Studiengebühren vor dem Aus:Preis der Bildung

Das Bezahlstudium ist ein Auslaufmodell: Studiengebühren sind eine unpopuläre Maßnahme, die der Gesellschaft nicht zu verkaufen ist. Ein Jahrzehnt lang hat kaum eine hochschulpolitische Frage derart polarisiert, sie hat Regalmeter an Studien pro und kontra hervorgebracht. Nun ist sie als politisches Thema praktisch tot.

Johann Osel

2010 schickte sich die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen an, ein Wahlversprechen einzulösen und schaffte die Studiengebühren ab. Die CDU geriet daraufhin geradezu in Rage: Die neue Koalition sei gerade dabei "unsere Dörfer abzubrennen, sie zerstören unser Werk", polterte der Fraktionschef. Und die Vertreter der Hochschulen meinten gar, Rot-Grün werde "uns in die Steinzeit zurückkatapultieren".

Der Untergang der Zivilisation ist bekanntlich ausgeblieben, die Regierung kompensierte per Gesetz - zumindest weitgehend - die Mittel aus dem studentischen Portemonnaie. Die Hörsäle an Rhein und Ruhr stehen noch, durch die doppelten Abiturjahrgänge und den allgemeinen Trend zur akademischen Bildung sind sie so voll wie nie zuvor.

Und die politische Lage? Im Mai wird erneut gewählt, bislang hatte CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen Studiengebühren befürwortet. Nun aber schließt er im Falle eines Sieges aus, die Studenten wieder bezahlen zu lassen. Die Hochschulen bleiben gelassen, kein Aufschrei regt sich im konservativen Lager; allenfalls die FDP, die in ihrer prekären Lage ohnehin nach jedem Alleinstellungsmerkmal giert, gibt sich erzürnt.

Doch Röttgens Aussage fußt nicht auf barer Mildtätigkeit, sondern auf einer ganz simplen Erkenntnis: Studiengebühren sind in Deutschland nicht mehrheitsfähig, eine unpopuläre Maßnahme, die der Gesellschaft schlichtweg nicht mehr zu verkaufen ist. Ein Jahrzehnt lang hat kaum eine hochschulpolitische Frage derart polarisiert, sie hat Regalmeter an Studien pro und kontra hervorgebracht. Nun ist sie als politisches Thema praktisch tot.

Sieben unionsgeführte Länder hatten nach der Erlaubnis des Bundesverfassungsgerichts 2005 hurtig und ohne breiten gesellschaftlichen Konsens die Studenten zur Kasse gebeten. Die Maßnahme spiegelte eine Änderung in den Grundfesten der Hochschulpolitik wider, die seit der Jahrtausendwende augenfällig wurde: Auch in der Bildung etablierte sich der neoliberale Zeitgeist. SPD, Grünen und Linken bot sich mit den Gebühren ein Angriffspunkt wider diese Ökonomisierung. Sie solidarisierten sich mit Studenten und hatten ein plakatives Wahlkampfthema, das die Volksparteien tatsächlich noch unterscheidbar macht. Bei Regierungswechseln fielen die Gebühren wieder. Das Bezahl-Studium ist, mit Ausnahme Bayerns und Niedersachsens, nun ein Auslaufmodell.

Bei den Bürgern fruchtet das Hauptargument der Befürworter der Gebühren nicht mehr, wonach ein Student später gut verdiene und daher vorher in seine Karriere investieren solle. Denn wenn auch nicht für alle, so sind 1000 Euro pro Jahr doch ein finanzieller Einschnitt für viele Studenten. Besonders für jene mit weniger begüterten Eltern: Für Kinder aus bildungsfernen Schichten wartet vor dem Hörsaal eine Hürde, die sie vielleicht nicht ganz vom Studium abhält, ihnen aber durchaus Beschwerden bereitet. Nimmt der Staat seinen stets mit hehren Worten verkündeten Anspruch einer "Bildungsrepublik" mit all ihren Aufstiegsmöglichkeiten ernst, muss er das in guter Qualität ohne die Extra-Einnahmen umsetzen.

Mit Machtwechseln in Niedersachsen und Bayern wäre das Ende der Studiengebühren auch dort besiegelt. Der jetzige Sonderweg der beiden Länder könnte allerdings auch unabhängig davon enden. Wenn die derzeitige Welle an Abiturienten abflaut, müssen Hochschulen um Studenten buhlen, Gebührenfreiheit wird ein Standortfaktor. Schon zuvor wird es schwierig für die Länder, ihr Vorgehen zu rechtfertigen: Sachte hatte Bayerns Ministerpräsident Seehofer im Sommer 2011 die Zweckmäßigkeit der Gebühren hinterfragt und die Universitäten ermahnt, kein studentisches Geld anzusparen. Die CSU pfiff ihn zurück - es war wohl ein erster Stimmungstest Seehofers, ob er sich vor der nächsten Wahl des unpopulären Themas entledigen kann.

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