Süddeutsche Zeitung

Affirmative Action in den USA:Oberster Gerichtshof kippt Minderheiten-Förderung in Michigan

Ein Bonus für Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft? Das bleibt an Universitäten im US-Bundesstaat Michigan verboten. Der Oberste Gerichtshof der USA entscheidet gegen eine gezielte Förderung von Minderheiten. Kritiker warnen, das Urteil sei realitätsfremd.

Von David Hesse, Washington

Afroamerikaner dürfen an den Hochschulen des US-Bundesstaates Michigan nicht anders behandelt werden als übrige Amerikaner - auch nicht mit den besten Absichten. Dies hat der Oberste Gerichtshof in Washington am Dienstag entschieden und einen Volksentscheid von 2006 gestützt. Dieser hatte die positive Diskriminierung (im Englischen "Affirmative Action"), also die gezielte Förderung von Minderheiten, in Michigan abgeschafft und den dortigen Universitäten und Behörden gesetzlich verboten, Studien- und Stellenbewerber aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft zu bevorzugen.

Dagegen hatte ein Bürgerrechtsverband Klage eingereicht. Er wollte wissen, ob die Mehrheit der Stimmbürger wirklich an der Urne über den Umgang mit Minderheiten befinden dürfe. Das höchste Gericht der USA ist der Meinung: sie darf. Die Stimmenden hätten im Einklang mit der Verfassung ihr "demokratisches Recht ausgeübt", schreibt Richter Anthony Kennedy in der Urteilsbegründung.

Das Urteil dürfte Auswirkungen auch in anderen Bundesstaaten haben

Das freut Gegner der Affirmative Action im ganzen Land. Zwar betrifft der Richterspruch nur Michigan direkt, doch vergleichbare Gesetze gibt es in sieben weiteren Bundesstaaten, darunter Kalifornien. Das Urteil dürfte ihr Fortbestehen sichern und weitere Volksinitiativen lancieren. In Umfragen ist die Mehrheit der US-Bevölkerung jeweils gegen Ungleichbehandlung aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft.

Dies zu Recht, fand am Dienstag Bundesrichter Antonin Scalia. In einer separaten Erläuterung des Urteils schrieb er, es sei "heiß umstritten", ob Sonderförderung überhaupt "je im Interesse einer ethnischen Minderheit sei". Auch sein Kollege Anthony Kennedy ließ anklingen, positive Diskriminierung könne kontraproduktiv sein und selber "Quelle jener rassistisch motivierten Ressentiments und Feindseligkeiten" werden, die die Nation hinter sich zu lassen versuche.

Eine Richterin kritisiert ihre Kollegen als "realitätsfremd"

Im vergangenen Jahr hat sich der Oberste Gerichtshof wiederholt kritisch über Gesetze geäußert, die Afroamerikanern und anderen Minderheiten Schutz und Förderung garantieren. Teile der Richterschaft sind der Ansicht, solche Gesetze seien nicht länger nötig, da der systematische Rassismus in den USA besiegt sei. Als das Gericht im Juni 2013 einen wichtigen Minderheitenschutz im US-Wahlrecht aufhob, begründete dies Richter John Roberts mit der Aussage, das Land habe sich eben "dramatisch verändert" in den 50 Jahren seit der Einführung des Wahlgesetzes. Und bei einer Debatte um Universitätszulassungen in Texas hatte letztes Jahr ein Richter erklärt, positive Diskriminierung sei schädlich, da sie Angehörige von Minderheiten per Quote an Hochschulen katapultiere, an denen sie nicht zurecht kämen und das Schlusslicht ihrer Klasse bildeten.

Minderheitenvertreter sind meist anderer Ansicht. Sie warnen, Rassismus sei immer noch Alltag in Amerika, und der Entscheid zur Hochschulzulassung könne zu einer neuen Marginalisierung der schwarzen Bevölkerung führen. Wie die New York Times recherchiert hat, ist in Michigan der Anteil der afroamerikanischer Studenten an den öffentlichen Unis seit 2006 um 25 Prozent zurückgegangen. Der Richterspruch stütze eine "schreckliche Politik", kommentiert auch der Journalist und diesjährige Pulitzer-Preisträger Stephen Henderson in der Detroit Free Press: "Nun gehen Türen zu, die sich eben erst zu öffnen begonnen haben."

Das Urteil des Obersten Gerichts fiel nicht einstimmig. Richterin Sonia Sotomayor kritisierte die Aushöhlung der Affirmative Action scharf: "Rassenungleichheit" sei immer noch ein Faktum in den USA, das sich nicht "einfach wegwünschen" lasse. Ihre Richterkollegen seien "realitätsfremd", wenn sie das Thema als erledigt betrachteten. Die Auswirkungen von 200 Jahren rassistischer Diskriminierung wirkten weiter nach, und es sei leichtfertig, bewährte Gegenmaßnahmen aufzugeben.

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