Süddeutsche Zeitung

Auslands-Schuljahr:Schüler reifen auf Reisen

Was bringt ein Schuljahr in den USA, Kanada oder Frankreich? Mehr Selbstsicherheit, sagt eine Studie der Universität Münster. Doch einige Schüler profitieren mehr als andere von einem Auslandsaufenthalt.

Von Tobias Dirr

Alleine in einem fremden Land, in einer anderen Familie, in einer neuen Klasse. Jedes Jahr machen sich gut 20 000 Schüler zwischen 14 und 16 Jahren auf die Reise, um in den USA, Argentinien oder Australien zur Schule zu gehen. Wenn sie nach einem Jahr Schüleraustausch nach Deutschland zurückkommen, dann haben sie nicht nur schöne Eindrücke gesammelt, ihren Lebenslauf aufpoliert oder ihre Sprachkenntnisse verfeinert - sondern die Auslandsaufenthalte wirken sich auch positiv auf das Selbstbild aus. Zu dem Ergebnis kommt eine neue Studie der Universität Münster.

Für die Untersuchung haben die Forscher 1500 Schüler befragt. Die eine Hälfte ging ins Ausland, die andere Hälfte blieb zu Hause. In regelmäßigen Abständen sollten sie Auskunft darüber geben, wie sie sich selbst einschätzen, ob sie sich wohlfühlen, und wie sie ihre Leistungsfähigkeit sehen. "Dabei haben wir festgestellt, dass bei den Schülern, die im Ausland waren, die positiven Bewertungen zur eigenen Person mit der Zeit angestiegen sind", sagt Mitja Back. Er ist Psychologie-Professor in Münster und hat die Studie gemeinsam mit Roos Hutteman von der niederländischen Universität Utrecht geleitet.

Demnach profitieren insbesondere Schüler, die vor dem Auslandsjahr ein eher schlechtes Bild von sich selbst hatten. Schüler, die zu Hause blieben oder schon immer ein ausgeprägtes Selbstvertrauen hatten, veränderten sich dagegen kaum. Der positive Effekt zeigte sich vor allem bei denjenigen Schülern, die sich im Ausland sozial gut eingebettet fühlten und zum Beispiel neue Freundschaften knüpfen konnten.

Austausch trotz Lernstresses im G 8

Für Uta Julia Schüler vom Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustauschorganisation (AJA) ist das Ergebnis ein Beleg für ihre Erfahrungen aus der Praxis. "Ein Austausch stärkt das Selbstbewusstsein, weil die Schüler sich für andere Kulturen öffnen und darüber auch ihre Herkunft und sich selbst stärker reflektieren." Unter dem Dach des AJA versammeln sich sechs gemeinnützige Organisationen, die Austauschprogramme anbieten. Etwa 4000 Schüler nehmen an einem solchen Programm teil, die übrigen Aufenthalte organisieren private Agenturen.

Die beliebtesten Ziele sind dabei die USA, gefolgt von Kanada, Neuseeland und Australien. Je nach Land kostet ein solcher Aufenthalt zwischen 7000 und 14.000 Euro. Dafür gibt es allerdings die Möglichkeit, ein Stipendium zu ergattern, der AJA zum Beispiel investiert jährlich vier Millionen Euro dafür. Geld, das nach wie vor benötigt wird.

Entgegen den schlimmsten Befürchtungen sei nämlich die Anzahl der Austausche mit Einführung des achtjährigen Gymnasiums (G 8) nicht zurückgegangen, sagt Uta Julia Schüler. Trotz Lernstress durch die verkürzte Schulzeit blieben die Zahlen seit Jahren konstant: "Bei den ersten G-8-Jahrgängen war die Panik noch groß, jetzt hat sich das alles eingespielt." Viele Schüler nutzten den Austausch vielmehr, um sich "ihr eigenes G 9 zu bauen", indem sie nach der Rückkehr die Klasse wiederholen. Einzig bei den reinen Bewerberzahlen sieht Schüler einen Rückgang, ob dieser mit dem G 8 zusammenhänge, ließe sich jedoch keineswegs genau sagen.

Eine sinkende Tendenz zeigt sich dagegen beim Alter der Schüler, manche sind heute erst 14 Jahre alt, wenn sie ins Ausland aufbrechen. Ein Problem sei dies aber nicht, sagt Schüler. "Den Unterschied merken wir nicht." Denn die Eignung der Schüler werde ohnehin in Auswahlgesprächen festgestellt - und nicht jeder sei geeignet. "Es ist echt heftig, als 15-Jähriger ein Jahr ins Ausland zu gehen." Aber genau die Erfahrungen sind es, die nach Ansicht der Forscher aus Münster dazu beitragen, dass sich durch den Aufenthalt die Persönlichkeit entwickelt. Professor Back sagt: "Wir haben die Schüler nicht nur direkt nach dem Aufenthalt befragt, sondern später noch einmal. Der Selbstwertanstieg war auch dann noch sichtbar."

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SZ vom 11.08.2014/kjan
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