Abhilfe gegen Plagiate:Lektüre führt zur Katastrophe

Plagiats-Check an hessischen Universitäten

Plagiate stoppen: Sloterdijk fordert zum Lesen auf.

(Foto: dpa)

Nicht jedes Plagiat in der Wissenschaft ist rechtswidrig - und doch muss man dem Problem des Abkupferns irgendwie beikommen. Ein aktueller Sammelband macht einen Vorschlag, um Plagiatoren zu stoppen. Der lautet schlicht: Droht ihnen mit der Lektüre!

Von Franz Himpsl

Zweieinhalb Jahre sind vergangen, seit Karl-Theodor zu Guttenberg wegen einer mit Plagiaten durchsetzten Dissertation Doktortitel und Ministerposten verlor. Einige Wochen lang stand das Thema Wissenschaftsbetrug damals im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit; während aber mittlerweile Rücktritte von Politikern, die sich in ihrer universitären Vergangenheit etwas zu Schulden kommen lassen haben, fast schon alltäglich geworden sind und oft nur noch vergleichsweise geringe Empörung auslösen, hat die Plagiatsdebatte in der Wissenschaft selbst erst so richtig Fahrt aufgenommen.

Das Thema ist komplex, es geht um Ermessensspielräume, um Prüfungs- und Strafrecht, aber auch um die (nur sporadisch und vage ausformulierten) wissenschaftsinternen Normen. Wo verläuft die Grenze zwischen Nachlässigkeit und wissenschaftlichem Fehlverhalten? Darf man als Wissenschaftler von sich selbst abschreiben? Und ist jedes Plagiat eine Urheberrechtsverletzung? Die Rechtswissenschaftler Thomas Dreier und Ansgar Ohly haben einen Sammelband herausgegeben, der Antworten aus juristischer, aber auch aus wissenschaftsethischer und kulturgeschichtlicher Perspektive bereithält.

Wer plagiiert, der übernimmt Gedanken anderer, ohne dies kenntlich zu machen. Wissenschaftliche Kommunikation aber beruht darauf, dass durchweg klar ersichtlich ist, wer gerade zu einem spricht, wenn man einen Fachaufsatz oder eine Monografie liest. Eine plagiatefeindliche Wissenschaftskultur unterstreicht zudem die Bedeutung, die der Innovation beigemessen wird: Es werden diejenigen sanktioniert, die nur so tun, als seien sie kreativ - und damit diejenigen geschützt, die es wirklich sind. Die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis weisen Plagiate also klar als Fehlverhalten aus - aber sind Plagiate auch Rechtsbrüche?

Selbstplagiat gibt es nicht - das wirft Fragen auf

Eine Anmaßung der Urheberschaft, wie sie mit einem Plagiat einhergeht, sei nicht zwangsläufig rechtswidrig, betont Haimo Schack in seinem Beitrag. Eine Urheberrechtsverletzung etwa begehe ein Plagiator nur dann, wenn er "einen als solchen schutzfähigen Teil eines urheberrechtlich geschützten Werkes" übernehme. Wer also beispielsweise bei Kant oder Hegel abkupfert, die ja schon länger als 70 Jahre tot und deren Werke gemeinfrei sind, der macht sich zwar des wissenschaftlichen Fehlverhaltens, aber nicht eines Urheberrechtsvergehens schuldig. Daneben hat ein Plagiator, wie Hans Kudlich darlegt, insbesondere dann strafrechtliche Konsequenzen zu fürchten, wenn er eidesstattlich versichert hat, nicht plagiiert zu haben - beispielsweise, weil ihn eine Promotionsordnung dazu verpflichtet hat.

Und was ist vom "Selbstplagiat" zu halten, bei dem ein Autor von sich selbst abschreibt? Volker Rieble stellt in seinem Beitrag klar: "Es gibt kein ,Selbstplagiat'." Die Neuheit einer Publikation ist für ihn keine Anforderung, die die Wissenschaft per se an den Autor stellt, sondern die höchstens vermittels Prüfungsrecht eingefordert werden kann, also etwa durch eine Promotionsordnung, die der Dissertation einen gewissen Innovationsgrad abfordert. "Wollte man für jede wissenschaftliche Veröffentlichung ,Neuheit' von Text, Gedanken oder Konzeption fordern, hätten die Ombudsleute viel zu tun", so Rieble. Eine Behauptung, die in ihrer Eindeutigkeit erstaunt - und die Frage aufwirft, ob Derartiges nicht eben jene Flut nur marginal modifizierter Publikationen legitimiert, unter der die Wissenschaft seit geraumer Zeit ächzt.

Sloterdijk fordert - ganz banal - zum Lesen auf

Dass Plagiaten mit juristischen Mitteln allein nicht beizukommen ist, darüber sind sich die Autoren des Sammelbandes weitgehend einig: Sie erscheinen vielmehr als Problem, das wissenschaftsintern gelöst werden muss. Umso frappierender, wie wenig in dieser Hinsicht bisher passiert ist. Wer sich als Hochschullehrer des Plagiats schuldig mache, habe "wenig bis nichts zu befürchten", meint Rieble. In dieser Kultur der Toleranz gegenüber Plagiaten etablierter Wissenschaftler scheint denn auch ein viel größeres Problem zu liegen als in jenen abgekupferten Texten einiger Prominenter, die ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden.

Was also muss sich in der Wissenschaft ändern? Die verstärkte Konzentration auf die Nutzung digitaler Technologien scheint wenig erfolgversprechend. Debora Weber-Wulff, die sich seit Jahren empirisch mit Plagiaten beschäftigt, macht deutlich, dass es bei Plagiatserkennungs-Software oft am Nötigsten fehlt: Solche Programme lieferten nicht nur eine geringe Trefferausbeute, auch die Benutzerfreundlichkeit lasse teilweise massiv zu wünschen übrig. Einen - menschlichen - Plagiatesucher kann kein Computer ersetzen.

Man schreibt für den Nicht-Leser

Liegt die Lösung in härteren Sanktionen und formalisierten Verfahren? An der Universität Oxford etwa gibt es, wie Nicholas Bamforth berichtet, sowohl sehr konkrete Vorgaben, was unter einem Plagiat zu verstehen sei, als auch ein umfangreiches Präventions- und Disziplinarsystem. Nun lässt sich ein solches System nicht eins zu eins auf die deutschen Verhältnisse übertragen, mindestens ein Aspekt aber ist dafür gewiss tauglich: Bereits die Studenten werden in Oxford von Anfang an mit den Regeln korrekten - und den Konsequenzen falschen - wissenschaftlichen Arbeitens vertraut gemacht.

Der beste Vorschlag, den der Sammelband zu bieten hat, stammt von Peter Sloterdijk; er klingt banal, trifft aber einen wunden Punkt: Sloterdijk fordert zum Lesen auf. Dass nämlich der weit überwiegende Teil der gigantischen Massen akademischer Texte nicht oder jedenfalls nicht gründlich gelesen wird, müsse zwangsläufig auf die Verfasserethik zurückwirken: Man schreibt nicht für den Leser, sondern für den Nicht-Leser. In einem solchen System schließlich "führt die unerwartete reale Lektüre zur Katastrophe".

In diesem pointierten Hinweis ist eine Erkenntnis enthalten, die in der Plagiatsdiskussion zwischen Vroniplag, Ombudsgremien und Urheberrecht zu kurz gekommen ist: Nichts würde die akademische Schreibkultur mehr verändern als die Aussicht auf aufmerksame Rezipienten.

Thomas Dreier, Ansgar Ohly (Hrsg.): Plagiate. Wissenschaftsethik und Recht. Mohr Siebeck, Tübingen 2013. 262 Seiten, 49 Euro.

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