Azubimangel:Leerstellen

Immer mehr junge Leute wollen studieren. Ausbilder klagen über unbesetzte Lehrstellen. Muss die Politik den Kurs ändern?

Von Johann Osel

Gleich einem Puzzle fügte sich eine Meldung an die andere in der vergangenen Woche. Zuerst eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft: Demnach hat sich die Zahl unbesetzter Lehrstellen binnen zehn Jahren verdreifacht. Es drohten in vielen Branchen und Regionen "Fachkräfte-Engpässe". Dann meldete das Statistische Bundesamt die neue Studentenzahl: Sie ist wieder gestiegen, auf einen Rekord von fast 2,8 Millionen im laufenden Wintersemester. Seit 2011 liegt die Zahl der Studienanfänger 2015 bei gut einer halben Million. Zum Vergleich: 1995 gab es 260 000 Neulinge. Und mittenmang veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ihren Bildungsbericht: Deutschland stehe bei den Chancen für Jugendliche gut da - es gelinge der Übergang in die Arbeitswelt. Ausdrücklich lobte die OECD dabei das Duale Ausbildungssystem, während sie früher stets vergleichsweise niedrige Akademikerquoten gerügt hatte. Andere Industrienationen haben jedoch in der Regel kein berufliches System. Oft gab es Streit deshalb.

"Nicht jeder pfiffige Abiturient ist an der Hochschule am besten aufgehoben", meint Ministerin Wanka

Längst läuft hierzulande die Debatte, ob es inzwischen zu viele Studenten gibt. Die Treiber sind einerseits Professoren, die eine schleichende Wandlung von Hochschulen in Berufsschulen befürchten; andererseits fehlt vielen Betrieben der Azubi-Nachwuchs. Mehr als die Hälfte eines Jahrgangs zieht es ins Studium, das Centrum für Hochschulentwicklung spricht vom "Normalfall Hochschulbildung". Stärkt der OECD-Bericht nun die Akademisierungskritiker? Ändert die Politik, bisher stets um mehr Studenten bemüht, den Kurs?

Dazu wird kein Minister imstande sein. Der Wissenschaftsrat, das Beratergremium der Bildungspolitik, fordert eine gelungene Balance zwischen Studium und Lehre. Schulen müssten hier besser informieren - etwa durch Berufsorientierung auch an Gymnasien oder Tests, mit denen Schüler ihre Talente prüfen. "Die Entscheidung für Ausbildung oder Studium wird oft mit Sekundärargumenten geführt, leitend ist die gesellschaftliche Reputation, die man sich verspricht", hieß es - weniger "tatsächliche Interessen und Fähigkeiten". Gleichwohl ist klar, dass sich die Ströme kaum steuern lassen. Dies ginge nur, indem Hochschulen ihr Angebot zurückfahren, Interessierte in Scharen abweisen; oder indem die Abiturientenanteile gebremst werden, durch strenges Aussieben an Schulen. Genau das Gegenteil ist politisch gewollt. Und schon jetzt hat die Hälfte aller Studiengänge einen Numerus clausus.

Quoten - also eine Deckelung der Studentenzahl - wären das einzige Instrument. Für Bundesbildungsministerin Johanna Wanka ist das undenkbar. Eine Festsetzung der Studentenzahlen "wäre völlig willkürlich und würde den Grundsatz freier Wahlmöglichkeiten beschränken. Wir müssen jedem, der ein Studium erfolgreich bewältigen kann, die Möglichkeit dazu bieten", sagte die CDU-Politikerin im SZ-Interview. Aber sie wirbt für berufliche Bildung: "Nicht jeder pfiffige Abiturient ist an der Hochschule am besten aufgehoben."

Es wird dauern, bis Berufsbildung wieder an Ansehen gewinnt, Firmen müssen sie zudem attraktiver gestalten. Mecklenburg-Vorpommerns Schulminister, Mathias Brodkorb (SPD), hat mal treffend zum Thema gesagt: Auch nicht-akademische Berufe seien "eine ehrenwerte menschliche Daseinsform" - was die Gesellschaft wieder erkennen müsse.

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