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Bildung - Hannover:Minister warnt vor Schulabschlüssen mit "Corona-Makel"

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Hannover (dpa/lni) - Niedersachsens Schüler müssen sich trotz der Corona-Einschränkungen weiter auf ihre Abitur- und Abschlussprüfungen vorbereiten. Der Schulleitungsverband (SLVN) hatte gefordert, die Prüfungen in diesem Jahr auszusetzen und auch auf das Sitzenbleiben zu verzichten. Kultusminister Grant Hendrik Tonne wies das am Donnerstag zurück, ließ sich aber eine Hintertür offen: Das Ministerium halte nicht dogmatisch an den Prüfungen fest, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Hannover. Auch bei Lehrern und Eltern stieß der Vorschlag, die Prüfungen abzusagen, auf Ablehnung. Der Schülerrat warb indes für inhaltliche Anpassungen.

DAS FORDERN DIE SCHULLEITER

Der Schulleitungsverband ist am Mittwochabend mit einem Katalog von acht Forderungen vorgeprescht. Darin dringen die Schulleiter mit Blick auf den Corona-Unterricht auf "einen großen Wurf": Bis zu den Osterferien solle es an allen Schulformen keinen normalen Präsenzunterricht mehr geben, sondern standardmäßig das Szenario B mit Wechselunterricht in geteilten Klassen gelten. Die Abschlussprüfungen sollen entfallen, wobei freiwillige Ersatzleistungen möglich sein sollen. Eine Wiederholung des Schuljahrs solle es nur auf Wunsch des Schülers geben. Das Land müsse zudem dafür sorgen, dass alle Schulbediensteten FFP2-Masken erhalten. Nach bisheriger Planung beginnen die Abiturprüfungen am 19. April.

SO REAGIERT DIE POLITIK

"Mir liegt sehr daran, den Prüflingen auch in der gegenwärtig schwierigen Gesamtlage hochwertige Abschlüsse zuzusichern. Prüfungen zum jetzigen Zeitpunkt abzusagen, ist das falsche Signal", sagte Kultusminister Tonne (SPD). Er warnte davor, dass die Abschlüsse ohne Prüfung einen "Corona-Makel" bekommen könnten. Das sei nicht im Sinne der Schüler. "Es gilt, passgenaue Prüfungsformate anzubieten, um den Jugendlichen das Recht auf Prüfung einzuräumen." Eine finale Planungssicherheit gebe es in der Pandemie allerdings nicht. "Wir hoffen sehr, dass sich durch den allgemeinen Shutdown die Gesamtlage derart stabilisiert, dass diese Planungen halten."

Die Vorgaben für das Abitur stehen bereits auf dem Prüfstand. Alle Prüfungsaufgaben würden im Ministerium noch einmal auf ihre Angemessenheit geprüft und möglicherweise überarbeitet, heißt es in einem Schreiben an die Schulleitungen vom Dienstag. Zudem sollen Inhalte, die dem vierten Semester zugeordnet sind, teilweise nicht prüfungsrelevant sein, um Unwägbarkeiten für den noch bevorstehenden Unterricht im kommenden Halbjahr vorzubeugen. Mit den Maßnahmen soll die Durchführung des Zentralabiturs sichergestellt werden.

Mit Blick auf das Sitzenbleiben betonte Tonne, dass es bereits Erleichterungen für die Schüler gebe. Mit Zusatzleistungen könnten sie sich noch verbessern, wenn die Versetzung gefährdet ist. "Darauf haben sie ein Recht, das war vorher nicht so", erklärte der Minister. "Es gilt zudem das Motto: Im Zweifel für die Schüler!" Bei engen Entscheidungen müssten die Lehrer die besondere Lage berücksichtigen. "Das halte ich für situationsangemessen, ein generelles Aufrücken aller Schülerinnen und Schüler hingegen nicht", sagte Tonne.

DAS SAGEN SCHÜLER, ELTERN UND LEHRER

Die Lehrer dringen auf ein bundesweit einheitliches Vorgehen. Der Vorsitzende des Philologenverbandes Niedersachsen (PHVN), Horst Audritz, sagte, für die Abiturienten wäre es "verheerend", wenn es keine Vergleichbarkeit der Abschlüsse auf Bundesebene gebe. "Auf Prüfungen vorschnell zu verzichten, ist das falsche Signal. Das relativiert die Bedeutung des Abiturs", kritisierte Audritz. Auch der Vorsitzende des Verbands Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL/VDR), Torsten Neumann, betonte, es müssten bundesweit gemeinsame Regelungen getroffen werden. Es dürfe keine "Notabschlüsse" geben, die mit den bisherigen Abschlüssen nicht vergleichbar seien.

Beim Landeselternrat stieß der Ruf, auf Prüfungen zu verzichten, ebenfalls auf Unverständnis. Die Forderung sei "zu kurz gedacht", sagte die Vorsitzende Cindy-Patricia Heine. "Damit hätten wir immer noch keine Lösung für die kommenden Wochen." Wichtiger seien Investitionen in den Infektionsschutz an den Schulen für alle Beteiligten, um möglichst schnell zum Präsenzunterricht zurückkehren zu können. Das hätten die Entscheidungsträger bisher versäumt.

Der Schülerrat begrüßt die Debatte dagegen. Das Kultusministerium solle nicht zu lange mit Anpassungen der Prüfungen warten, sagte der Vorsitzende Florian Reetz am Donnerstag. Den Lernstoff zu ändern oder zu dezentralen Prüfungen zu wechseln, sei schon jetzt kaum mehr möglich. Das Land könne den Schulen aber mit einem "Abschlussprüfungspuzzle" mehr Auswahlmöglichkeiten bei der Gestaltung der Prüfungen geben, schlug Reetz vor. "Die Lehrer wissen am besten, was ihre Schüler verpasst haben oder nicht", sagte er.

DAS MACHEN ANDERE BUNDESLÄNDER

Von einer einheitlichen Linie sind die Länder in Sachen Schule derzeit weit entfernt. So hat Bayern die Faschingsferien im Februar abgesagt, um ausgefallenen Unterricht nachzuholen. In Niedersachsen ist eine solche Änderung der Ferientermine bisher kein Thema. Nordrhein-Westfalen hat seine Abiturtermine bereits im Sommer um neun Unterrichtstage nach hinten verschoben. In Rheinland-Pfalz haben die Abiturprüfungen dagegen schon im Januar begonnen.

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