Bildung - Kiel:Schummelei beim Abitur: KI soll geholfen haben

Bildung - Kiel: "Abitur" steht auf einer Tafel im Klassenzimmer eines Gymnasiums. Foto: Sina Schuldt/dpa/Symbolbild
"Abitur" steht auf einer Tafel im Klassenzimmer eines Gymnasiums. Foto: Sina Schuldt/dpa/Symbolbild (Foto: dpa)

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Hamburg (dpa/lno) - Irgendwie schwante wohl Hamburgs Schulbehörde schon länger Ungemach. Bereits Anfang März, also noch vor Beginn der Abiturprüfungen, hatte sie allen Schulen ein siebenseitiges Schreiben geschickt, in dem es ausschließlich um den Nutzen und die Risiken der Künstlichen Intelligenz (KI) im Allgemeinen und um das ChatGPT-Programm im Besonderen geht. Am Mittwoch legte sie dann noch einmal nach und präzisierte ihre Informationen auch mit Blick auf Schummelmöglichkeiten bei den anstehenden mündlichen Abiturprüfungen - und war dennoch zu langsam.

Denn wie sich am Freitag herausstellte, könnten mehrere Schüler bei den bereits vom 19. April bis zum 5. Mai terminierten schriftlichen Abiprüfungen mit Künstlicher Intelligenz geschummelt haben. "Der Rechtsabteilung der Schulbehörde sind von Seiten einiger Schulen einzelne Verdachtsfälle gemeldet worden", sagte Schulbehörden-Sprecher Peter Albrecht. Lehrkräften seien beim Korrigieren der Arbeiten Unregelmäßigkeiten aufgefallen, weil Teile der Klausuren mangelhaft, andere wiederum fehlerfrei gewesen seien. Prüfprogramme hätten dann den Einsatz von ChatGPT für möglich gehalten.

Der Chatbot ChatGPT ist die wohl bekannteste Anwendung des amerikanischen Entwicklers OpenAI und ist sei seit November kostenlos verfügbar. Mit Hilfe von KI kann ChatGPT Fragen aus verschiedensten Themenbereichen beantworten oder auch ganze Aufsätze verfassen. Die generierten Beiträge sind dabei teilweise so gut, dass selbst Fachleute Mühe haben sie als Roboter-Texte zu erkennen.

Nach Angaben der Schulbehörde handelt es sich beim ungekennzeichneten Einsatz von KI genauso wie beim widerrechtlichen Einsatz von Smartphones und ähnlichen Geräten in Prüfungen um einen Täuschungsversuch. Ein solcher Fall könne zur Folge haben, dass entweder die Wiederholung eines oder mehrerer Teile der Prüfung angeordnet, einer oder mehrere Teile mit 0 Punkten bewertet oder die Abiturprüfung insgesamt für nicht bestanden erklärt wird.

Ob die Leistungen eigenständig und nur mit Hilfe zugelassener Hilfsmittel und Quellen erbracht wurden, obliege den Mitgliedern des Abitur-Prüfungsausschusses, sagte Albrecht. Dies geschehe in der Regel im Prüfungsgespräch. "Lehrkräfte verfügen in aller Regel über ein ausreichend hohes Maß an Erfahrung und Kompetenz, um zu erkennen, ob Schülerinnen und Schüler Produkte eigenständig oder mit unzulässiger Hilfe angefertigt haben."

In den aktuellen Fällen sehe die Rechtsabteilung der Schulbehörde jedoch keine Möglichkeit, diese sicher nachzuweisen. "Letztlich wird es schwer sein, zweifelsfrei ein Plagiat nachzuweisen, falls der Schüler nicht in flagranti erwischt wurde", sagte Albrecht dem NDR. Werkzeuge zur Überprüfung von KI-generierten Texten würden eben nur angeben, wie wahrscheinlich es sei, dass ein Text mit einer Software erstellt wurde - mehr aber auch nicht. Dem NDR-Bericht zufolge ist mindestens ein Schüler auf frischer Tat ertappt worden. Bei ihm habe die Lehrkraft ein Smartphone gefunden, auf dem ein Programm wie ChatGPT geöffnet gewesen sei. Der Schüler habe den Betrugsversuch eingeräumt.

Stellt sich die Frage: Wie war es überhaupt möglich, dass mutmaßlich ChatGPT zum Einsatz kam? Bei den schriftlichen Abiturprüfungen müssen die Schülerinnen und Schüler all ihre digitalen Geräte ausnahmslos abgeben. "Die Prüfungsaufsicht hat das zu kontrollieren", betonte Albrecht. Aber selbst wenn jemand ein Gerät heimlich genutzt hat, müsste er großes Geschick beweisen. Denn die Antworten von ChatGPT gerade auf Prüfungsfragen sind in der Regel eher länger als kürzer und lassen sich nicht durch einen raschen heimlichen Blick aufs Smartphone erfassen.

"Wir haben bislang noch keine weiteren Informationen dazu", sagte Behördensprecher Albrecht. Allerdings rätsele auch die Behörde, wie die Schummelei unter normalen Umständen möglich gewesen sein soll. Vorstellbar sei nur, dass jemand sehr intelligent ein Zweithandy genutzt habe, ohne dass es aufgefallen sei. Albrecht betonte: "In jedem Fall müssen die Aufsichten ihre Aufgabe sehr ernst nehmen."

In anderen Bundesländern sind ChatGPT-Schummelversuche bislang nicht bekannt, wie eine dpa-Umfrage ergab. Und auch bei der Universität Hamburg (UHH) sind Täuschungsvorwürfe aus den Widerspruchs- und Klageverfahren nicht bekannt. Allerdings gibt es für den Einsatz von KI-Systemen auch noch kein universitätsweites Regelwerk etwa für Seminar- und Abschlussarbeiten, wie die Hochschule einräumte. Eine Sprecherin betonte jedoch: "Statt ein - wahrscheinlich nie erreichbares - Höchstmaß an Kontrolle zu fokussieren, ist es aus Sicht der UHH sinnvoller, mit Studierenden in den Austausch über einen reflektierten Umgang mit der KI zu treten."

ChatGPT selbst weigert sich, Tipps für Abi-Schummeleien mit KI zu geben. "Cheaten ist unfair und unethisch", antwortete der Chatbot auf eine entsprechende Frage. Es sei auch wichtig zu bedenken, dass die Verwendung von KI-basierten Tools in einer schriftlichen Abiturprüfung gegen die Regeln und Vorschriften der meisten Bildungsinstitutionen und Prüfungsaufsichtsbehörden verstoße. "Es ist besser, ehrlich und fair zu sein und deine Prüfung mit deinem eigenen Wissen zu absolvieren."

© dpa-infocom, dpa:230526-99-835214/4

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