Bildung:Mehr Mut zur Utopie!

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(Foto: Illustration: Ryan Trott; Bearbeitung: SZ)

Bildungsdebatten verheddern sich zu oft in Machbarkeits- und Zuständigkeitsfragen. Wir haben deswegen Dritt- und Viertklässler gefragt, was sie sich wirklich von der Schule wünschen - und ein paar Experten noch dazu.

Von Vera Schroeder

Die ganze bescheuerte Widersprüchlichkeit des Schul­themas offenbart sich zum Beispiel in einer E-Mail mit der schönen Betreffzeile "Sommerferien". Eine Grundschullehrerin wünscht in dieser Mail allen Eltern ihrer Drittklässler und Drittklässlerinnen "eine erholsame Zeit." "Denn das ist wichtig", steht weiter in der Mail, "dass alle mal ausruhen und abschalten nach so einem langen Schuljahr."

Dann kommt ein Absatz. Und dann das "Aber". Das nächste Schuljahr werde das vierte sein. In Bayern stehe dann der Übertritt an, der Wechsel auf eine weiterführende Schule. Und damit die Kinder nach den Ferien nicht ganz aus dem Tritt seien, wäre es schon günstig, wenn man am Lesen und Rechnen ein bisschen dranbliebe über die Ferien. Stoffliste anbei. Schönen Abend. Bis im nächsten Schuljahr. Dass es mit dem "nix tun" in den Ferien nun doch nichts wird, ist für die, denen es wichtig ist und nicht zufliegt, damit klar. Die, denen es weniger wichtig ist und trotzdem nicht zufliegt, werden genau in diesem Moment ein kleines Stückchen abgehängt.

Was auffällt, wenn man eher grundsätzlich über die Zukunft unserer Schulen nachdenkt: Im Großen sind sich alle recht einig. Ob man die Präsidentin des Lehrer- und Lehrerinnenverbandes im konservativen Bayern fragt oder der Antidiskriminierungsbeauftragten der Schulverwaltung Berlin zuhört, die wichtigsten Themen stehen fest: Schulen müssen an das Riesenproblem der sozialen Spaltung ran, die unser aktuelles System eher verstärkt als verringert. Sie müssen auf die gesellschaftliche Vielfalt reagieren, und zwar, indem sie mehr Menschen beschäftigen, die diese Vielfalt abbilden und sich um die unterschiedlichsten Themen, die daraus entstehen, kümmern. Sie brauchen mehr Unterstützung, um das per UN-Behindertenrechtskonvention beschlossene Gebot inklusiver Bildung umzusetzen. Sie müssen die Chancen der Digitalisierung besser nutzen.

Und wenn man sich die Ergebnisse der Lernforschung ansieht, braucht es auch neue Ideen, was Leistungsdruck, Noten und Inhalte angeht: weg vom ­Fokus auf Theoriestoffmengen, die ins Hirn gepresst und unter Druck abgefragt werden, hin zum individuellen Blick auf die Stärken und die Motivation jedes einzelnen Kindes. Das alles hängt miteinander zusammen. Und für alles braucht es mehr Geld. Dass Deutschland, viertreichstes Land der Welt, dieses Geld nicht ruckzuck investiert, ist ein Drama. Nur etwa fünf Prozent der Ausgaben fließen in Deutschland in Bildung, das Land gehört damit zu den Schlusslichtern in ­Europa, in Dänemark zum Beispiel sind es fast acht Prozent.

Auf Youtube gibt es ein seit Jahren beliebtes Video, in dem der Philosoph Richard David Precht über die Zukunft der Schule spricht. "Stellen wir uns einfach mal vor (...): Was machen wir am besten mit Kindern zwischen 6 und 18 Jahren - und es gäbe keine Schule? Und wir müssten jetzt eine Schule erfinden", eröffnet Precht das Gedankenexperiment. Und später: "Ich bin sicher: Das Ergebnis hätte mit 95 Prozent der heu­tigen Schulen nichts mehr zu tun." Prechts These: Unsere Schulen sind in ihrer Grundstruktur trotz aller Reformbewegungen immer noch nach dem Vorbild preußischer Kasernen konzipiert, in denen man Ende des 19. Jahrhunderts fleißige Untertanen ausbildete. Die Gesellschaft heute aber verlange nach dem Gegenteil. "Heute sind genau kreative Menschen das, was wir alle brauchen (...), aber wir bilden immer noch aus, als müssten wir preußische Untertanen hervorbringen."

Ein anderes Video, das vor wenigen Monaten die Facebook-­Timelines rauf und runter lief, zeigt den chinesischen Unternehmer Jack Ma auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Seine Kernaussage: "Alles, was wir unseren Kindern beibringen, muss sich von dem unterscheiden, was Maschinen können." Statt den Fokus wie in den vergangenen 200 Jahren auf das Auswendiglernen von Wissen zu legen, das heute jeder Computer schneller ausspucken kann als jeder Mensch, müsse man Kindern "Werte, Vertrauen, unabhängiges Denken, Teamwork" lehren, dazu kreativen Fächern wie Sport, Musik und Kunst mehr Gewicht geben. Gelinge diese Verschiebung nicht, stehe man in 30 Jahren vor Problemen.

Natürlich ist es ein utopischer Gedanke, unser Schulsystem von Null neu aufzubauen. Betrachtet man die Statements der Kinder und Erwachsenen, die auf den folgenden Seiten unter der Zeile "Was wir uns von Schule wünschen" versammelt sind, wird schnell klar, dass wir alle die Realität und die Machbarkeit miteinbeziehen. Und doch lohnt es sich, ab und an vom Ideal her zu denken, um zwischen Schultoilettendebatten und Zuständigkeitskleinklein nicht die Richtung zu verlieren. "Coole Musik statt immer dieser langweilige Schulgong", schlägt zum Beispiel Isabel, 10, vor. Klingt nach einem kleinen Wunsch. Ist trotzdem eine ziemlich große Idee.

Sie sitzen jeden Tag drin - und kommen doch viel zu selten zu Wort: Deswegen haben wir Dritt- und Viertklässler nach ihrer Meinung zur Schule der Zukunft gefragt(und ein paar Experten noch dazu):

  • Mehr Mut zur Utopie!

    Bildungsdebatten verheddern sich zu oft in Machbarkeits- und Zuständigkeitsfragen. Wir haben deswegen Dritt- und Viertklässler gefragt, was sie sich wirklich von der Schule wünschen - und ein paar Experten noch dazu.

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