Süddeutsche Zeitung

Afrika:Campus der guten Hoffnung

Eine Akademie sucht die Führungskräfte von morgen. In Politik und Wirtschaft sollen sie korrupte Eliten ablösen. Es ist das wohl anspruchsvollste Bildungsprojekt des Kontinents.

Von Tim Neshitov

Die jungen Menschen hier haben viel Platz zum Lernen, zum Schlendern, zum Sportmachen. Sie haben weiche, gepflegte Rasen und überall auf dem Campus den roten, kühlen Backstein, der an das Eton College in Berkshire denken lässt, ohne koloniale Hintergedanken, der Backstein ist einfach angenehm zum Angucken und zum Anfassen. Sie haben hier eine riesige Bibliothek, während die Büros der Schulleitung betont klein sind.

Man sollte kein Urteil über Schulen abgeben, zumal über Internate, an denen man nicht selber die Schulbank gedrückt hat, aber die African Leadership Academy (ALA) nahe Johannesburg macht einfach einen guten Eindruck. Die Schule befindet sich eine Autostunde nördlich von Johannesburg, in der sonst tristen Siedlung Honeydew. Viel Raum - das ist wichtig in Afrika, denn viele Afrikaner leben in Slums, wo Raum das wichtigste Gut von allen ist, auf jeden Fall das knappste; etwas, das auch dann noch fehlen wird, wenn man sich um Trinkwasser, Abwasser und ein dickes Schloss an der Blechtür gekümmert hat.

An der African Leadership Academy, das ist der Anspruch der Schule, wird die künftige politische und wirtschaftliche Elite des Kontinents herangezogen. Der Gründer der Einrichtung, Fred Swaniker, ein Unternehmer aus Ghana, möchte keine Eliten mehr sehen, die ihre Gesellschaften bestehlen und dann noch an ihren Sesseln kleben. Solche Eliten wollen zwar die meisten Afrikaner nicht sehen, aber nur wenige investieren aus diesem Grund in Bildung.

Es hat, grob überschlagen, drei Generationen von Eliten im postkolonialen Afrika gegeben. Erst: die Väter der Unabhängigkeit, die Heiligen. Dann die Brutalo-Kleptokraten à la Idi Amin in Uganda oder Mobutu Sese Seko in Zaire. Zuletzt die Gutwilligen wie Paul Kagame in Ruanda oder Ellen Johnson Sirleaf in Liberia. Diese letzten nennt Fred Swaniker eine "stabilisierende Generation". Aber er will eine vierte Generation, die funktionierende Institutionen aufbaut und Wohlstand schafft. Bis 2050 werden in Afrika eine Milliarde Menschen im arbeitsfähigen Alter leben. Entweder werden sie arbeiten oder sie werden etwas anderes machen. Gute Führungskräfte in Afrika seien im Interesse der ganzen Welt, sagt Schulgründer Swaniker.

Seine Akademie ist ein Magnet. Im vergangenen Jahr bewarben sich viertausend Schüler aus ganz Afrika, nur hundert wurden angenommen. Viele von ihnen kommen aus armen Familien, und es geht ihnen natürlich um mehr als um den weichen Campus-Rasen. Es geht ihnen sogar um mehr als um gute Bildung.

Gigi Ngcobo, eine ruhige, druckreif sprechende, 19 Jahre alte Schülerin aus dem südafrikanischen Durban - aufgewachsen, wie sie sagt, in "ziemlich bescheidenen Verhältnissen" - erzählt von ihrer Oma. Die Großmutter sei Analphabetin, sie habe Gigi gefragt: "Habt ihr an eurer Schule auch weiße Lehrer?" Es gibt an der ALA tatsächlich einige weiße Lehrer, aber das sei nicht der Punkt, sagt Gigi. Ihre Oma glaube nämlich, dass man bei schwarzen Lehrern nichts Ordentliches lernen könne. "Genau diese Mentalität müssen wir überwinden."

Othmane Fourtassi aus Marocco, 18 Jahre alt, ist in seiner Heimat bereits auf eine Elite-Schule gegangen, er kommt aus der sogenannten gehobenen Mittelschicht. Aber erst hier habe er begriffen, dass es egal sei, aus welcher Schicht man komme. "Bei der Aufnahme wird danach entschieden, wie klug und gesellschaftlich engagiert einer ist. Dann darf jeder hier seine eigene Stimme finden, sein Ich."

Die Schüler absolvieren an der ALA nur die beiden letzten Jahre vor dem Abitur, sie kommen also mit stark vorgeformten Ichs, aber diese Schule soll aus ihnen trotzdem Afrikas Führungselite machen. Es ist vermutlich das anspruchsvollste Bildungsprojekt, das auf diesem Kontinent je ins Leben gerufen wurde.

Bildung kostet an der ALA nichts, nach dem Abitur werden die Absolventen an die besten Universitäten der USA geschickt. Auch dort müssen sie nichts zahlen, aber sie verpflichten sich, nach dem Studium nach Afrika zurückzukehren und in ihrer jeweiligen Heimat entweder in der Wirtschaft oder in der Politik zu arbeiten. Derzeit lernen an der African Leadership Academy 190 Schüler aus 40 Ländern.

Der Mann dahinter, Fred Swaniker, wird bald vierzig Jahre alt. Vor einpaar Jahren lobte ihn bereits US-Präsident Barack Obama: "Danke, Fred, für die tolle Arbeit, die Sie leisten." Im vergangenen Oktober sprach Swaniker über seine Arbeit auf der Ideenkonferenz Ted. Im Alter von vier Jahren habe er seinen ersten Staatsstreich erlebt, in Ghana, die Familie sei daraufhin nach Gambia geflohen. Sechs Monate nach ihrer Ankunft veranstaltete diesmal das gambische Militär seinen Putsch. Kugeln flogen in Fenster, und Fred schlief unterm Bett. Als er acht war, zog die Familie in den Süden Afrikas, ins friedliche, wirtschaftlich prosperierende Botswana. Sein Abitur machte er in Simbabwe, das für sein solides Bildungssystem berühmt war und damals noch wirtschaftlich wuchs.

Es waren zwei Politiker, die Fred Swaniker beim Aufwachsen besonders auffielen: Nelson Mandela in Südafrika und Robert Mugabe im Nachbarland Simbabwe. Der eine wurde zur weltweiten Ikone, der andere richtete sein Land zugrunde.

"Ich glaube an eine Faustregel", sagt Swaniker. "Wenn Gesellschaften starke Institutionen haben, kann ein guter Anführer nur wenig bewegen. Aber wenn sie schwache Institutionen haben, dann kann ein einziger Anführer ein Land alleine aufbauen beziehungsweise ruinieren."

Swaniker studierte in Minnesota und in Stanford und arbeitete eine Weile bei der Unternehmensberatung McKinsey. Bis er vor elf Jahren die African Leadership Academy gründete. In den kommenden fünfzig Jahren soll die ALA 6000 Führungskräfte ausbilden.

Die Unterrichtssprache ist Englisch, als Grundlage dient der weltweit anerkannte Zweijahreskurs Cambridge International A-level, wobei die ALA gerade an ihrem eigenen, panafrikanischen Abitursystem bastelt. Afrikas angehende Entscheidungsträger lernen also keinen Zauber, sondern immer noch: Mathematik, Biologie, Chemie, Physik, Fremdsprachen, Geschichte. Um aufgenommen zu werden, muss man gute Noten von der vorherigen Schule vorweisen, und dazu: "leadership potential", eine "Leidenschaft für Afrika" und gesellschaftliches Engagement. Gigi Ngcobo aus Durban zum Beispiel hat bereits vor Jahren einen Verein gegründet, der sich um Aids-Waisen in Townships kümmert.

Jüngste Bevölkerung weltweit

"Afrika ist der Kontinent der Chancen, insbesondere in Bildung und Forschung." So hat es im vergangenen Jahr Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) ausgedrückt, da hatte sie in Berlin Besuch von Martial De-Paul Ikounga, dem Kommissar der Afrikanischen Union für Humanressourcen und Wissenschaft. Was genau mit dem Satz gemeint war, zeigt ein Papier der überwiegend vom Bund finanzierten Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH). Sie fördert weltweit die Zusammenarbeit zwischen exzellenten ausländischen und deutschen Forschern. Demnach hat Subsahara-Afrika, also der unterhalb der Wüste gelegene größte Teil des Kontinents, die jüngste Bevölkerung weltweit: gut 60 Prozent der Menschen dort sind unter 25 Jahre alt. Das Reservoir für akademische Bildung "ist entsprechend groß und wird bislang zu wenig ausgeschöpft. Viele afrikanische Staaten setzen daher auf eine massive Erhöhung der Studenten- und Doktorandenzahlen", so die AvH-Experten. Der Ausbau der Hochschulen hängt aber stark vom Land ab. Ein Knotenpunkt ist Kenia. Dort hat sich die Studentenzahl binnen zehn Jahren verfünffacht - trotzdem besucht nur gut jeder Zwanzigste unter den jungen Kenianern eine Uni. SZ

Fred Swaniker hat sich mittlerweile aus dem Tagesgeschäft der ALA zurückgezogen. Er versucht nun, ein Netz an eigenen Universitäten aufzubauen. Geplant sind 25 Hochschulen quer durch Afrika, mit jeweils 10 000 Studenten. Macht in 50 Jahren drei Millionen transformative leaders, das ist Fred Swanikers Kalkulation.

Ob diese Kalkulation aufgeht, hängt auch davon ab, ob sich genug Spender finden, die an die Sache glauben, vor allem afrikanische Spender. Momentan hat die ALA ihre wichtigsten Unterstützer in den USA, der Anteil von Spenden aus Afrika übertreffe nicht 20 Prozent, sagt der stellvertretende Schulleiter Michael Gyampo. "Wir Afrikaner sind nicht sonderlich philanthropisch." Gyampo sagt auch, afrikanische Eliten brauchten keine afrikanischen Werte. "Es gibt universelle Werte und Kompetenzen, und diese versuchen wir unseren Schülern zu vermitteln."

Gigi Ngcobo, die 19-Jährige aus Durban, will weder Staatschefin werden noch einen Konzern leiten. Sie will in den Vereinigten Staaten Philosophie studieren, danach in Südafrika Jura und dann Botschafterin in Kairo werden. Sie hat sich an der ALA mit Schülerinnen aus Ägypten angefreundet und träumt nun von diesem Land. Sie will nicht nach Europa.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2015
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