An Deutschlands Hochschulen werden nach Einschätzung des Wissenschaftsrates zu viele gute Noten vergeben. Das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern stützt sich bei seinem Urteil auf einen bisher unveröffentlichten Bericht über die Examensnoten aller Fachrichtungen.
Demnach haben sich die Zensuren an Universitäten, Fachhochschulen sowie staatlich anerkannten Hochschulen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Im vergangenen Jahr schlossen fast 80 Prozent aller Absolventen ihr Studium mit "gut" oder "sehr gut" ab. Vor zwölf Jahren waren es noch 70 Prozent gewesen. Zugleich ist das Risiko, die schlechteste Abschlussnote "ausreichend" zu kassieren, stark gesunken: Vor zwölf Jahren mussten noch gut vier Prozent diese Zensur hinnehmen, nun sind es nur noch verschwindende 1,1 Prozent.
Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Wolfgang Marquardt, zeigte sich alarmiert. "Der Trend zu besseren Noten darf so nicht weitergehen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Der Bericht des Gremiums stellt Anzeichen für eine "Aufweichung der Bewertungsstandards" und eine "schleichende Noteninflation" fest. In den meisten Fächern werde die Notenskala kaum noch ausgeschöpft. "Unterschiede werden häufig nur noch hinter dem Komma gemacht", sagte Marquardt.
Dies trifft besonders auf Fächer wie Biologie zu, wo fast alle Absolventen (98 Prozent) besser als "befriedigend" abschnitten. Auffallend glänzende Diplomnoten haben zudem Mathematiker, Physiker, Psychologen und Chemiker, danach folgt der Magisterabschluss bei Historikern. Der Bericht belegt große Unterschiede zwischen den Fächern: So sind die beiden Bestnoten im juristischen Staatsexamen mit sieben Prozent nach wie vor eine Seltenheit, auch Human- und Tiermediziner erhalten selten ein "sehr gut".
Kritisch sieht das Wissenschaftler-Gremium zudem die großen Notenunterschiede zwischen den einzelnen Hochschulen. So unterscheide sich der Schnitt im selben Fach je nach Universität um mehr als eine Notenstufe. Ein Germanistik-Student hatte in Gießen bei einem Schnitt von 1,6 eine viel bessere Chance auf eine gute Note als an der Humboldt-Universität Berlin mit dem Schnitt 2,2.
Der Wissenschaftsrat sieht damit eine faire bundesweite Bewertung der Leistung nicht gewährleistet. Für Arbeitgeber, aber auch andere Hochschulen seien die Noten nicht vergleichbar. Dies spielt insbesondere bei Bachelor-Absolventen eine Rolle, die in der Regel nur mit guten Noten ein Master-Studium anschließen können.
Ursache für die enormen Ungleichheiten sind zum einen die unterschiedlichen Kulturen der Fächer, die eine Tradition für harte oder wohlwollende Zensuren hervorgebracht haben. An den einzelnen Hochschulen werde die Prüfungsleistung jedoch vor allem an der Leistung des einzelnen im Vergleich zu anderen Prüfungskandidaten bestimmt. In einer Leistungsschwachen Gruppe ist es demnach einfacher, eine gute Note zu erzielen. Darüber hinaus habe die Note jedoch nur "eine eingeschränkte Aussagekraft", so der Wissenschaftsrat.
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Die Wissenschaftler warnen davor, von den Notenunterschieden auf die Qualität einzelner Hochschulen oder die Anforderungen einzelner Fächer zu schließen. So könnten gute Noten darauf beruhen, dass schlecht Benotete bereits vor dem Abschluss ihr Studium abbrechen. Die Wissenschaftler fordern, wieder mehr unterschiedliche Zensuren zu vergeben und diese so aussagekräftiger zu machen. Zudem müssten die Bewertungsmaßstäbe vereinheitlicht werden.