfolg der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern vorlegt. Mit dem Wettbewerb sind seit 2005 fast fünf Milliarden Euro zusätzlich in Forschung geflossen, die Initiative endet 2017. Sie hat bisher drei Bereiche: Mittel für exzellente Fachbereiche ("Cluster"), für Doktorandenschulen sowie für ganze Universitäten, vulgo "Elite"-Unis. Aktuell sind das elf. Dass es mit der Initiative weitergehen soll, ist politisch beschlossene Sache, und allerlei Konzepte liegen in Abgeordnetenbüros und Ministerien in den Schubladen. Denkbar wären etwa statt einem Dutzend Elite-Unis wenige Super-Regionen, München und Berlin mit derzeit schon jeweils zwei Elite-Unis böten sich hier an - zunächst aber, heißt es, soll das Imboden-Votum abgewartet werden.

Werden also die Chefs der großen wie kleinen Unis und der Fachhochschulen auch 2016 in der Hochschulrektorenkonferenz über Einfluss und Pfründe streiten?

Ja.

Vom G 8 über Studiengebühren bis Bafög

Was ist beim Ärger über das achtjährige Gymnasium zu erwarten?

Es ist in Deutschland 2015 etwas ruhiger geworden um das achtjährige Gymnasium (G 8), Ausnahme: Bayern. Dort geriet CSU-Kultusminister Ludwig Spaenle in Bedrängnis. Viele Eltern und auch Lehrerverbände wollen schnellstmöglich wieder langsam werden beim Lernen, dem gegenüber stand die mächtige CSU-Landtagsfraktion. Sie erinnerte sich wohl an Edmund Stoiber, der das Turbo-Abitur zur christsozialen Kernposition gemacht hatte. Deutschland müsse sich "aufbäumen gegen den schleichenden Abstieg" und all die Bequemlichkeiten über Bord werfen, etwa das neunte Jahr am Gymnasium. So formulierte es 2003 Bayerns Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung. Hurtig beschloss Bayern die Verkürzung.

Seitdem herrscht Unmut. Stoibers Nach-Nachfolger Horst Seehofer nannte die G-8-Einführung mal einen "Quickie", letztlich kam es zu einer Reform, die irgendwie doch keine ist: an 47 Pilotschulen die "Mittelstufe plus", ein Jahr zusätzliche Lernzeit für Schüler, die das wollen. Der Druck auf die CSU, es nicht dabei zu belassen, wächst nun aber. Eine Mehrheit der Siebtklässler an den Pilotschulen hat sich für die neue Mittelstufe angemeldet. Und viele Schulen, die beim Modellversuch nicht drankamen, hoffen auf einen Ausbau des Projekts. Dann würde das neunstufige Gymnasium durch die Hintertür wieder üblich. 2016 wird man mehr über die Zufriedenheit der Schüler wissen - und auch über ihre Leistungen im neuen Modell.

Kommen bald wieder Studiengebühren?

Nein. Selbst Politiker, die im Grunde für Gebühren plädieren, sehen den gesellschaftlichen Trend dagegen - und trauen sich nicht. Das Beispiel Baden-Württemberg, wo im März 2016 gewählt wird, zeigt deren Dilemma. Da schreibt die CDU, in der Opposition, in ihrem Programm: "Eine Wiedereinführung von allgemeinen Studiengebühren in Baden-Württemberg planen wir nicht. Eine solche wäre für uns nur im Verbund mit weiteren deutschen Ländern sinnvoll." Es müsste also zu mehreren Regierungswechseln kommen, die neuen Regierungen müssten gemeinsam die unpopuläre Maßnahme durchdrücken. Nicht absehbar. Vorstöße aus der Wissenschaft, doch noch mal über Gebühren nachzudenken, hatte sogar die CSU in Bayern zurückgewiesen, die neben Niedersachsen bis zuletzt am Bezahl-Studium festhielt.

Bringt der Sommer 2016 erneut eine Hot-Pants-Debatte an Schulen?

Die Schulleiterin im baden-württembergischen Horb wusste gar nicht, wie ihr geschah. Ein Verbot für Hot-Pants an ihrer Schule löste bundesweit eine Debatte über sexy Kleidung aus. Die Frage, inwiefern Schulen das regeln dürfen, kommt immer wieder auf. Denn Vorschriften, wie weit die nackte Haut reichen darf, bewegen sich in einer Grauzone. Die Direktorin hatte dabei nur das getan, was unzählige Schulen tun: einen Dresscode formulieren - zum Beispiel, dass Bauchnabel und Brustansatz bedeckt sein oder kurze Röcke die Hälfte der Oberschenkel verhüllen müssen.

Im Idealfall (aber längst nicht immer) entsteht der Code im Konsens mit den Schülern. Die Gesetzeslage ist freilich schwammig: In vielen Ländergesetzen finden sich Passagen, aus denen sich Verbote theoretisch ableiten lassen. Baden-Württemberg erlaubt Schulen "zur Aufrechterhaltung der Ordnung erforderliche Maßnahmen zu treffen und Schulordnungen, allgemeine Anordnungen und Einzelanordnungen zu erlassen". Gefährdet ein sexy Outfit den Unterricht? Und wann sind kurze Hosen zu kurz? Bleibt strittig. Der nächste Sommer kommt bestimmt.

Steigt das Bafög im nächsten Jahr?

Ja, im Herbst 2016 werden die Beiträge um sieben Prozent erhöht, der Höchstsatz liegt dann bei 735 Euro im Monat (aktuell 670 Euro). Beschlossen wurde die Erhöhung bereits 2014 - der späte Termin löste Kritik aus. Dafür brachte die Novelle von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) eine Zäsur: Seit Januar trägt der Bund das Bafög alleine; langes Geschacher im Bundesrat entfällt bei künftigen Erhöhungen.

Was tut sich bei der Pisa-Studie?

Tatsächlich ist es im nächsten Jahr wieder so weit, im Dezember erscheint eine neue Pisa-Studie. Wer noch schnell seine Kinder zu Höchstleistungen anstacheln will, zum Segen der Bundesrepublik, ist zu spät dran. Bereits im April und Mai fanden die Tests statt. 10 500 Jugendliche an 256 Schulen lösten - unter strenger Geheimhaltung - Aufgaben aus den Bereichen Naturwissenschaften, Mathematik, Lesen und "Problemlösen im Team". Ebenso taten dies 15-Jährige in 75 Staaten und OECD-Regionen. Eine derart große Studie braucht Zeit zur Aufbereitung, so bleibt es spannend bis Dezember.

Mehr als zehn Jahre nach dem "Pisa-Schock" erzielten deutsche Schüler beim letzten Mal im Vergleich durchgehend gute Leistungen. Die Jugendlichen lagen in der 2013 erschienenen Studie in allen Bereichen deutlich über dem Durchschnitt, in Mathe kamen sie fast an Finnland und Kanada heran, die in früheren Studien als Vorbilder genannt wurden. Interessanter als der bloße Ranking-Platz wird 2016 sein, ob es gelungen ist, die zuletzt sachten Verbesserungen der Chancen von Kindern aus ärmeren Familien oder mit Migrationshintergrund auszubauen. Mit Blick auf die Flüchtlingssituation wird dies ein bestimmendes Thema der nächsten Jahre sein - so wie die Integration von Flüchtlingskindern die Schulpolitik 2016 generell dominieren dürfte.

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