Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus an Schulen:Der Klassenfeind

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Ein jüdischer Schüler in Berlin wird von seinen Mitschülern gemobbt, bis ihn seine Eltern von der Schule nehmen müssen. Sein Leiden ist kein Einzelfall.

Von Verena Mayer und Thorsten Schmitz

Paul heißt nicht wirklich Paul. Seinen echten Namen möchten der sportliche Vierzehnjährige und seine Eltern nicht veröffentlicht sehen. Fotografieren lässt er sich schon gar nicht. Die Angst ist noch immer zu groß. Bis heute bekommt Paul Whatsapp-Nachrichten von ehemaligen Mitschülern.

Nachrichten, in denen sie über ihn herziehen - weil er Jude ist.

Drei Tag lang genoss Paul die Gemeinschaftsschule in Berlin-Schöneberg, für die er und seine Familie sich entschieden hatten, weil ihnen die "bunte Mischung" gefiel, auf die Schule gehen viele türkisch- und arabischstämmige Jugendliche. Doch alles änderte sich, als Paul im Ethikunterricht beiläufig erwähnte, dass er schon mal in einer Synagoge war, weil er Jude ist. Erst sei es "ganz still in der Klasse geworden", erzählt Paul in der Wohnung seiner Familie in Berlin. Danach ging das Mobbing los. Schüler schleudern ihm ins Gesicht: "Fick Israel!", sagen: "Juden sind alle Mörder." Er bekommt Schläge in den Nacken und wird einmal so heftig geboxt, dass er glaubt, sich übergeben zu müssen. An manchen Nachmittagen kommt er mit Blutergüssen nach Hause.

Pauls Fall hat inzwischen über Berlin hinaus Schlagzeilen gemacht. Wie kann es sein, dass ein Schüler vor den Augen von Lehrern und Schulleitung dermaßen gemobbt wird, dass die Eltern ihn nach nur vier Monaten von der Schule nehmen müssen? Die Antworten darauf liefert der Expertenkreis Antisemitismus, der kürzlich im Berliner Reichstag seinen neuen Bericht vorgestellt hat. Eine Zahl daraus ist besonders erschreckend: Während der "klassische" Antisemitismus zurückgehe, finde der "israelbezogene Antisemitismus" bei 40 Prozent der Bevölkerung Akzeptanz. Eine weitere Kernaussage: Immer mehr Juden in Deutschland verheimlichten, dass sie Juden seien.

Paul und seine Eltern wollten allerdings die Hoffnung nicht aufgeben, dass ein jüdisches Kind im Jahr 2017 auf eine Berliner Schule gehen kann, in der auch Kinder aus arabischen und türkischen Familien lernen. Sie schrieben E-Mails, machten Lehrern und Sozialarbeitern Vorschläge, einmal kamen sogar Pauls Großeltern, die den Holocaust überlebt haben, in den Unterricht und erzählen von ihrem Kampf ums Überleben in Nazi-Deutschland. Doch Pauls Tortur nahm kein Ende, sie steigerte sich zu roher Gewalt. Einmal wird er an einer Bushaltestelle gewürgt und mit einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole bedroht.

"Hier an der Schule ist Antisemitismus ein neues Thema"

Die Eltern sagen, sie hatten das Gefühl, der "strukturelle Antisemitismus und Rassismus" unter Jugendlichen sei an der Schule unterschätzt worden. Auch der Direktor der Schule räumt inzwischen ein, er hätte sich früher persönlich einschalten müssen. Damals sei ihm "nicht aufgefallen", dass Paul über Monate hinweg gemobbt wurde. "Hier an der Schule ist Antisemitismus ein neues Thema."

Wie lässt sich dieser Antisemitismus bekämpfen? Nicht so, wie es an deutschen Schulen üblich sei, sagt Aycan Demirel von der "Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus", die seit Jahren in Schulkassen geht und mit Jugendlichen arbeitet. "Viele glauben, wenn man die deutsche Geschichte bearbeitet, hat man die Schüler gewissermaßen geimpft. Es ist zwar immer gut, Synagogen und Gedenkstätten zu besuchen. Aber gegen Ideologien und Verschwörungstheorien hilft das wenig." Vielmehr müsste man Lehrer und Jugendliche schulen und die muslimischen Gemeinschaften einbeziehen. Gerade muslimische Jugendliche machten in Deutschland selbst ständig Diskriminierungserfahrungen. Aus dem Gefühl heraus, ein Opfer zu sein, suchten sich einige dann Identifikationsfiguren, die versprechen, sich im Namen des Islam zu wehren, sagt Demirel. Oft seien das Mitglieder von Hamas und Hisbollah. "Und die vermitteln: Wenn man Juden schadet, beweist man besondere Stärke."

Paul geht seit ein paar Wochen auf eine internationale Schule. In seiner Klasse ist er einer von vier Juden. Er macht jetzt auch Karate. Er lernt schlagen, treten, blocken. "Es geht mir gut", sagt er. Stark will er sein, sich wehren können. Nie wieder, hat er sich vorgenommen, möchte er Opfer sein.

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