Süddeutsche Zeitung

Baden-Württemberg:Wo es zum Schulabschluss einen Ausbildungsplatz dazu gibt

Einige Schulen in Baden-Württemberg machen ihren Schülern dieses Angebot. Dafür müssen die Jugendlichen Durchhaltevermögen beweisen.

Von Fabian Busch

Seinen künftigen Arbeitgeber hat Kevin Ulbrich in der achten Klasse kennengelernt. An einem Nachmittag waren Firmenvertreter in der Pfingstbergschule am Rand von Mannheim zu Gast, um ihr Ausbildungsangebot vorzustellen. Kevin Ulbrich absolvierte dann sein erstes Praktikum in einem Betrieb für Kälte- und Klimatechnik. "Das hat mir so gut gefallen, dass ich gleich mehrere gemacht habe." Im Sommer wird er die Schule abschließen, den Ausbildungsvertrag hat er schon in der Tasche. Bei seinem Praktikumsbetrieb, als Mechatroniker für Kältetechnik.

In der achten Klasse hat der Mannheimer einen Vertrag unterschrieben wie die meisten seiner Mitschüler. Einen Ausbildungspakt, in dem sich die Schule verpflichtet, ihm eine passende Ausbildungsstelle anzubieten - wenn er eine Reihe von Pflichten erfüllt: keine unentschuldigten Fehlzeiten, im Halbjahreszeugnis vor dem Abschluss mindestens eine Drei in Mathe und Deutsch. Außerdem muss der Schüler in zwei Jahren 180 Stunden gemeinnütziger Arbeit vorweisen und in seiner Schulzeit sieben Praktika absolvieren.

Ganz schön viel verlangt? Neuntklässler Jan Schumacher findet das nicht. Beim Schreiben von Bewerbungen bekomme man ja Unterstützung. Der 14-Jährige hat vier der sieben Praktika hinter sich - und seinen Traumjob schon gefunden. In der Forstwirtschaft möchte er später arbeiten.

Die Pfingstbergschule ist eine Werkrealschule, so heißt in Baden-Württemberg die Hauptschule, seit Jugendliche dort auch die Mittlere Reife machen können. Viele dieser Schulen bundesweit haben mit Problemen zu kämpfen: sinkende Schülerzahlen und Absolventen, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz auf Ablehnung stoßen, weil sie mit dem Stempel Hauptschule versehen sind.

Georg Busch ist für die Berufsorientierung und damit auch für den Ausbildungspakt zuständig. Die Pfingstbergschule gehört dem Netzwerk "Starke Schule" der gemeinnützigen Hertie-Stiftung an, in dem sich Real- und Hauptschulen austauschen. Bei der Reise zu anderen Mitgliederschulen war der Lehrer auf die Gemeinschaftshauptschule in Gevelsberg zwischen Dortmund und Wuppertal gestoßen. Die hatte bereits einen Ausbildungspakt. Buschs erster Gedanke: "Wie soll das gehen?" Später wurde ihm klar: Das will er an seiner Schule auch umsetzen.

Bevor die ersten Schüler 2013 den Pakt unterschreiben konnten, musste Busch Betriebe suchen, die sie als Praktikanten und Azubis einstellen würden. Der 43-Jährige ist ein Mensch, der seine Arbeitszeit auch mal in die Abende ausdehnt. "Zwei Jahre bin ich Klinken putzen gegangen", erzählt er. "Am Anfang war das sehr mühselig." Große Unternehmen, auch die Stadtverwaltung, winkten ab, weil sie keine Schule bevorzugen wollten. Als dann der erste Betrieb mitmachte, wirkte das wie ein Türöffner. Inzwischen zählt das Netzwerk 16 Firmen mit 32 Ausbildungsberufen, vom Maurer bis zum Steuerfachangestellten.

Wenn Politiker bei jeder Gelegenheit betonen, jeder habe das Recht auf ein Abitur, dann fördere das nicht unbedingt die duale Ausbildung, sagt Busch. Viele Jugendliche fänden es ohnehin bequemer, nach der Mittleren Reife erst mal weiter zur Schule zu gehen. Auch deswegen ist Busch stolz auf die Übergangsquote an der Pfingstbergschule: Mehr als 50 Prozent der Zehntklässler wechselten in den vergangenen Jahren in eine duale Ausbildung.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert schon lange eine allgemeine Ausbildungsgarantie für junge Menschen, seit 2015 gibt es sie im Bundesland Bremen. Allerdings gilt die Garantie dort für alle Schulabgänger. Die Pfingstbergschule dagegen verlangt Gegenleistungen - und nicht jeder Schüler erbringt sie. 90 bis 100 Prozent eines Jahrgangs unterschreiben den Pakt, erklärt Georg Busch. Nur etwa 30 Prozent erfüllen zum Ende hin die Pflichten. Von einer ähnlichen Quote berichtet Ruth Schlünder, die Leiterin der Gemeinschaftshauptschule Gevelsberg.

An der Pfingstbergschule stellen vor allem die 180 Sozialstunden eine Hürde dar. Die können die Schüler zum Beispiel bei der Nachbarschaftshilfe ableisten, indem sie Gartenarbeiten übernehmen oder für ältere Menschen einkaufen gehen. Auch Pausenaufsicht oder Engagement bei der Feuerwehr dürfen sie sich anrechnen lassen. "Es geht uns darum, dass sie Durchhaltevermögen zeigen", sagt Busch.

Die Anforderungen sind aus seiner Sicht gerechtfertigt, auch wenn die Jugendlichen sie in einer Lebensphase erbringen müssen, in der viele anderes im Kopf haben als Praktika, gute Noten und soziales Engagement. "Ich bin überzeugt: Schüler können zehn Mal mehr, als sie glauben. Aber dafür muss man sie fordern und ihnen einen Rahmen vorgeben. Das verlangen sie geradezu." Im Gegenzug wollen die Lehrer ihren Schützlingen zu Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein verhelfen. "Hauptschüler kommen sich häufig ein bisschen abgehängt vor, das ist bei unseren Schülern nicht der Fall."

Der Ausbildungspakt ist auch für Eltern attraktiv, das trägt zur Existenzberechtigung der Pfingstbergschule erheblich bei. Sie sei stabil zweizügig, erklärt Schulleiter Harald Knapp. Unter den seit Jahren schrumpfenden Werkrealschulen Baden-Württembergs ist das eher die Ausnahme. Trotzdem ist die Zahl der Abgänger noch so überschaubar, dass die Schule ihren Teil des Pakts erfüllen kann. Die Atmosphäre in dem Gebäude, das in einem ruhigen, kleinen Vorort liegt, ist familiär, man kennt sich. "Hätten wir 100 Absolventen, wäre es schwieriger", sagt Georg Busch. Aber auch die wirtschaftliche Situation komme dem Konzept entgegen: "Das ist hier eine sehr strukturstarke Region."

An Ausbildungsstellen besteht in Mannheim zwar kein Mangel, doch nicht jeder Schüler bringt die Eigenschaften mit, die den Firmen vorschweben. Da wirke der Ausbildungspakt wie ein kleines Assessment-Center, erklärt Georg Busch, und davon profitierten dann auch die Betriebe.

"Alle Schüler, die ein mehrwöchiges Praktikum bei uns gemacht haben, sind anschließend auch in ein Ausbildungsverhältnis übernommen worden", erklärt Manfred Schnabel, Geschäftsführer von Expert Esch, der Elektromarktkette, die für den Ausbildungspakt wie ein Türöffner wirkte, weil sie als erster Wirtschaftspartner mitgemacht hat.

Bisher musste das Kollegium noch keinen Schüler, der seine Pflichten erfüllt hat, unversorgt lassen. Und es kommt auch kaum vor, dass Lehrer fieberhaft nach Lehrstellen suchen müssen. Wegen der vielen Praktika und der intensiven Beratung ergeben sich für die meisten Pfingstbergschüler ohnehin Aussichten auf einen Ausbildungsplatz. Übrigens auch für die, die ihren Teil des Pakts nicht erfüllen können: Hat ein Betrieb Gefallen an einem Schüler gefunden, sieht er gern mal darüber hinweg, wenn bei den Sozialstunden oder den Noten das Soll nicht ganz erfüllt ist.

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SZ vom 13.03.2017/mkoh
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