Süddeutsche Zeitung

Streit um Abi-Absage:War ja nur ein Vorschlag

  • Die Abiturprüfungen sollen in diesem Jahr weiterhin in allen Bundesländern stattfinden - "soweit dies aus Infektionsschutzgründen zulässig ist", entschieden die Kultusminister nach einer Telefonschalte.
  • Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte am Dienstag angekündigt, die Abiturprüfung im Norden abzusagen und gefordert, auch bundesweit keine Klausuren mehr schreiben zu lassen. Diesen Vorstoß nahm sie nach der Schalte zurück.
  • Teilweise verschieben die Länder die Prüfungstermine. Der Faktor Zeit spielt dabei eine Rolle. In Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg beginnen die Sommerferien traditionell spät. Sie können damit die Prüfungstermine weiter nach hinten schieben als andere Länder.

Von Anna Günther und Roland Preuss

Solange kein neues Zeichen von oben kommt, hält Johann Lummer, 50, stoisch am Plan fest. Und sein Draht nach oben dürfte bestens sein: Lummer ist Chef eines Benediktinergymnasiums im katholischen Niederbayern. Mit "oben" meint er diesmal die bayerische Staatsregierung. Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) hatte bereits vergangene Woche die Abiturprüfungen um drei Wochen verschoben. Damit plant Lummer, damit planen seine 81 Abiturienten und alle anderen 429 bayerischen Gymnasien. Lummer will die Prüfungen durchziehen, die Turnhalle sei groß genug, um alle mit großem Abstand zu setzen. Vom Vorstoß Schleswig-Holsteins, das Abitur ganz ausfallen zu lassen, hält Lummer überhaupt nichts: "Bevor irgendein errechneter Notenschnitt eingetragen wird, ist es gescheiter, gar nichts reinzuschreiben." Fallen die Prüfungen ganz aus, drohen die Abiturnoten der Bundesländer "beliebig" zu werden, fürchtet Lummer.

Schleswig-Holsteins Ministerin nahm ihren Plan, alles abzusagen, zurück - war ja nur ein Vorschlag

Dass der Plan, das Abitur kurzerhand ganz ausfallen zu lassen, vielleicht doch keine so glänzende Idee war, zeichnete sich dann am Mittwoch auch in einer Schaltkonferenz der Kultusminister der Länder ab. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte am Dienstag angekündigt, die Abiturprüfung im Norden abzusagen, und gefordert, auch bundesweit keine Klausuren mehr schreiben zu lassen. Schon am selben Tag waren die ersten Unmutsäußerungen anderer Kultusminister zu vernehmen, auch von Parteikollegen aus der CDU. Eineinhalb Stunden dauerte der "Call" am Mittwoch. In der Schaltkonferenz, so war aus Kreisen der Kultusminister zu hören, stellten sich alle übrigen Minister gegen Prien, es soll klare Ansagen Richtung Kiel gegeben haben, man sei nicht durchgehend höflich geblieben. In dieser Lage soll die einsame Bildungsministerin gar nicht lange gekämpft haben - sie zog ihre Forderung nach einem Abblasen der Abiturprüfung 2020 zurück. War ja nur ein Vorschlag, so die Botschaft.

Damit bleibt das Ziel, dass alle Abiturienten dieses Jahr auch eine Abiturprüfung ablegen. Alle Prüfungen sollen zum geplanten Termin oder einem späteren Termin stattfinden, "soweit dies aus Infektionsschutzgründen zulässig ist", wie es in der Erklärung der Kultusministerkonferenz (KMK) heißt. Die Schüler müssten eine ausreichende Zeit zur Vorbereitung erhalten. Die Tests könnten auch in geschlossenen Schulen stattfinden. Damit bleibt es jedem Bundesland überlassen, die Prüfungstermine weiter nach hinten zu verschieben, so wie dies bereits Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und andere getan haben. Zudem bleibt das Restrisiko bestehen, dass Gesundheitsbehörden die Prüfungen verbieten, weil sie die Zusammenkunft in Klassenzimmern oder Turnhallen für zu gefährlich halten.

Am Mittwoch aber dominierte bei Elternvertretern, Lehrerverbänden und Ministern eindeutig die Erleichterung über die Einigung. "Ich freue mich, dass wir uns in einer so schwierigen Situation innerhalb der Ländergemeinschaft auf einen gemeinsamen Beschluss geeinigt haben", sagte die KMK-Vorsitzende und rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). Für die Schüler gebe es jetzt Planungssicherheit, "gleichzeitig steht ihre Gesundheit für uns an erster Stelle", sagte sie. Der Beschluss zeige, "dass wir Länder in der Lage sind, im Sinne eines kooperativen Föderalismus uns auf abgestimmte und geregelte Verfahren zu einigen", stimmte auch die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) in den Chor ein. "In diesem Zusammenhang bin ich froh, dass Schleswig-Holstein von seinen bisherigen Plänen abgewichen ist", sagte Eisenmann über ihre Parteifreundin im Norden.

Der Ärger soll bei einigen Kultusministern auch deshalb groß gewesen sein, so hört man, weil sich erst vor zwei Wochen alle 16 darauf verständigt hatten, die Prüfungen stattfinden zu lassen und die Abschlüsse gegenseitig anzuerkennen. "Wir bleiben bei unserem Fahrplan", sagte auch Bayerns Kultusminister Piazolo. Bayern geht davon aus, dass die Schulen nach Ostern wieder öffnen. Was geschieht, wenn das nicht möglich ist, darüber will Piazolo nicht spekulieren. Es gäbe mehrere Möglichkeiten. "Wir werden sehen, aus bayerischer Sicht können wir uns jetzt erst einmal ein bisschen Zeit nehmen."

Eine Absage der Prüfungen wäre schon deshalb fragwürdig gewesen, weil sie in zwei Ländern längst angefangen haben: In Rheinland-Pfalz stehen sie bereits vor dem Abschluss, im neunjährigen Gymnasium liefen am Mittwoch die letzten mündlichen Prüfungen. Auch in Hessen steckt man mitten in den schriftlichen Prüfungen, dort hatte man am Terminplan festgehalten. Eine Absage in Kiel hätte also dazu geführt, dass viele Schüler in Deutschland ihre Abiturprüfungen absolviert haben - und viele andere nicht.

Prien verteidigte ihren Vorstoß: "Ich bin vorgeprescht, weil ich für unsere Schülerinnen und Schüler eine Entscheidung vor Freitag haben wollte." Dann beginnen in Schleswig-Holstein die Ferien. Der Streit geht offenbar nicht nur auf Priens Alleingang zurück. Schon auf Ebene der Ministerialbeamten wurde die Absage mindestens ernsthaft erwogen. In einer Beschlussvorlage für den Schulausschuss der KMK findet sich der Vorschlag, die Prüfungen abzusagen; diese Lösung sei "am sichersten, im Sinne der Vergleichbarkeit am einheitlichsten und nicht zuletzt am pragmatischsten". Der Brief liegt der SZ vor. Gut möglich, dass Prien sich von solchen Überlegungen ermutigt sah.

Beim weiteren Vorgehen der Länder spielt der Faktor Zeit nun eine große Rolle. Bayern wie Baden-Württemberg haben noch deutlich mehr Monate bis zum Schuljahresende, sie gehen traditionell als letzte in die Sommerferien und können damit die Prüfungstermine noch weiter nach hinten schieben, wenn es die Corona-Lage erfordern sollte. Andere haben das nicht, in Schleswig-Holstein etwa ist das Schuljahr Ende Juni vorbei. Ähnlich ist die Lage in Nordrhein-Westfalen und Berlin. Breitet sich die Epidemie weiter aus, steigt damit die Gefahr für die Schüler, sodass man die Prüfungen weiter nach hinten schieben müsste. Dann könnte es eng werden.

Ein Vorpreschen eines einzelnen Landes aber will man künftig jedenfalls verhindern, das hat die KMK-Runde am Mittwoch vereinbart. Wieder einmal.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2020/berk
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