Angestellte Pädagogen in Sachsen:Anomalie zu Lasten der Lehrer

Streik im öffentlichen Dienst

Zerplatzte Hoffnungen: Beim Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst vor gut einer Woche blieben die angestellten Lehrer einmal mehr außen vor.

(Foto: dpa)

Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst hat die angestellten Lehrer außen vor gelassen. Das bedeutet weniger Geld für die Pädagogen - und ein immenses Nachwuchsproblem für das Land Sachsen. Hier wurde seit der Wende kein Lehrer mehr verbeamtet.

Von Cornelius Pollmer

Am Donnerstag hat Holger Zastrow einen Preis bekommen und man kann sagen, dass damit vor allem seine Bildungspolitik gewürdigt wurde. Man muss auch sagen, dass die "Eule 2012" eine Negativ-Auszeichnung ist, vergeben vom Sächsischen Beamtenbund (SBB). Bei der Verleihung im Landtag sagte ein Vertreter des SBB, der Landes- und Fraktionsvorsitzende der FDP habe zum Beispiel die gerechte Eingruppierung von Lehrern an Mittelschulen verhindert.

Zastrow verschränkte die Arme, bemühte sich, möglichst abwesend zu wirken, dann setzte er zur Gegenrede an: Seine Kritik an den Lehrern sei keine "am einzelnen Mitarbeiter, sondern am System, das den öffentlichen Dienst ausmacht". In diesem gebe es keine Leistungsgerechtigkeit, sondern ein Lohngefüge, das "mit dem normalen Leben nichts zu tun hat. Aber überhaupt nichts".

Richtig daran ist, dass in Sachsen der Lehrerberuf wie überhaupt der öffentliche Dienst im Vergleich zu anderen Branchen sehr ordentlich entlohnt wird. Richtig ist aber auch die Geschichte von Wolfgang Renner, der Zastrow am Donnerstag gegenübersaß und der ihm bei der Gelegenheit ruhig seine Familiengeschichte hätte erzählen können. Sie geht so: Renner ist 60 Jahre alt, er unterrichtet als angestellter Lehrer Mathematik und Physik an einer Mittelschule im sächsischen Freiberg. Der Sohn von Wolfgang Renner heißt Carsten, er ist 32 Jahre alt und verbeamteter Gymnasiallehrer für Geschichte und Englisch im bayerischen Kulmbach.

"Ich werde mich hüten, nach Sachsen zurückzukommen"

"Das erste Gehalt, dass er dort bekommen hat, war in etwa so hoch wie meines nach 35 Dienstjahren", sagt Wolfgang Renner. Manchmal sitzen er und Carsten zusammen und reden über die Arbeit, sie streiten dann nicht, aber was soll Wolfgang Renner auch entgegnen, wenn sein Sohn sagt: "Siehste Vati, Du kämpfst jetzt schon seit so vielen Jahren und erreichst nichts - ich werde mich hüten, nach Sachsen zurückzukommen."

Dass die angestellten Lehrer beim Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst vor gut einer Woche mal wieder außen vor blieben, war vor allem für Pädagogen in Sachsen eine schlechte Nachricht. Seit der Wende ist hier kein einziger Lehrer verbeamtet worden, nur Schulleiter und ihre Stellvertreter konnten diesen Status erreichen. Der Anteil angestellter Lehrer liegt bei fast 97 Prozent. In Berlin und Nordrhein-Westfalen sind etwas mehr als 20 Prozent der Lehrer angestellt, in Hessen und Baden-Württemberg weniger als zehn Prozent.

Die Anomalie Sachsens geht zurück auf eine Kultusministerkonferenz von 1993. Damals wurde über die Anerkennung jener Lehrer verhandelt, die in der DDR ausgebildet worden waren. Während die anderen Ost-Länder ihre Pädagogen in den folgenden Jahren über Hochgruppierungen und Verbeamtungen an den bundesweiten Durchschnitt heranführten, wählte Sachsen einen anderen Weg.

Überalterte, schlecht bezahlte Lehrer und mehr Schüler

Zum einen hieß es schon unter Kurt Biedenkopf, dem ersten Ministerpräsidenten: Verbeamtungen für Lehrer sind Gift für die Pensionskassen. Die Landesregierung argumentierte mit dem Geburtenknick und der dadurch erforderlichen Flexibilität bei der Beschäftigung von Lehrern. Zum anderen gingen Gewerkschaften und Verbände diesen Weg zunächst mit, um Entlassungen möglichst zu vermeiden. "Das sind zwei Stränge zusammengekommen, die bis heute halten", sagt Eva-Maria Stange, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion.

Die Eingruppierung der Pädagogen erfolgte einseitig über Arbeitgeberrichtlinien. Das hatte zur Folge, dass sächsische Lehrer bis zu drei Besoldungsgruppen schlechter eingestuft werden konnten als vergleichbare Kollegen in anderen Ländern. Bislang war das vor allem ein Problem für die Lehrer selbst - bald könnte es eines für das ganz Sachsen werden. "Wir schwingen uns so langsam ein", sagt Stange, "es gehen jetzt jährlich mehr Lehrer in den Ruhestand." Im Jahr 2030 werden 80 Prozent der heutigen Lehrkräfte pensioniert sein, von 2016 an wird das Land jährlich bis zu 1600 Lehrer einstellen müssen.

Die wenigen Einstellungen nach den geburtenschwachen Jahrgängen Anfang der Neunzigerjahre haben zu einer Überalterung der Lehrer geführt. Nun aber steigen die Schülerzahlen wieder, bis 2020 um 20.000. Angesichts dieser Zahlen könnte die Landesregierung "ein bisschen von dem zurückgeben, was in den letzten Jahren von den Lehrern an Zugeständnissen gemacht worden ist", sagt Sabine Gerold, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung- und Wissenschaft (GEW).

Sachsen wird seinen Lehrer-Bedarf nicht mehr decken können

Überalterte, schlecht bezahlte Lehrer und mehr Schüler - dieses Dilemma ist als Prognose mit hoher Sicherheit absehbar: zu den jetzigen Konditionen wird Sachsen seinen Bedarf an "frischen" Lehrern nicht decken können. Doch das Einzige, was in der Bildungspolitik zuletzt ins Rollen kam, das waren Köpfe. Vor einem Jahr trat Kultusminister Roland Wöller (CDU) zurück, weil er den Sparkurs in der Schulpolitik der schwarz-gelben Koalition nicht mittragen wollte. Im Sommer dann schmiss auch Thomas Colditz hin, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.

Die Wut von Colditz ist noch nicht verflogen, man muss ihn nur anrufen, um das zu hören. Er sagt: "Mich nervt es langsam, wir reden seit zwei Jahren über das Theater." Es geht ihm wie auch der GEW und vielen Lehrern längst nicht mehr um die Verbeamtung. Es geht um höhere Eingruppierungen, vor allem an Mittel- und Förderschulen. "Wenn wir sagen, wir haben das beste Schulsystem, bezahlen die Lehrer aber schlechter, dann geht da was nicht zusammen." Das Bundesland belegt bei Bildungsvergleichen immer wieder Spitzenplätze.

Wenn der Konflikt zwischen Land und Lehrern nicht bald beigelegt werde, dann schlage dies auf den Unterricht durch, sagt Colditz. Und: Vielleicht helfe es, dass in Sachsen nächstes Jahr ein neuer Landtag gewählt wird. "Man kann mit Bildungspolitik keine Wahl gewinnen", sagt er, "aber man kann damit furchtbar auf die Nase fallen. Das sollte meine Partei bedenken."

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