Meinungsfreiheit in der Schule:"Ich lasse mich nicht einschüchtern"

Anti-Terrorism Vigil Held For Beheaded Teacher

Eine Lehrerin und ihre Tochter zeigen bei einer Demonstration in Paris ihre Solidarität mit dem ermordeten Lehrer Samuel Paty.

(Foto: Kiran Ridley/Getty Images)

Nach dem islamistischen Attentat auf einen Lehrer in Frankreich erklärt eine deutsche Lehrerin, wie dieser Mord auch ihren Unterricht beeinflusst, welche Widerstände sie in ihren Klassen erlebt und warum sie nur anonym redet.

Interview von Christian Wernicke

Der Mord in Paris hat die deutsche Lehrerin erschüttert. Sie will anonym bleiben - denn auch sie hatte, wie der französische Lehrerkollege Samuel Paty, Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt, um ihren Zehntklässlern an einer großen Realschule im nördlichen Ruhrgebiet anschaulich zu erklären, was das bedeutet: Meinungsfreiheit in der Demokratie. 2015, nach dem islamistischen Terror-Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, hatte die erfahrene Pädagogin das zum ersten Mal gemacht.

SZ: Was haben Sie gedacht, als Sie vor zehn Tagen vom Attentat auf den Lehrer Samuel Paty erfuhren?

Lehrerin: Ich war fassungslos. Und als ich hörte, der Mann sei enthauptet worden, war mir klar: Das kann nur ein islamistischer Anschlag sein.

Dann wurde bekannt, dass dieser Lehrer auch die von vielen Muslimen verachteten Mohammed-Karikaturen thematisiert hatte, als Teil eines modernen Unterrichts zu Meinungs- und Religionsfreiheit.

Sorry, das ist kein moderner Unterricht - das ist normaler Unterricht! Wir wollen und müssen unseren Schülern im Politikunterricht den Wert der Grundrechte vermitteln. Das ist nicht modern, das ist Pflicht.

Aber vielleicht ist es mutiger Unterricht in Klassen mit muslimischer Mehrheit.

Ja, vielleicht. Es kommt immer darauf an, wer vor einem sitzt. Bei mir in der Klasse sind bis zu 90 Prozent muslimischen Glaubens (lacht). Okay, manchmal sind auch nur 85 Prozent wirklich gläubig.

Erfordert es da Courage, zu erklären, dass in einer Demokratie jede Religion die Grundrechte oder den Vorrang der Politik zu respektieren hat?

Bisher hatte ich das so nie empfunden. Aber jetzt, nach dem Mord an dem Kollegen, ist mir dieser Gedanke auch gekommen. Ich habe unter meinen Schülern keine verblendeten Islamisten. Was sich aber deutlich verändert hat in den vergangenen zehn Jahren ist, dass junge Muslime sich stärker am Glauben orientieren, sich Halt suchen. Und sie verlangen voneinander, einzuhalten, was sie als Regeln des Islam begreifen. Das liegt auch daran, dass diese dritte oder vierte Generation der Zuwanderer die soziale Benachteiligung deutlicher spürt als die erste oder zweite.

Woran merken Sie das?

Junge männliche Muslime verlangen in der Klasse, dass die Mädchen ihre Arme bedecken und dass deren Hosen die Fußknöchel bedecken. Zwar trägt nur jedes fünfte Mädchen ein Kopftuch. Aber wenn ein Mädchen, das bisher Kopftuch trug, dieses ablegt, dann wird sie von der muslimischen Gemeinschaft an der Schule übelst gemobbt. Ganz schlimm. Ich hab's aus der Nähe miterlebt: Nach drei Wochen hat das Mädchen aufgegeben und das Kopftuch wieder aufgesetzt.

Da können Sie als Lehrerin nichts ausrichten?

Ich hab's versucht. Aber alle wenden sich von dem Mädchen ab, die ganze Schule starrt sie an. Und gegen den Druck, der da auch über die sozialen Medien läuft, kommen Sie nicht an. Ganz ehrlich, ich hätte an deren Stelle das Kopftuch auch wieder aufgesetzt.

Wie lehrt man in diesem Klima dann Politik, Demokratie, Toleranz?

Meine Schüler befolgen ja die Regeln des Grundgesetzes, zumindest im Unterricht. Schwierig wird's, wenn man Kritik übt und etwa darlegt, dass nirgendwo im Koran etwas von der Kopftuch-Pflicht geschrieben steht. Dann halten mir, vor allem männliche Schüler, irgendwelche Suren vor, in denen angeblich steht, was da eben nicht steht. Aber ich gebe zu: Diese Art von Unterricht mache ich nur mit Klassen, in denen ich sechs, acht Stunden die Woche unterrichte. Denn diese Konflikte verlangen natürlich Vertrauen.

Sie können also nicht von heute auf morgen plötzlich die berühmte Mohammed-Karikatur verteilen, auf der der Prophet eine Bombe als Turban trägt?

Nein, das geht nur, wenn ich die Schüler gut kenne. Und sie mich. Das erste Mal habe ich die Karikatur 2015 gezeigt, nach dem Attentat auf Charlie Hebdo. Das war kontrovers. Kein Schüler hat zwar das Attentat gebilligt. Aber ebenso wollte auch niemand billigen, dass man diese Mohammed-Karikaturen verbreitet. Dieser Widerspruch bleibt.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands warnt, es herrsche mittlerweile ein "Klima der Einschüchterung" an Brennpunktschulen, um etwa Antisemitismus zu thematisieren.

Es wird schwieriger - ja. Wir alle wissen: Es gibt mehr islamistische Attentate, der Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin ist passiert. Es gibt diese Irren, auch deshalb führe ich dieses Gespräch mit Ihnen nur anonym. Mich plagt zwar keine Angst vor meinen Schülern. Aber wenn die per Whatsapp oder Instagram etwas über meinen Unterricht teilen, können das auch ein paar verblendete Typen von außen aufschnappen. Fundamentalisten aus anderen Städten, Verwirrte - was weiß ich. Es muss ja nicht gleich ein Attentat sein, vielleicht zerkratzen die auch nur mein Auto.

Der "normale Unterricht", von dem Sie anfangs sprachen, wird heikler?

Ja. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Ich werde jetzt über das Attentat reden - aber vorerst ohne die Karikaturen. Und sobald ich in einer Klasse das Interesse, das Vertrauen spüre, hole ich auch die Karikaturen wieder raus. Jetzt erst recht!

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