Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus in Schulen:Religiöses Mobbing ist kein Fall für Toleranz

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Wenn muslimische Kinder andersgläubige Mitschüler drangsalieren, muss das deutliche Konsequenzen haben. Doch die nun bekannt gewordenen Fälle sind kein "Islamismus-Trend" an Grundschulen.

Kommentar von Matthias Drobinski

Wieder einer dieser Fälle, die Anlass geben zu Sorge und Zorn: Eine Grundschülerin, deren Mutter Jüdin ist, wird von muslimischen Mitschülern beschimpft und gemobbt; schon im Kindergarten hat das Mädchen zu hören bekommen, sie gehöre umgebracht, weil sie nicht an Allah glaube. Und die Schulleitung reagiert offenbar halbherzig, hilflos, in falscher Weise tolerant.

Wie strittig die Details des Vorfalls sein mögen: Religiöses Mobbing ist kein Fall für Toleranz. Es ist ein Grundrecht, nicht beschimpft und bedroht zu werden, weil man einer Religion angehört; es ist ein Grundecht, nicht von den religiösen Vorstellungen anderer bedrängt zu werden. Das muss in jeder Schule gelehrt, gelebt und geübt werden. Verstöße dagegen müssen für die gesamte Schulgemeinschaft wie für die Eltern deutlich sichtbare Konsequenzen haben; sie dürfen nicht geräuschlos auf dem kleinen Dienstweg erledigt werden. Es geht um die Grundregeln des Zusammenlebens in Deutschland.

Die Kinder auf dem Schulhof sagen ja, was die Eltern denken und sagen; Eltern, die häufig aus dem Nahen Osten kommen, wo Antisemitismus Staatsräson ist und auch Vorurteile gegenüber Christen wachsen. Schulhöfe waren schon immer gnadenlose Verstärker des im Erwachsenenkreis Geraunten und Gesagten - und so spiegelt und verstärkt sich dort auch die Juden- und Christenfeindschaft, die leider in mancher Moschee gepredigt wird. Auch deshalb darf religiöses Mobbing nicht als unreifes Geschwätz abgetan werden, darf es nicht damit entschuldigt werden, dass hier halt Kinder ihre Chancenarmut mit religiöser Überheblichkeit zu kompensieren versuchen. Wenn jüdische Eltern in Deutschland Angst haben, ihre Kinder auf eine öffentliche Schule zu schicken, muss das alarmieren.

Die neue Aufmerksamkeit sollte allen helfen, die an den Schulen für mehr Toleranz arbeiten

Aber sind die nun bekannt gewordenen Fälle religiöser Übergriffigkeit tatsächlich Zeichen eines Trends? Rechtfertigen sie gar einen "Islamismus-Alarm an Grundschulen", wie die Bild-Zeitung titelt, wie auch andere Medien aufgeregt berichten? Fragt man Sozialarbeiter, Schulpsychologen und Mitarbeiter von Initiativen gegen Antisemitismus in Berlin, ist die Antwort differenzierter: Solche Übergriffe gibt es - nicht erst seit der Flüchtlingskrise 2015. Sie haben aber nicht signifikant zugenommen. Sie gehören nicht verharmlost, der Hype um den angeblich sich ausbreitenden Islamismus an den Grundschulen ist aber ein Medienphänomen.

Solche Aufmerksamkeit kann ihr Gutes haben. Sie kann Lehrer, Eltern, Schüler für ein Problem sensibel machen, das bislang unterschätzt wurde. Sie kann Schulleitungen zeigen: Es darf hier nicht ums Image der Schule gehen. Und sie kann den vielen Lehrern, Sozialarbeitern, Psychologen und Initiativen helfen, die für Toleranz an den Schulen arbeiten. Die gibt es nämlich schon seit vielen Jahren, und ihre Arbeit, die nie zur Schlagzeile wird, kann man nicht hoch genug loben.

Wenn Journalisten aber - getreu der Boulevard-Faustregel, der zufolge ein Fall ein Einzelfall ist, zwei Fälle ein Trend sind und drei eine Massenbewegung - nun den großen Islamismus-Alarm schlagen, helfen sie den bedrängten Kindern nicht. Sie helfen auch nicht, wenn sie vor lauter Angst, als Verharmloser dazustehen, die Rationalität vergessen, verdrängen, ignorieren. Dann lassen sie den Islamhassern freien Lauf, die ihr eigenes religiöses Mobbing betreiben - und sind nicht besser als ein überforderter Schulleiter.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2018
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