Süddeutsche Zeitung

Achtstufiges Gymnasium:Raus aus der Lernmühle

Die Missstände sind offensichtlich: Das Turbo-Abitur im G 8 überfordert viele Schüler. Inzwischen geht es nicht mehr darum, ob das Abitur nach acht Jahren wieder geändert wird, sondern vielmehr um die Frage: Wie radikal soll die Wende ausfallen?

Ein Kommentar von Roland Preuß

Von Anfang an waren es befremdliche Maßstäbe, die da angelegt wurden: Die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre sollte die internationale Wettbewerbsfähigkeit steigern, die Abiturienten früher in Studium und Beruf bringen, damit die Renten sichern und Geld einsparen. Kultusminister zwängten die Schulen in eine Kosten-Nutzen-Bilanz und drängten die Schüler zu mehr Leistung: schneller, besser, jünger. Pädagogik spielte eine Nebenrolle. Das alles begann vor rund zehn Jahren. Seitdem mehren sich die Geschichten von Kindern, die Tagespläne abarbeiten, welche Manager ins Schleudern brächten. Die sich nachts noch Lateinvokabeln ins Hirn pressen und nach dem Abitur erst mal eine Reha nötig haben.

Die Lobesgeschichten auf das achtjährige Gymnasium dagegen sind zumindest in Westdeutschland rar geworden. Zu besichtigen ist stattdessen, wie eine Reform abgewickelt wird: Niedersachsen hat kürzlich angekündigt, wieder das Abitur nach neun Jahren anzubieten, in Hessen und Baden-Württemberg bestürmen Eltern und Kinder Schulen, die mehr Zeit lassen bis zum Abitur. In Hamburg und noch mehr in Bayern sieht es nach Volksbegehren gegen das achtjährige Gymnasium aus. Das zwingt nun selbst Gralshüter der Schulzeitverkürzung wie Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle, über Alternativen nachzudenken.

Die Missstände sind zu offensichtlich, der Druck von Eltern und Schülern ist zu groß geworden. Etliche Umfragen, Elterninitiativen und die Anmeldezahlen in Ländern, die eine Wahl bieten zwischen dem Abitur nach acht und nach neun Jahren, belegen das. Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber und andere haben mit ihrem ehrgeizigen Turbo-Abitur viele Gymnasien in Lernmühlen verwandelt.

Inzwischen geht es nicht mehr darum, ob das Abitur nach acht Jahren wieder geändert wird, es geht vielmehr um die Frage: Wie radikal soll die Wende ausfallen? Ein bloßes Zurück zum Abitur nach 13 Jahren Schule darf es nicht geben. Ein Teil der Gymnasiasten kommt mit dem kurzen Weg zur Reifeprüfung gut zurecht, ihnen sollte dieser Pfad weiter offenstehen. Neben der Überholspur muss es allerdings wieder Angebote für die Normalgeschwindigkeit geben, für ein Abitur nach 13 Schuljahren, für Schüler, die weniger Stress vertragen, mehr Reifezeit benötigen, mehr Freiraum nach Unterricht und Hausaufgaben.

Mehr Wahlfreiheit für die Schüler

Es kann nicht sein, dass nur derjenige ein Abiturzeugnis ergattert, der Unterricht bis zum Abend übersteht und keinen Wert legt auf ein Leben neben der Schule. Das Turbo-Abitur raubt diesen Schülern Möglichkeiten, ihren Horizont zu weiten jenseits vom Blick auf die nächste Prüfung. Und er raubt den Lehrern Zeit für Bildung abseits des Lehrplans, fürs Diskutieren, Vertiefen, Probieren.

An Vorbildern mangelt es nicht, es gibt mehrere Bundesländer, in denen sich keine Proteste erheben gegen das achtjährige Gymnasium. Dazu zählt Brandenburg, das ein Abitur nach 13 Jahren in Gemeinschaftsschulen anbietet, oder Rheinland-Pfalz, das von vorneherein das G 8 nur in Ganztagsgymnasien einführte. Viel spricht für das Modell in Hessen, in dem die Schulen selbst entscheiden, ob sie G 8, G 9 oder in Einzelfällen beides anbieten.

Nun gilt es, die Reform nicht nur für eine Verlängerung der Schulzeit zu nutzen. Der Stress muss auch durch mehr Wahlfreiheit von den Schülern genommen werden. Die Kultusminister sollten den Mut finden, den festen Kanon angeblich unverzichtbarer Lerninhalte aufzubrechen und den Schülern mehr Wahlfreiheit zuzugestehen. Kaum etwas stresst so wie ein Fach, das man verabscheut und dennoch bis zum Abitur durchziehen muss. Und kaum etwas lässt so reifen, wie wichtige Entscheidungen, die man selbst treffen muss.

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SZ vom 15.02.2014/kjan
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