Mit drei Dingen konnte die aktuelle Schulvergleichsstudie auch eine renommierte Bildungsexpertin wie Jutta Allmendinger noch überraschen. "Ich war überrascht, dass manche Länder erhebliche Fortschritte erzielen konnten. Das zeigt, dass solche Bildungserhebungen etwas nützen und Folgen haben", sagte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung im Deutschlandfunk.
Zweitens habe sie überrascht, dass "Masse doch auch Klasse" bedeuten könne: "Bundesländer, die sehr viele Personen auf den Gymnasien haben, gehören zu den Bundesländern, die die besten durchschnittlichen Kompetenzen zeigen." Zu guter Letzt konnten die Mädchen Allmendinger überraschen, "die noch einmal zugelegt haben in den Naturwissenschaften und die mittlerweile viel besser sind als die Jungs".
Anteil der Gymnasiasten und Leistungsniveau hängt nicht zusammen
Die Ergebnisse der Ländervergleichsstudie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) wurden am Freitag vorgestellt. 44.584 Neuntklässler nahmen im Frühsommer 2012 an dem bundesweiten Leistungstest teil. In diesem Jahr lag der Fokus der Studie, die regelmäßig durchgeführt wird, auf Mathematik sowie den Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik. Besonders die ostdeutschen Bundesländer zeigten sich in der aktuellen Erhebung als besonders stark, sie konnten in vielen Bereichen an den süddeutschen Ländern vorbeiziehen, die in der Vergangenheit das Spitzenfeld dominiert haben.
Ähnlich wie Soziologin Allmendinger ist auch den Autoren der IQB-Studie aufgefallen, dass es kaum Einfluss auf das Abschneiden der Gymnasiasten hat, wenn immer mehr Kinder diese Schulform besuchen. Sie nennen diese Erkenntnis "bemerkenswert" - war man doch bisher davon ausgegangen, dass das Leistungsniveau sinkt, wenn viele Schüler aufs Gymnasium gehen und nicht nur die Jahrgangsbesten.
Speziell die Gymnasien der vier ostdeutschen Flächenländer Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen schaffen es jedoch der Analyse der Forscher zufolge, überdurchschnittlich hohe Kompetenzen bei ihren Schülern zu entwickeln. Dabei besuchen in diesen Ländern mehr als 40 Prozent der Schüler das Gymnasium. In Bayern schneiden die Gymnasiasten im Test zwar ähnlich gut ab, hier besuchen jedoch nur 30 Prozent eines Jahrgangs diese Schulform.
Jungen besser in Mathe, Mädchen besser in den Naturwissenschaften
Besonderes Augenmerk wird bei der Auswertung der diesjährigen Studie auf die Unterschiede der Geschlechter gelegt. Seit Jahren wird immerhin diskutiert, wie es gelingen kann, Mädchen für die sogenannten MINT-Fächer zu begeistern - also die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer, die im vergangenen Jahr abgefragt wurden. Das Ergebnis? Die Jungen erzielen im Bereich Mathematik deutlich bessere Werte als die Mädchen, insgesamt sowie in sämtlichen abgefragten Teilbereichen. In den Naturwissenschaften können hingegen die Mädchen punkten - speziell im Fach Biologie liegen sie mit deutlichem Abstand vorn.
Jutta Allmendinger, die sich in ihrer Forschung speziell mit Bildungsfragen und Frauen im Arbeitsleben beschäftigt, zieht weitere Schlussfolgerungen aus der IQB-Studie. Grundsätzlich sieht sie von den Ergebnissen die Überlegenheit eines zweigliedrigen Schulsystems über das dreigliedrige belegt.
Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen haben in den vergangenen Jahren auf nur noch zwei Arten von weiterführenden Schulen umgestellt. Hier, sagte Allmendinger im Deutschlandfunk, zeige die Erhebung hohe Kompetenzzuwächse. "Das ist ein Beleg dafür, dass das System Trennung den Kindern nicht guttut und dass sie sehr viel voneinander lernen können." In den meisten ostdeutschen Bundesländern gibt es schon seit längerem nur zwei Arten weiterführende Schulen: Gymnasien und Sekundar-, bzw. Mittelschulen.
"Wir brauchen Geld für Brennpunktschulen"
Mit dem Konzept des längeren gemeinsamen Lernens gelingt es laut Allmendinger den ostdeutschen Bundesländern zudem besser, den Einfluss der sozialen Herkunft auf das Leistungsniveau zu minimieren: "Hier haben wir viel niedrigere Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern aus gut situierten und eher ärmeren Elternhäusern."
Jutta Allmendinger, die als eine der führenden Soziologinnen Deutschlands gilt, hat bereits 1999 den Begriff der "Bildungsarmut" geprägt. Bildungsarmut liegt dann vor, wenn jemand auch unterste Mindeststandards nicht erreicht. "Das sind in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt vier bis sechs Prozent der Schüler, in anderen Bundesländern sind es 20 Prozent", so Allmendinger.
Im Hinblick auf die Aufgaben von Bund und Ländern fordert die Bildungsexpertin: "Wir brauchen Geld insbesondere in sogenannten Brennpunktschulen, weil wir hier sehr viel mehr Lehrkräfte für die Kinder brauchen." Zudem müsse man auch stärker die Eltern mit einbeziehen und "alle Akteure miteinander vernetzen". Vom Kooperationsverbot für Bund und Länder im Bereich Bildung hält Allmendinger nichts, sie fordert Bundeshilfe insbesondere für arme Landkreise. "Das, was wir im Hochschulbereich erlebt haben durch den Pakt für Forschung und Innovation, durch die Exzellenzinitiative, das brauchen wir auch im schulischen Bereich."
Linktipps: Das vollständige Interview des Deutschlandfunks mit Jutta Allmendinger ist hier nachzulesen. Wieso der Freistaat Bayern nicht mehr Deutschlands Bildungsprimus ist, wird in diesem Süddeutsche.de-Artikel erklärt.