Bologna-Reform:Studieren ohne Grenzen - schön wär's

Studenten Rheinland-Pfalz

Denken vielleicht auch bereits über einen Auslandsauenthalt nach: Erstsemester an der Universität Koblenz-Landau im Sommersemester 2014.

(Foto: dpa)
  • Das Bologna-Abkommen sollte es Studenten ermöglichen, jederzeit im Ausland studieren zu können - und die erbrachten Leistungen an der Heimat-Uni angerechnet zu bekommen.
  • Bei etwa einem Drittel der Fälle funktioniert die Anrechnung aber nach wie vor nicht oder nur teilweise.
  • Die Problematik ist zusammen mit finanziellen Überlegungen und der starren Struktur vieler Studiengänge der Hauptgrund vieler Studenten, auf Auslandssemester zu verzichten.

Von Johann Osel

Es klingt alles so schön: Ein oder zwei Semester in der Ferne, ein anderes Land und eine andere Universität kennenlernen, viele Eindrücke sammeln, neue Freunde finden, Fremdsprachen trainieren, vielleicht ein kleines bisschen Urlaubsgefühl genießen, aber vor allem: studieren, inklusive Referaten und Hausarbeiten. Wäre da nicht das, was Hochschülern nach der Rückkehr die Freude trüben kann - mangelnde Anerkennung im Ausland erbrachter Leistungen oder zumindest ein zäher Kampf mit der Verwaltung.

Daran hat die Bologna-Reform nicht viel geändert, die doch einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum mit dem Bachelor schaffen sollte. Das ist einer der Gründe, warum deutsche Studenten weniger mobil sind, als es sich die Bundesregierung erhofft; und warum die Leitthese vom "Internationalisierungsturbo" Bologna-System bislang in der Praxis noch nicht so richtig überzeugt.

Bologna-Reform: 20. Sozialerhebung; Befragung von Zuhause-Bleibenden, Auswahl, Mehrfachnennungen möglich

20. Sozialerhebung; Befragung von Zuhause-Bleibenden, Auswahl, Mehrfachnennungen möglich

(Foto: SZ-Grafik; Quelle: Deutsches Studentenwerk/His-Institut)

Gut 30 Prozent der angehenden Akademiker absolvierten zuletzt einen sogenannten studienbezogenen Auslandsaufenthalt. Damit gemeint sind nicht nur klassische Semester an einer Hochschule, sondern auch längere Sprachkurse und Praktika. Nur etwa ein Fünftel studiert konkret im Ausland. Sehr aktiv sind hier Sprach- und Kulturwissenschaftler, Juristen und Ökonomen. Eher als Reisemuffel gelten im Vergleich Mathematiker, Ingenieure und Naturwissenschaftler. Abschreckend, für alle gleichermaßen: Man weiß nie, ob sich der Aufenthalt am Ende rentiert und als Teil des Studiums gilt.

Diesen Missstand haben die Bildungsminister der 47 Bologna-Staaten nun angeprangert. Im Abschluss-Kommuniqué ihrer Konferenz in Armeniens Hauptstadt Eriwan heißt es: Man wolle "sicherstellen, dass Qualifikationen aus anderen Bologna-Mitgliedsländern auf eben demselben Level anerkannt werden wie heimische Leistungen". Alles andere würde "das Funktionieren und die Glaubwürdigkeit des gesamten Bologna-Raums" infrage stellen. Inwiefern hier ein Vorwurf direkt an die Hochschulen geht, bleibt zwar diplomatisch offen. An einer anderen Stelle des Kommuniqués ist allerdings von "Instrumenten, die nicht immer korrekt genutzt wurden", die Rede. Und wem, wenn nicht den Hochschulen, obliegt es schließlich, die Details der Reform umzusetzen?

Denn: Auf dem Papier gibt es die Voraussetzungen für die wechselseitige Anerkennung der Leistungen. Die Bologna-Staaten haben das "European Credit Transfer and Accumulation System" (ECTS) eingeführt, um Leistungen an einer Hochschule mit Punkten besser zu messen; mehr noch aber, um sie international vergleichbar zu machen. Wurde im alten System nur die Zeit zum Beispiel eines Seminars in Semesterwochenstunden erfasst, wird mit der Punkte-Währung auch der geschätzte Aufwand für die Vor- und Nachbereitung registriert. Das System ist relevant für den Abschluss - ein Student sammelt an seiner Uni in sechs Semestern so viele ECTS-Punkte wie für einen Bachelor nötig. Andererseits soll es zeigen, was jemand im Ausland gemacht hat - das müsste dann in die heimische Bilanz einfließen. Theoretisch.

Besserung in den vergangenen Jahren

Ein Problem ist in den Köpfen zu verorten. Nach wie vor scheint es eine Art Dünkel bei Professoren zu geben, wonach der eigene Lehrstuhl alles am besten macht. Jedoch ist es nachvollziehbar, wenn ein deutscher Dozent einen Kurs, womöglich aus dem armenischen Eriwan, kritisch beäugt.

"Die Anerkennung von Studienleistungen aus dem Ausland muss das Grundprinzip des Denkens werden - und eine Nichtanerkennung im Einzelfall klar begründet werden", sagte der Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Chef der Uni Siegen, Holger Burckhart, der Süddeutschen Zeitung. Das Problem sei, "dass an vielen Hochschulen die Chefetage international denkt, die Wissenschaft in der Breite und die Verwaltung noch längst nicht konsequent".

Minister-Runde

Horden demonstrierender Studenten und besetzte Hörsäle - solche Szenen, 2009 beim "Bildungsstreik", sind vorerst Historie. Es ist nun etwas Ruhe eingekehrt im Bologna-Prozess. Per Reform der Reform wurden vielerorts Studiengänge überarbeitet und entschlackt. Die Bologna-Minister wissen aber, dass Grundziele der Reform längst nicht gut umgesetzt sind: Studenten sollten schneller und passgenauer für Berufe vorbereitet werden, zudem international mobil werden. Die Bologna-Konferenz der mittlerweile 47 Mitgliedsstaaten legt im Takt von zwei bis drei Jahren "vorrangige Ziele" fest. Für die Umsetzung sind aber die Staaten zuständig, sie müssen nicht alles exakt in Politik gießen. Bei der Konferenz Ende vergangener Woche in Armeniens Hauptstadt Eriwan stehen im Abschluss-Kommuniqué eben diese zwei Ziele: "Employability", also "Arbeitsmarktfähigkeit", sowie Mobilität. SZ

Wobei in den vergangenen Jahren schon eine Besserung eingetreten ist. Nach Daten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) wurden zuletzt gut zwei Drittel aller rückkehrenden Studenten ihre Leistungen voll anerkannt. 2007 waren es nur um die 40 Prozent gewesen. Allerdings bleibt damit auch heute noch ein Drittel übrig, dessen Leistungen nicht voll oder gar nicht zählen. Bei jedem Dritten ist also mindestens eine Herabstufung der ECTS-Punktezahl üblich.

Das kann Studenten von vornherein abschrecken, dann meiden sie das Ausland. Laut Umfragen des studentischen Dachverbands fzs, in dem Asten aus der ganzen Republik organisiert sind, befürchten mehr als 40 Prozent der Hochschüler Anerkennungsprobleme. Das größte Hemmnis für Mobilität ist übrigens der finanzielle Aufwand. Auch in Erhebungen des Deutschen Studentenwerks (DSW) stehen die Angst vor fehlender Anerkennung und das Geld bei den Befürchtungen weit oben.

Ein weiterer Aspekt laut DSW: die starre Struktur des Studiengangs. Dies sagen etwa 42 Prozent der Befragten. Auch hier nimmt HRK-Vize Burckhart, der für Deutschland nach Eriwan reiste, die Hochschulen in die Pflicht: "Wir müssen es endlich schaffen, verlässliche Zeitfenster für Auslandsaufenthalte in die Studiengänge einzubauen. Sonst darf man den Studierenden nicht Vorwürfe machen, wenn sie zu Hause bleiben." Der Rahmen für die Hochschulen sei aber oft zu eng gesteckt: Das betreffe auch politische Vorgaben. "Nicht jede Anwesenheitsminute darf mit einem Leistungspunkt versehen sein. Ein Studienplan, der so eng getaktet ist, dass er jede Reflexion verhindert, ist fatal. Und das ist auch nicht die Leitidee eines europäischen Hochschulraums."

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