Studium:Heute studieren, morgen Terroristen jagen

Ruinen von Palmyra, Syrien

Dschihadisten des IS haben im syrischen Palmyra viele wertvolle Bauwerke zerstört.

(Foto: dpa)

Altertumswissenschaftler untersuchen Raubkunst, Islamwissenschaftler heuern bei Geheimdiensten an: Wie der Terrorismus kleinen Uni-Fächern zu neuer Bedeutung verhilft.

Von Ralf Steinbacher

Bärtige Milizionäre hacken auf uralte assyrische Reliefe ein, schlagen unersetzbaren Skulpturen die Köpfe ab, sprengen Tempel. Mit solchen Bildern aus den irakischen Städten Nimrud und Mossul oder dem syrischen Palmyra verbreiten die Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staats (IS) ihre Propaganda. Doch der IS zerstört nicht nur, er lässt auch wertvolle Antiken außer Landes schaffen und finanziert damit seinen Terrorkrieg - geraubte Keilschrifttafeln, Münzen oder Gefäße landen auch in Deutschland.

Will man den Kriminellen das Handwerk legen, muss man erst einmal wissen, wie der Handel funktioniert, über welche Zwischenhändler, Länder und Häfen die Objekte nach Europa kommen oder wie der Verkauf im Internet abläuft. Wissenschaftler wollen das nun in einem nationalen Forschungsprojekt klären - doch einfach wird das nicht.

"Es ist eine Dunkelfeldforschung", sagt der Assyriologe Markus Hilgert, Keilschriftforscher und Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin. Hilgert ist Verbundkoordinator eines Projekts mit dem Kürzel Illicid (siehe Kasten). Bisher könne man nur schätzen, wie viele Objekte privat gehandelt würden. Es sei enorm schwierig, an Informationen zu kommen, so Hilgert. Würden sich die Forscher mit Drogenkriminalität beschäftigen, dann wüssten sie, wie sie es anpacken müssten: "Da geht man in die Gefängnisse und lässt sich von Verurteilten erklären, wie der Handel abläuft." Beim Kulturgüterhandel funktioniere das nicht; es gebe ja keine Häftlinge, die man fragen könnte.

Also wenden sich die Wissenschaftler an "Leute, bei denen wir nicht davon ausgehen, dass sie etwas Illegales tun" - die Händler. Ob die mitziehen oder mauern, will Hilgert nicht verraten; das Projekt laufe bis Ende 2018. Dann soll es eine Datenbank zur Dokumentation von legal und illegal gehandeltem Kulturgut geben und einen Praxisleitfaden für Akteure. Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Illicid mitinitiiert hat, sagt: "Wenn wir es nicht schaffen, den illegalen Handel mit Artefakten aus aller Welt einzudämmen, werden Plünderungen und Raubgrabungen weiterhin stattfinden, denn was verkauft werden kann, wird auch dem Boden entrissen werden." Der illegale Handel bedrohe "unser aller kulturelles Erbe".

Die Altertumswissenschaftler des Vorderasiatischen Museums sind im Projekt dafür zuständig, Objekte zu begutachten: Woher stammen sie, sind sie überhaupt echt? Das leisten neben Hilgert noch eine Archäologin für Vorderasien, eine klassische Archäologin und ein Ägyptologe - also Vertreter jener sogenannten Kleinen Fächer, die gern auch als Orchideenfächer bezeichnet werden. Diese sind immer wieder von Sparzwängen an den Universitäten bedroht; Absolventen tun sich oft schwer, einen Job zu finden, weil sie so hoch spezialisiert sind.

Illicid

Bei dem Forschungsprojekt Illicid geht es um den illegalen Handel mit Kulturgut. Illicid steht dabei für "Verfahren zur Erhellung des Dunkelfeldes als Grundlage für Kriminalitätsbekämpfung und -prävention am Beispiel antiker Kulturgüter". Initiiert wurde das Projekt von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zusammen mit zwei Partnern. Das Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften befragt Gruppen, die mit dem Handel in Verbindung gebracht werden können, also Ämter und Behörden, aber auch Händler und Auktionshäuser sowie Museen und Stiftungen. Ferner ist das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie beteiligt. Dieses untersucht den Handel im Internet, entwickelt IT-Instrumente zur automatischen Angebotssuche und eine Datenbank. Illicid wird vom Bundesforschungsministerium mit 1,2 Millionen Euro im Rahmen des Programms "Forschung für die zivile Sicherheit" gefördert. Ralf Steinbacher

Doch mittlerweile sind viele dieser Disziplinen gesellschaftlich und teils sogar sicherheitspolitisch relevant geworden: Polizei und Geheimdienste werben Islamwissenschaftler an und der Zoll sucht Hilfe bei Universitäten und Museen, wenn er wissen will, ob ein Objekt geschützt ist. Für den Assyriologen Hilgert zeigt das beispielhaft: Man dürfe die kleinen Fächer nicht zugrunde gehen lassen, wenn Politik und Gesellschaft handlungsfähig bleiben wollten. Angesichts der vielen Konflikte und politischen Entwicklungen weltweit gewönnen aber nicht nur Altertumswissenschaften an Bedeutung, sondern auch kultur- und sprachwissenschaftliche Disziplinen wie etwa die Afrikanistik, Iranistik, Nah- und Mitteloststudien, Sinologie, Südasienstudien, Turkologie und Ukrainistik.

Insgesamt 119 Orchideenfächer hat die Forschungseinrichtung "Arbeitsstelle Kleine Fächer" in Mainz derzeit gelistet. Auch das Bundesforschungsministerium hat deren Bedeutung erkannt und jüngst ein Förderprogramm aufgelegt. Baden-Württembergs neuer Strukturfonds für Kleine Fächer ist mit drei Millionen Euro ausgestattet. Denn ihre gesellschaftliche und wissenschaftliche Bedeutung sei groß, sagt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer: "Wir wollen verhindern, dass ihre Kompetenzen verloren gehen, denn sie sind unersetzlich und kaum wiederzugewinnen." Ein gutes Beispiel für die Relevanz kleiner Fächer sei die Assyriologie: "Assyriologen sichern das kulturelle Erbe für die Nachwelt, indem sie bedrohte Objekte erkennen, einschätzen, restaurieren und Daten über sie pflegen."

Die Umsätze des illegalen Antikenhandels liegen bei mehreren Milliarden US-Dollar

Dem Assyriologen und Illicid-Verbundkoordinator Hilgert stellen sich darüber hinaus weitere Fragen: Mit welchen Methoden und welchem technischen Gerät muss ein Staat vorgehen, um den illegalen Handel mit Kulturgütern einzudämmen, wie stattet man den Zoll aus? "Das weiß niemand", sagt Hilgert - deshalb dürften die Ergebnisse von Illicid auch in anderen Ländern auf Interesse stoßen.

Wie der Handel mit Antiken aus dem Irak oder Syrien abläuft, ist nicht genau dokumentiert. Doch es gibt heimlich gedrehte Filme und Insiderberichte aus den Kriegsgebieten, sodass zumindest in Umrissen klar wird, was im Nahen Osten passiert. Manchmal sind es Hunderte Bewaffnete, die sich über ein Gelände hermachen, schilderte einmal der politische Direktor der Antikenverwaltung Syriens, Maamoun Abdulkarim. Laut Unesco habe die Plünderung archäologischer Stätten in Syrien mittlerweile "industrielle Ausmaße" angenommen. Auf Satellitenbildern seien "Tausende illegaler Raubgrabungen" zu sehen. Eine ARD-Dokumentation zeigt, wie wertvolle Objekte in Dubai saubere Papiere bekommen, bevor sie dann in europäischen Auktionshäusern landen, wo sie an reiche Sammler verkauft werden - die somit, vielleicht auch unwissentlich, die Terroristen des IS finanzieren.

Weltweit und jährlich liegen die Umsätze des illegalen Antikenhandels bei sechs bis acht Milliarden US-Dollar, schätzen die Vereinten Nationen. Wie viel Geld Kriminelle und Terroristen mit geschützten Objekten aus Syrien und dem Irak machen, bleibt Spekulation. Klar ist aber auch: es wird wohl reichlich sein.

Mit Islamisten und Terrorismus beschäftigen sich auch diejenigen Islamwissenschaftler, die bei den Sicherheitsbehörden arbeiten. Die Islamwissenschaften haben seit den Anschlägen vom 11. September 2001 eine neue Bedeutung erlangt. Das Interesse am Islam wuchs - und das Nischenfach wurde bei den Studenten zunehmend beliebter. Studierten im Wintersemester 2005/06 noch gut 1500 Männer und Frauen Islamwissenschaften und rund 600 Arabistik, so waren es zehn Jahre später im einen Fach schon mehr als 2400, im anderen rund 750.

Auch das Interesse der Geheimdienste an Arabisten und Orientalisten steigt. Damit beschäftigt sich der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück, der über Radikalisierung forscht und in Düsseldorf Präventionsarbeit leistet. Er kenne viele Kollegen bei den Behörden, sagt er - Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter und der Verfassungsschutz stellen laut Kiefer deutlich mehr Islamwissenschaftler ein als beispielsweise Universitäten. Er hat einmal anhand der Zahlen, die er aus Nordrhein-Westfalen kennt, hochgerechnet, wie viele Islamwissenschaftler seit 2001 bei Geheimdiensten und Polizei untergekommen sind; es seien mindestens 300. Sie übersetzen und analysieren Dokumente oder Propagandavideos, zunehmend sei aber auch Prävention ihr Metier, sagt Kiefer. Wie wichtig das sei, habe die Politik glücklicherweise vor einigen Jahren erkannt: "Seitdem wird viel mehr präventive Arbeit geleistet als zuvor." Aktuell sucht etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz Mitarbeiter, die Hocharabisch beherrschen.

"Migration ist Grundlage aller kulturellen Entwicklung"

Islamwissenschaftler arbeiten auch in Verwaltungen, in Nichtregierungsorganisationen, in der Flüchtlingshilfe, im Journalismus - oder machen kulturelle Bildungsarbeit, so wie Stefan Weber, der Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin. Weber hat Arabisch, Persisch, Türkisch und Islamische Kunstgeschichte studiert. Seine Kernaussage: "Migration ist Grundlage aller kulturellen Entwicklung."

Das Berliner Museum und seine Partner entwickeln Schulmaterialien oder widmen sich dem Kulturerbeschutz, indem sie eine Datenbank aufbauen. Sie arbeiten mit Moschee-Gemeinden zusammen und haben ein Programm entwickelt, das jungen Muslimen den positiven Umgang mit Glauben, Kultur und Gesellschaft erleichtern soll. Im Zentrum stehen dabei die Kunstwerke des Museums, laut Weber Symbole für die langen Verbindungen zwischen den Kulturen Europas und des Nahen Ostens, die in der Spätantike wurzeln. "Wir wollen über Architektur und Kunst neue Identitätsbilder vermitteln", sagt Weber, "multi-religiöse und multi-ethnische. Wir möchten jungen Migranten die kulturelle Leistung islamisch geprägter Gesellschaften zur Identitätsbildung anbieten, unabhängig der religiösen Einstellung des Einzelnen."

Arabisch-sprachige Flüchtlinge werden sogar als Museums-Guides ausgebildet, um Geflüchtete ans Museum heranzuführen. "Das zeigt doch, dass die Arbeit sogenannter Orchideenfächer von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist", sagt Weber. "Aber wenn man die Frage beantwortet hat, warum sie wichtig sind, muss man auch die Frage stellen: Was können sie leisten?" Ohne überdurchschnittlich viel freiwilliges Engagement geht es in Berlin jedenfalls nicht. "Mein Etat für Projekte und Programmarbeit", sagt Weber, "beträgt genau null Komma null."

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