Abitur:"Die Prüfungen können ja auf freiwilliger Basis stattfinden"

Everyday Life Fundamentally Altered As Country Faces Coronavirus Pandemic

Schülerin bei einer Abiturprüfung in Darmstadt in der vergangenen Woche: Während einige für eine Absage streiten, müssen Gymnasiasten in anderen Ländern längst zur Klausur antreten.

(Foto: Thomas Lohnes/Getty Images)

Nun also doch: Das Abitur soll wie geplant geschrieben werden, entschieden die Kultusminister. Zwei Schüler kämpfen mit einer Petition weiter für eine Absage - jetzt erst recht, sagt Mitinitiator Paul Gringel.

Interview von Bernd Kramer

Paul Gringel, 18 Jahre, besucht ein Gymnasium in Hamburg - und würde in den nächsten Wochen zur Abiturprüfung antreten, wenn alles bleibt, wie geplant. Aber wäre das sinnvoll? Gemeinsam mit seiner Mitschülerin Filippa Steffens hat er vergangenen Freitag eine Online-Petition gestartet: Die Prüfungen sollen wegen der Corona-Epidemie bundesweit ausfallen, fordern die Gymnasiasten. Und bis Mittwochmittag haben sich mehr als 100 000 Unterzeichner dieser Position angeschlossen.

SZ: Herr Gringel, lernen Sie derzeit noch?

Paul Gringel: Bisher habe ich noch gelernt, vor allem für Mathe und Englisch, aber unter schwierigen Bedingungen. Die Unsicherheit ist sehr belastend, für uns alle. Schon in den Märzferien hier in Hamburg gingen Mails hin und her, von der Schulleitung, von Lehrern, die sich teils widersprochen haben. Das nervte. Deswegen haben wir die Petition gestartet.

...und plötzlich schwenkt Schleswig-Holstein kurzzeitig auf diese Linie ein und will die Abi-Prüfungen ganz absagen.

Gerechnet haben wir damit nicht, das hat uns erst mal unglaublich gefreut. Allein an dem Tag haben weitere 25 000 Menschen unseren Aufruf unterschrieben. Die Ankündigung hat uns noch mal einen richtigen Schub gegeben. Es kann nicht sein, dass ein Land das Abi absagt. Das sollte bundesweit passieren.

Abitur: Paul Gringel und Filippa Steffens haben die Petition gemeinsam gestartet.

Paul Gringel und Filippa Steffens haben die Petition gemeinsam gestartet.

(Foto: privat)

Jetzt ist heute das Gegenteil passiert und die übrigen Länder haben Schleswig-Holstein zurückgepfiffen. Das Abitur soll also doch stattfinden, nur vielleicht zu einem anderen Termin. Ist das nicht fair?

Aber damit fällt der psychische Stress in dieser Ausnahmesituation nicht weg. Niemand weiß, was in ein paar Wochen ist, ob die Prüfung dann stattfindet oder wieder verschoben wird.

Sie hätten aber mehr Zeit zum Lernen, das ist doch ein Vorteil.

Aber Lernen unter diesen Umständen? Es ist einfach wahnsinnig schwer, sich auf den Stoff zu konzentrieren. Deswegen brauchen wir jetzt die Klarheit. Ich kann das Hin und Her nicht verstehen, wir sind hunderttausende Schülerinnen und Schüler, die wieder mal nicht gehört worden sind. Dabei sagt sogar der Philologenverband, der die Gymnasiallehrer vertritt: Zur Not geht auch ein Abitur ohne Prüfung. Ich hoffe, dass diese Einsicht doch noch irgendwann bei den Kultusministern ankommt.

In Hessen und Rheinland-Pfalz wird das Abitur schon geschrieben. Für eine bundesweite Absage ist es damit eigentlich schon zu spät.

Was da passiert, ist absurd. Ich höre, dass Lehrer mit Mundschutz Aufsicht führen. Jetzt kam sogar die Meldung, dass in Hessen an einer Schule sieben Abiturienten die Prüfung unterbrechen mussten, weil eine Schülerin wohl typische Symptome hatte. Das ist keine Prüfungssituation, die man jemandem zumuten will. Wir dürfen nicht mit mehr als zwei Personen in die Öffentlichkeit, aber viele Abiturienten über Stunden in einem Raum - das soll gehen? Ich habe Asthma, eine Ansteckung wäre für mich riskant.

Aber wäre es nicht fair gegenüber den Abiturienten, die schon ihre Prüfungen schreiben, wenn auch andere Länder an den Terminen festhalten - unter strengen Gesundheitsauflagen natürlich?

Die Prüfungen können ja auf freiwilliger Basis stattfinden. Unser Vorschlag: Jeder, der seinen Schnitt verbessern will, kann zu einer mündlichen Prüfung per Videocall antreten.

Und die, die wie in Hessen nicht freiwillig antreten können, sondern schon antreten mussten?

Die können entscheiden, ob ihre Noten gewertet werden sollen.

Haben Sie nicht die Sorge, dass es dann als Abitur zweiter Klasse angesehen wird?

Das glaube ich nicht. Wir haben zwei Jahre dafür hart gearbeitet und Leistungsnachweise erbracht. Diese Leistungen sagen mehr aus, als drei schriftliche Prüfungen über jeweils fünf Stunden und eine mündliche über 30 Minuten.

An den Unis konkurrieren Sie nicht nur mit Abiturienten aus anderen Ländern, sondern auch mit Schulabgängern aus den Vorjahren, die nicht frei über die Prüfungen bestimmen konnten.

Ja, deswegen finde ich es grundsätzlich gut, wenn die Unis stärker auf Auswahltests setzen würden statt auf die Abi-Note. Diese Abi-Prüfungen fließen etwa zu 30 Prozent in den Schnitt ein, die vielen Schulstunden davor und die Halbjahresnoten zählen dagegen unverhältnismäßig viel weniger. Meinetwegen könnte man dauerhaft auf die letzten Prüfungen verzichten.

Ihre Abi-Feierlichkeiten finden wahrscheinlich auch nicht statt?

Leider. Die Motto-Woche ist abgesagt. Den Vertrag mit der Location, wo unser Abi-Ball stattfinden sollte, müssen wir stornieren. Ein schöner Abschluss wird das nicht.

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