Benachteiligte Jugendliche:Was Hauptschüler wollen

Ausbildung

Drei mit Hauptschulabschluss realisierbare Lehrberufe: Koch, Tischler, Landwirt.

(Foto: dpa)
  • Rosine Dombrowski hat sich in ihrer Dissertation mit benachteiligten Jugendlichen und deren Übergang von der Schule ins Berufsleben befasst.
  • Viele Hauptschüler haben demnach unrealistische Berufswünsche, in jedem Fall spielen die Eltern bei der Jobentscheidung eine wichtige Rolle.
  • Junge Frauen mit niedrigem oder keinem Schulabschluss haben es schwerer als ihre männlichen Pendants, einen Ausbildungsplatz zu finden.

Von Matthias Kohlmaier

Paradox ist das ja schon: 37 000 Ausbildungsplätze blieben laut dem aktuellen Berufsbildungsbericht im vergangenen Jahr unbesetzt, während fast 21 000 Bewerber für eine Stelle als Lehrling keine solche finden konnten. Es gäbe also Betriebe, die ausbilden wollen und Jugendliche, die lernen wollen - nur finden die beiden Parteien vielfach nicht zusammen. Das hat meist mit dem Anspruchsdenken der Betriebe zu tun, denen ein Hautpschulabschluss oft nicht genügt.

Mit den Jugendlichen, die davon am stärksten betroffen sind, hat sich Rosine Dombrowski in ihrer Dissertation beschäftigt. Die repräsentative Studie mit dem Titel Berufswünsche benachteiligter Jugendlicher hat das Bundesinstitut für Berufsbildung kürzlich veröffentlicht. Dafür wurden Neuntklässler, die die Schule voraussichtlich mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss verlassen werden, nach ihren Jobplänen und deren Hintergründen gefragt. Die wichtigsten Ergebnisse:

Was Neuntklässler werden wollen

Auf die Frage nach den Berufen, die die Jugendlichen anstreben, bekam Dombrowski erwartbare Antworten. Bei den Schülerinnen lagen die Berufe Kauffrau im Einzelhandel (11,6 Prozent), Erzieherin (10,6) und Friseurin (7,1) in der Beliebheit vorn, bei den Schülern Kraftfahrzeugmechatroniker (16,2), Tischler (6,5) und Kaufmann im Einzelhandel (5,7).

Interessant dabei ist, dass mehr als ein Viertel der Befragten zwar plante, sich um eine Lehrstelle zu bewerben - trotzdem aber keinen konkreten Berufswunsch äußern konnte. Deutlich mehr Schüler als Schülerinnen wussten nicht, was sie nach der Schule mit ihrem Leben anfangen wollen (31 zu 20 Prozent). Dieser Umstand deutet darauf hin, dass an den Hauptschulen noch mehr für die Berufsorientierung der Schüler getan werden müsste, speziell wenn der Abschluss kurz bevor steht.

Dombrowski fand auch heraus, dass die Eltern bei der Suche nach einem Beruf eine sehr wichtige Rolle spielen. Jugendliche, in deren familiärem Umfeld das Thema Job oft besprochen wird, hatten demnach eine "um gut elf Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, einen konkreten Berufswunsch nennen zu können als jene, in deren Familie das Thema Beruf im Alltag keine Relevanz hat".

Wie die Chancen stehen, den Traumjob ergreifen zu können

Träumen wird man ja wohl noch dürfen, heißt es. Bei vielen der Jugendlichen in Dombrowskis Studie wird der Wunschjob jedoch mit großer Sicherheit unerreichbar bleiben. Etwas mehr als ein Viertel wollte gern einen Beruf ergreifen, der zum Beispiel ein Studium voraussetzt.

Für junge Frauen entsteht ein doppeltes Problem

Besonders interessant sind bei der Frage nach der Realisierbarkeit des Berufswunsches die Vergleiche zwischen den befragten Gruppen. So hatten mehr als 40 Prozent der jungen Frauen einen Wunsch, der kaum Realität werden wird - aber nur etwas mehr als zehn Prozent ihrer männlichen Pendants. Bei den Schülern zeigte sich ein Unterschied nach Migrationshintergrund: Von den jungen Männern mit Migrationshintergrund hatten 17,7 Prozent einen unrealisierbaren Berufswunsch, bei denen ohne Migrationshintergrund waren es nur 7,5 Prozent.

Auch beim Thema Realisierbarkeit kommt laut Dombrowskis Ergebnissen wieder den Eltern eine wichtige Rolle zu. Wünschten sich die Eltern, dass ihre Kinder nach der Schule studieren, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass selbige einen nicht erreichbaren Wunschberuf angeben, deutlich höher als bei Kindern, deren Eltern sich eine Berufsausbildung für sie wünschen. Kurzum: Hohe elterliche Ziele können gewiss für die Motivation von Kindern förderlich sein. Sie erhöhen bei Hauptschülern aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie beim Übergang von Schule zu Beruf eine Enttäuschung erleben müssen.

Das dürfte insofern zutreffen, als Dombrowski auch feststellt, dass Jugendliche, die zu Beginn der neunten Klasse einen realisierbaren Berufwunsch hatten, am Ende des Schujahres häufiger einen Ausbildungsplatz sicher hatten als ihre Klassenkameraden, die von vornherein auf kaum erreichbare Jobs spekuliert hatten.

Warum Mädchen gegenüber Jungen Nachteile haben

Dass Frauen im Berufsleben noch immer Nachteile gegenüber Männern haben, ist eine Binse und aus tausenderlei Perspektiven beleuchtet. Rosine Dombrowski arbeitet jedoch heraus, dass die Probleme bei den Jugendlichen mit niedrigem oder keinem Bildungsabschluss bereits sehr früh beginnen.

Aus Daten des Statistischen Bundesamtes hat sie errechnet, dass von den für Bewerber mit maximal Hauptschulabschluss realisierbaren Ausbildungsberufen im dualen System nur 11,2 Prozent weiblich (zum Beispiel im Sozialwesen), jedoch fast 74 Prozent männlich (zum Beispiel im handwerklichen Bereich) dominiert sind. Etwa 15 Prozent der Berufe sind demnach "geschlechtsneutral" (zum Beispiel Einzelhandelskauffrau/-mann).

Sich auf einen männlich dominierten Beruf zu bewerben, sei für Schülerinnen nicht nur weniger attraktiv, schreibt Dombrowski, sondern "auch nicht unbedingt aussichtsreich". Für die jungen Frauen entsteht ein doppeltes Problem: Viele beliebte Berufe sind mit ihrem Abschluss nicht zugänglich. Und falls sie sich doch für einen erreichbaren, aber männlichen dominierten Berufszweig interessieren, so haben sie kaum Chancen, sich bei der Suche nach einem entsprechenden Ausbildungsplatz gegen die männliche Konkurrenz durchzusetzen.

Über die Studie

Rosine Dombrowski hat für ihre Dissertation Daten des Nationalen Bildungspanels ausgewertet, die im Herbst 2010 und im Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die Untersuchungsgruppe bestand aus 1374 Jugendlichen, die zum Zeitpunkt der Erhebung in der neunten Klasse einer allgemeinbildenden Schule in Deutschland waren, davon ausgingen, die Schule mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss zu verlassen und sich auf einen Ausbildungsplatz bewerben wollten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: