Auswirkungen des G 8:Jünger, aber unsicherer

G 8 dämpft offenbar die Studierlust: Die Quote der Abiturienten, die sich für ein baldiges Studium entscheiden, liegt sechs Prozent unter der von G-9-Abiturienten. Und die Studie zeigt, dass es durch das G 8 noch weitere bemerkenswerte Effekte gibt.

Von Susanne Klein

Ein Jahr früher Abitur machen, damit man jünger studieren und arbeiten kann - das klang einmal nach einer guten Idee, scheitert in der Praxis aber zunehmend am Volkszorn. Keine Neuerung in der Bildung wird so leidenschaftlich abgelehnt wie das achtjährige Gymnasium, das nach Ansicht besorgter Mütter und Väter den Schülern das Leben vergällt. In Bayern, wo die Politik die verhasste Reform soeben beerdigen musste, hat es das G 8 sogar bis ins Bühnenprogramm von Gerhard Polt geschafft. Dort rappen seit zwei Jahren die Satiriker der bayerischen Volksmusik, die Well-Brüder, den Hit "Scola Bavaria". Der Refrain: "Gymnasium bavarium chaoticum / motherfactum G 8 destroiandum / quod erat demonstrandum!"

Bei G8-Abiturienten leidet die Studierfreude und der Trend zum Studienfachwechsel ist größer

Eben diesen Beweis sind Reformgegner jedoch schuldig geblieben. Die Klagen, Kinder und Jugendliche seien gestresster, öfter krank und hätten zu wenig Zeit für Sport oder Musik, konnten Bildungsforscher bislang nicht bestätigen. Weder in Bayern noch anderswo zeigen empirische Studien nennenswerte Unterschiede zwischen Schülern im acht- oder neunjährigen Gymnasium. Kritische Eltern mussten sich deshalb vorhalten lassen, statt Sachargumenten nur gefühlte Nachteile ins Feld zu führen.

Das könnte sich nun ändern. Eine am vergangenen Mittwoch veröffentlichte Studie hat als eine der ersten untersucht, wie sich die G-8-Reform in der Zeit nach dem Abitur auswirkt - und ist dabei auf bemerkenswerte Effekte gestoßen. Die Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin dreht sich um das Studierverhalten von G-8-Abiturienten. Drei Fragen stehen im Zentrum: Wie viele von ihnen haben zu studieren begonnen? Wie eilig war es ihnen damit? Wie ist ihr Studium verlaufen? Die Antworten liefern G-8-Kritikern einige Argumente.

Die Studie zeigt auf Basis der bundesweiten Studentenstatistik von 2002 bis 2014, dass das G 8 die Studierlust dämpft: Die Quote der Abiturienten, die sich für ein baldiges Studium entscheiden, liegt sechs Prozent unter der von G-9-Abiturienten. Im dritten Jahr nach dem Abi schwächt sich der Effekt leicht ab, beträgt aber immer noch signifikante vier Prozent.

Nicht nur die Studierfreude leidet, auch das Bedürfnis nach einer Pause vor dem Studium ist bei Absolventen des Turboabiturs offenbar größer. Diejenigen, die innerhalb der ersten beiden Jahre an eine Hochschule gehen, tun das mit einer um sieben Prozentpunkte geringeren Wahrscheinlichkeit direkt zum nächstmöglichen Wintersemester. Lieber machen sie Praktika, Freiwilligendienste oder längere Reisen. Allerdings nimmt dieser Trend ab, wenn die Reform im jeweiligen Bundesland länger zurückliegt. Wer zur Schule gegangen ist, nachdem sich G 8 dort eingespielt hat, legt kaum öfter Pausen ein als G-9-Absolventen.

Anders liegt der Fall beim Studienverlauf. Während sieben Prozent aller Gymnasialabsolventen innerhalb der ersten drei Semester ihr Studium abbrechen, sind es bei den G-8-Abiturienten acht Prozent. Der Anteil derer, die im ersten Studienjahr das Fach wechseln, steigt sogar um 1,6 Prozentpunkte. Wie lange die Reform zurückliegt, scheint dabei egal zu sein. Für welche Studiendisziplin und Hochschulart - Universität oder Fachhochschule - sich Abiturienten entscheiden, wird von der verkürzten Gymnasialzeit dagegen nicht beeinflusst.

Die Effekte der G-8-Reform seien in den Bundesländern fast gleich, also "genereller Natur", betonen die Studienautoren und fragen: "Sollten aufgrund der Auswirkungen alle Bundesländer zum G 9 zurückkehren?" Das nun auch wieder nicht. Eine Rückkehr würde neue große Veränderungen bedeuten und viele heutige Herausforderungen der Gymnasien auch nicht lösen. Außerdem seien Studienanfänger nach dem G 8 im Schnitt achteinhalb Monate jünger als nach dem G 9. Genau das sollte die Reform bezwecken.

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