Süddeutsche Zeitung

Bildung - Potsdam:Rabbinerschule prüft nach Vorwürfen neue Aufstellung

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Potsdam (dpa/bb) - Nach Vorwürfen der sexualisierten Belästigung und des Machtmissbrauchs will die neue Spitze des Abraham Geiger Kollegs die Aufklärung vorantreiben und eine Neuaufstellung der Rabbinerschule prüfen. "Ich habe die volle Handlungsvollmacht", sagte die neue Interimsdirektion Gabriele Thöne am Mittwoch in Potsdam. Sie wolle erst einmal alle Studierenden und Mitarbeiter anhören. "Diese Aufarbeitung ist wichtig, ist absolut wichtig, um überhaupt eine Zukunft zu haben." Die ehemalige Berliner Finanzstaatssekretärin prüft auch eine Neuaufstellung der Rabbinerschule. Das Ziel sei, dass das Kolleg eine andere Struktur haben wird, damit die nächsten Generationen die Werte weitertragen könnten.

An dem liberalen Abraham Geiger Kolleg werden seit 1999 Rabbiner für jüdische Gemeinden ausgebildet. Das Institut für Jüdische Theologie ist Teil der Universität Potsdam. Die Zeitung "Welt" berichtete Anfang Mai über Vorwürfe sexueller Belästigung eines Studenten durch einen Mitarbeiter des Kollegs. Danach räumte die Geschäftsführung ein, dass es bereits im Dezember 2020 und dann im Februar 2022 Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter gab. Das Arbeitsverhältnis endete Ende Februar. Es geht auch um den Vorwurf des Machtmissbrauchs. Thöne sprach von etwa vier Fällen, die derzeit geprüft würden.

Der Gründer und bisherige Rektor des Kollegs, Walter Homolka, hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe alle Ämter ruhen lassen, darunter als Vize-Direktor der School of Jewish Theology und als Vorsitzender der Leo Baeck Foundation. Homolka zog sich im Mai auch als Gesellschafter der Stiftung zurück, die nun alle Anteile am Kolleg hält. Er geht nach Angaben der Universität juristisch gegen die Vorwürfe vor. Die Universität setzte eine Untersuchungskommission ein, der Zentralrat der Juden in Deutschland beauftragte eine Kanzlei mit einer Prüfung. Das Kolleg hat 16 Studenten in der Rabbinerausbildung und sieben Studenten in der Ausbildung zum Kantorat.

Die Interimsdirektorin sagte, zunächst müssten die Fakten geprüft werden. Sie bat um Geduld. "Das muss man bitte mit Bedacht machen." Mit Blick auf die personellen Verflechtungen sagte sie: "Es sind viele Ämter ja, das ist aber auch vielleicht nicht immer ganz ungewöhnlich bei Institutionen, die neu gegründet wurden und sich dann weiter verfestigt haben." Die Universität Potsdam kündigte für den Sommer einen Abschlussbericht der Untersuchungskommission an. "Auf Grundlage dieser Ergebnisse wird dann die Universität Potsdam entscheiden, in welcher form jegliche Konsequenzen gezogen werden müssen", sagte Sprecherin Silke Engel. Uni und Kolleg wollen Schnittstellen bei der Aufklärung ausloten.

Die Absolventinnen und Absolventen des Rabbinerseminars wollen sich für eine Zukunft des Kollegs einsetzen. "Als Alumni (...) werden wir nach Abschluss der unabhängigen Untersuchungen alles uns Mögliche tun, um Transparenz, Vertrauen und Achtung für die Institution des Abraham Geiger Kollegs und der School of Jewish Theology an der Universität Potsdam wiederherzustellen", schrieben 22 Rabbiner und Rabbinerinnen in einer Erklärung, die am Mittwoch vorlag und über die auch "Zeit online" berichtete. "Nun mag der Moment gekommen sein, Prozesse, Strukturen, Kommunikationsweisen und personelle Besetzungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern."

Die Union Progressiver Juden warnte vor einer Vorverurteilung gegen Rabbiner Homolka, der auch Vorsitzender der Vereinigung ist, das Amt aber derzeit ruhen lässt.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht bereits einen großen Schaden für die liberale Rabbinerausbildung. Präsident Josef Schuster hatte zuletzt Zweifel an den bisherigen Konsequenzen angemeldet. "Es ist fraglich, ob die jetzt angestoßene Neuaufstellung am Abraham Geiger Kolleg geeignet und zielführend ist", hatte Schuster der dpa gesagt. Hintergrund ist, dass Homolka seine Ämter ruhen lässt und die Kanzlerin Anne-Margarete Brenker und Rabbi Edward van Voolen zum neuen Führungsteam gehören. Van Voolen sagte am Mittwoch: "Ich bin zutiefst schockiert über die aktuellen Ereignisse am Abraham Geiger Kolleg und distanziere mich in aller Form von solchen Vorgängen."

Zu Förderern und Unterstützern des Kollegs - einer gemeinnützigen GmbH - gehören unter anderen das Bundesbildungsministerium, die Kultusministerkonferenz, das Land Brandenburg und der Zentralrat der Juden in Deutschland.

© dpa-infocom, dpa:220601-99-508321/3

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220601-99-508321
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Direkt aus dem dpa-Newskanal