Wohnungsnot im Studium:Ein Bett im Kaufhaus

Schlafaktion im Schaufenster

Gegen Wohnraummangel mit Zimmerpflanze, Badelatschen und Gitarre: Fabian Sauer in seinem Schaufenster.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Zum Studienplatz gehört auch ein Dach über dem Kopf - das hat die Politik irgendwie vergessen. Kurz vor Beginn des Wintersemesters sind Studierende in vielen Uni-Städten wieder frustriert. Um auf die Wohnungsnot aufmerksam zu machen, hat Fabian Sauer sein Schlaflager an ungewöhnlicher Stelle aufgeschlagen.

Von Johann Osel

Einmal, um drei Uhr nachts, haben Fabian Sauer nur noch Ohrstöpsel geholfen. Da stand ein Mann vor seinem Schaufenster, beobachtete ihn in seinem Bett und klopfte aggressiv an die Scheibe, fast hätte er sie eingeschlagen.

Schaufenster? Bett? Sauer, 26-jähriger Student in Münster, ist neulich für einen Tag und eine Nacht in die Auslage eines Kaufhauses gezogen. Hat es sich mit Bett, Zimmerpflanze, Gitarre und Badelatschen gemütlich gemacht auf zehn Quadratmetern. Seine Erlebnisse diktierte er der örtlichen Presse in die Blöcke, die Enge, die stickige Luft, den Vorfall mit dem nächtlichen Scheibengast - aber auch die vielen amüsierten und neugieren Blicke. Und die Erfolge: Bei seiner Initiative seien gleich danach Dutzende Angebote von freien Wohnungen eingegangen. Ihm sei gar von einem älteren Bürger das Zimmer der flügge gewordenen Kinder offeriert worden.

Wobei Fabian Sauer selbst gar keine Wohnung sucht - die Aktion soll auf den Notstand bei studentischem Wohnraum in Münster hinweisen und mögliche Vermieter aus der Reserve locken. Den Notstand freilich kann man auch in vielen anderen Städten Nordrhein-Westfalens diagnostizieren, wo nun ein doppelter Abiturjahrgang an die Hochschulen strömt. Ebenso bundesweit in Studentenstädten.

Matratzenlager in Turnhallen

Im Wintersemester 2012 hatte man in Turnhallen mancherorts Matratzenlager für Neuankömmlinge errichtet. Denn Semester für Semester ist es mittlerweile dasselbe Spiel: Die Suche nach Unterkunft wird, auch angesichts steigender Mieten und schmaler studentischer Budgets, immer schwieriger. Frustmeldungen kommen aus allen Winkeln der Republik. Nach Schätzungen fehlen etwa 70.000 Wohnplätze für Studenten. Und es tut sich nach wie vor zu wenig.

Deutschlands Hörsäle sind voll wie nie, zum wiederholten Mal gehen in ein paar Wochen etwa eine halbe Million Erstsemester an den Start. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es lediglich knapp 280.000 Studienanfänger. Doch das ganz große Chaos im Lehrbetrieb ist ausgeblieben, und so bleibt es wohl auch in diesem Wintersemester.

Mit Millionen von Bund und Ländern und dem Ideenreichtum kluger Rektoren wird der Ansturm an den Unis besser verkraftet als erwartet. Dass wegen des Trends zum Studieren und doppelter Abiturjahrgänge mehr junge Leute Studienplätze brauchen - das war lange bekannt. Auch wenn Geld an Hochschulen immer fehlt, konnte man halbwegs planen. Lehrstühle wurden personell aufgestockt, frühere Professoren für ein Trinkgeld aus dem Ruhestand geholt, Räume angemietet, Seminare auf die Wochenenden verlegt, die Online-Lehre wurde gestärkt.

Vergessen wurde: Zum Studienplatz gehört ein Dach über dem Kopf. Ein günstiges, wenn man sich etwa den Bafög-Höchstsatz von 670 Euro vor Augen hält.

Jüngst hatte die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks und des Bundesbildungsministeriums, die sozusagen die Vermessung des Durchschnittsstudenten ist, ergeben, dass Hochschüler heute schon 34 Prozent ihres Geldes für Miete ausgeben, im Schnitt circa 300 Euro. Der Wert steigt seit Jahren. Besonders teuer ist studentisches Wohnen in Köln, München und Hamburg: im Schnitt mehr als 350 Euro. Chemnitz mit 211 Euro sowie etwa Erfurt und Halle mit je um die 250 Euro zeigen ein West-Ost-Gefälle bei Mieten.

Auf günstige Wohnheimplätze, die meist für 240 Euro zu haben sind, kann allerdings nur etwa ein Zehntel aller Studenten zugreifen. Das Studentenwerk fordert, dass der Ausbau mit den explodierenden Studentenzahlen endlich Schritt hält. Und kalkuliert: Investitionen von 600 Millionen Euro für Wohnheime sind nötig.

Ein Großprogramm ist nicht in Sicht

Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) hat sich vor einigen Monaten zwar öffentlichkeitswirksam des Themas angenommen; zugleich aber betont, dass man "nicht über Nacht Gebäude hochziehen" könne. Zudem seien ja eigentlich die Länder zuständig. Ein Großprogramm, wie es die studentische Lobby fordert, ist nicht in Sicht.

Nur in einigen Ländern tut sich Strategisches, Bayern etwa will in den nächsten vier Jahren 1000 Wohnheimplätze sanieren oder neu schaffen. In Köln soll eine alte Polizeiwache umgebaut werden, andernorts leer stehende Hotels. Schon länger gibt es den Vorschlag für ungenutzte Kasernen. Und Lokalpolitiker - von Konstanz bis Kiel - rufen die Bürger auf, sich als Zimmervermieter zu betätigen. Pfiffige Studenten quartieren sich gleich in Altenheimen ein, wenn dort Plätze frei sind.

Wichtige Schritte, aber wohl Flickwerk. Günstige Mieten könnten "bei Neubauten nur mit entsprechender öffentlicher Förderung realisiert werden", sagt Achim Meyer auf der Heyde, der Generalsekretär des Studentenwerks. Die Prognose der Kultusministerkonferenz zeigt, dass erst 2020 die Zahl der jährlichen Studienanfänger wieder unter 450.000 fällt. Einzelprogramme, wie zuletzt in Bayern beschlossen, ersetzten nicht den großen Wurf, sagt der Generalsekretär: "Wir brauchen eine konzertierte Aktion von Bund und Ländern für mindestens 25.000 neue, preisgünstige, öffentlich geförderte Wohnheimplätze. Und zwar möglichst rasch."

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