Studienstart:Erste Hilfe für Erstis

Studierende in Köln

So viele neue Gesichter: voller Hörsaal an der Uni Köln bei der Erstsemesterbegrüßung.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die Stadt ist fremd, der Campus überfüllt und wo genau ist Hörsaal B320? Der Anfang an der Uni ist schwer. Doch in jüngster Zeit haben Hochschulen ihre Programme für Erstsemester ausgebaut. So gelingt Uni-Neulingen der Start.

Von Annkathrin Weis

Die Studienzulassung liegt auf dem Tisch, schwarz auf weiß steht es da: Der nächste Lebensabschnitt beginnt - die Zeit an der Universität oder der Hochschule. Eine unsichere Phase für viele angehende Studierende. Deren Anzahl wächst. Nach Angaben des Portals Statista wird sie an den Hochschulen der Bundesrepublik für das Studienjahr 2018/2019 circa 509 000 betragen - so weit die Prognose. Zum Vergleich: Im Jahr 2008/2009 begannen knapp 397 000 junge Menschen hierzulande ein Studium.

Am besten übt man sich schon vor Beginn der Vorlesungen in Selbstverantwortung. Nachdem sie die Zulassung zur Hochschule und das Einladungsschreiben zu den Einführungsveranstaltungen erhalten haben, sollten sich künftige Studenten über die Homepages der Hochschulen näher informieren: Häufig finden sich dort PDF-Dokumente mit Informationen zu ersten Anlaufstellen für Anfänger oder zu Vorbereitungsseminaren. Das ist insbesondere für diejenigen wichtig, die sich zum ersten Mal für eine akademische Ausbildung einschreiben. Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung werden Studienanfänger an Hochschulen immer jünger: Im Wintersemester 2017/2018 lag ihr durchschnittliches Alter bei 19 Jahren. Im Wintersemester 2007/2008 betrug das Durchschnittsalter noch 21,3 Jahre.

Lina Walter war 2018 eine der sogenannten Erstis. Die 24-Jährige studiert Onlinekommunikation an der Hochschule in Darmstadt und erinnert sich noch gut an das kribbelige Gefühl der Anfangszeit: "Vor meinem ersten Tag in der Uni war ich wirklich aufgeregt und nervös. Es war ein bisschen wie in der Schule: Wer sind die Leute, mit denen man die nächsten Jahre verbringen wird? Wie wird mein Stundenplan aussehen?", beschreibt die Studentin ihre Empfindungen und Gedanken. Ihre Lektüre für die Zeit vor der Einführungswoche: der "Studienbegleiter 2018", den ihre Hochschule in Zusammenarbeit mit dem Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) online herausgibt. Darin finden sich jede Menge Fakten zur Hochschule, Wissenswertes zur Organisation des Studiums, Ansprechpartner, Internetadressen sowie wichtige Semestertermine.

Eine der wenigen Gemeinsamkeiten der circa 430 privaten und staatlichen Hochschulen in Deutschland ist die Einführungswoche, die zunächst aus allerlei Informationsveranstaltungen besteht. Veranstaltungen wie Begrüßungspartys oder Campus-Rallyes, wie auch Lina Walter in Darmstadt sie erlebt hat, lockern die zahlreichen aufeinanderfolgenden Vorträge auf. Die Universität Erfurt, die mit 26 Bachelor-Studiengängen zu den kleineren Hochschulen Deutschlands gehört, nennt diesen Teil der Einführungswoche das "Kennenlernen der Kultur- und Kneipenszene". Soll heißen: Studierende zeigen den Anfängern, wo es sich am besten leben, genießen und feiern lässt.

Um den jungen Menschen den Start ins Studentenleben zu erleichtern, haben sich die Mitarbeiter der Erfurter Uni einiges ausgedacht: Stadtführungen, gemeinsames Konzipieren der Stundenpläne, Einführung in die Bibliothek, Vorstellung der Beratungsstellen oder eine "Ersti-Facebookgruppe". An der Gestaltung des Konzepts für die Einführungswoche wirken verschiedene Bereiche der Hochschule mit: "In der Vorbereitung der Erstsemesterwoche arbeiten vor allem das Dezernat Studium und Lehre, das Internationale Büro und die Hochschulkommunikation eng zusammen", erklärt die Leiterin der Hochschulkommunikation, Carmen Voigt, die Verantwortlichkeiten. In Erfurt organisiert die Universität auch den Dialog der älteren Semester oder Dozenten mit den Anfängern: "Unsere studentischen Campus-Spezialisten stehen via Facebook oder persönlich für Fragen zur Verfügung. Außerdem wird jedem Erstsemester ein Professor oder Dozent als Mentor zugewiesen, der ihn während seines gesamten Studiums begleitet und Ansprechpartner bei Problemen ist."

Mehr Angebote als früher

Die dennoch oft auftretenden Startschwierigkeiten beobachten die Mitglieder der Organisation Asta an der Universität zu Köln jedes Jahr aufs Neue, sehen aber auch eine Verbesserung: "Für die Erstis ist es insgesamt leichter und transparenter geworden, in das Studium zu starten. Es gibt eine Menge von Angeboten, die von der Zentralen Studienberatung, den Fachberatungen, Fachschaften und der Asta weiterentwickelt wurden. Erstis haben eher Schwierigkeiten, mit der Informationsflut umzugehen, als zu wenige Informationen zu erhalten", erklärt Florian Puttkamer, Sprecher des Kölner Asta.

Wie viel Eigeninitiative man zeigen müsse, variiere von Studiengang zu Studiengang. Je nach Fachschaft sei das Einführungsprogramm unterschiedlich. "Selbstverständlich gestaltet sich der Start in das Unileben nicht immer einfach, besonders, weil man etwaige Strukturen noch nicht gewohnt ist." Der Ansatz der Astas in Deutschland ist deswegen vielerorts, die Studierenden auf ihrer Webseite und mit persönlichen Beratungen und Hintergrundinformationen zu versorgen. In Köln agiert der Asta während der Einführungswoche im Hintergrund und überlässt die restliche Organisation den Fachschaften, damit die Anfänger diese direkt kennenlernen.

Die Fachschaften initiieren Gruppen, die sich während der gesamten Unizeit treffen

Die Verantwortung für einen Großteil der Einführungswoche liegt an der Frankfurt University of Applied Sciences anders als in Erfurt bei engagierten Studierenden - wie Lisa Jatho. Als Vorstandsmitglied der Fachschaft Wirtschaft und Recht kümmert sie sich an der staatlichen Fachhochschule ganzjährig um verschiedenste Themen, die die Wirtschaftsstudierenden beschäftigen. Zweimal im Jahr ist sie für die Einführungswoche verantwortlich. Bereits seit ihrem zweiten Semester ist Jatho Mitglied der Fachschaft. Sie engagiert sich auch als Tutorin und ist zeitweise Sprecherin der Tutoren.

Sie weiß um ihre Verantwortung: "In den ersten Tagen an einem Studienort ist es wichtig, dass wir den Leuten beim Ankommen helfen. Mit der richtigen Betreuung können wir Ängste nehmen und den Übergang fundamental erleichtern", erklärt die 26-Jährige. Dabei hat eine Fachschaft nicht nur die Aufgabe, organisatorische Fragen zu beantworten oder bürokratische Prozesse zu erklären. "Studium ist auch Teamwork. Wir wollen den Studierenden helfen, eine Gemeinschaft zu formen. Oft ist es ein guter, bunter Mix an Leuten: Die einen kommen direkt von der Schule, die anderen haben durch beispielsweise eine Ausbildung schon viel Lebenserfahrung." Um die verschiedenen Grüppchen zu größeren Gemeinschaften werden zu lassen, veranstaltet die Fachschaft dieser Frankfurter Fachhochschule Spiele zum Kennenlernen, Frühstückstreffen oder Sektempfänge mit Dozenten.

Die Fachschaften wählen auch Tutoren aus, die die Studiengangsgruppen in ihrer ersten Woche betreuen und von Termin zu Termin begleiten. Tutoren sind sowohl an Universitäten wie Hochschulen in Deutschland verbreitet; ihre Tätigkeiten werden vergütet und sind vertraglich geregelt. Die Auswahl der Studierenden, die den Erstsemestern beim Ankommen helfen sollen, basiert auf mehr als der zeitlichen Verfügbarkeit und der Absicht der Interessenten, etwas Geld zu verdienen: "Uns ist es wichtig, auch neue Tutoren und Tutorinnen zu finden. Sie müssen motiviert und empathisch sein, um den Neulingen beim Vernetzen und Teambuilding während der Veranstaltungen zu helfen", erklärt Lisa Jatho.

Auch Alexander Merget ist Tutor an der Frankfurt University of Applied Sciences und studiert wie Lisa Jatho International Business Administration. Als Auslandsstudent in Finnland hat er erlebt, wie Studierende durch ganz kleine Hilfestellungen auftauen: "Manchmal haben schon ein Scherz oder wenige Worte dabei geholfen, dass das Eis während einer Gruppenveranstaltung gebrochen ist. Die Leute freunden sich dann an, sie sitzen ja im selben Boot."

Ältere Studenten helfen als Mentoren

Aber auch im zweiten oder dritten Semester besteht Gesprächsbedarf. Deshalb bemüht sich Jatho, auch nach der Einführungswoche im Austausch mit den Studenten zu bleiben - dafür gibt es kleine Stammtische und große Social-Media-Gruppen. Der 26-Jährigen ist bewusst, dass die Fachschaft die Erstis am Anfang oft überfordert. Doch mit Blick auf die selbstverantwortliche Organisation des Studiums sieht Lisa das als nötig an. Welpenschutz gebe es nicht: "Das ist wie eine Grundausbildung, in der wir die Erstis in der kurzen Zeit möglichst gut vorbereiten müssen, um typischen Fehlern wie verpassten Prüfungsanmeldungen oder falsch belegten Kurse vorzubeugen."

Ein Modell zur Unterstützung über die Einführungswoche hinaus ist das Mentoring-Programm. Das Prinzip: Ein Studierender eines höheren Semesters übernimmt als "Buddy" die Verantwortung für eine Gruppe von zehn bis zwölf "Mentees", um die er sich im ersten Semester kümmert. Im Gegenzug erhält er einen Vertrag als studentische Hilfsarbeit oder eine Anerkennung seines Engagements als Wahlpflichtfach. Im deutschlandweiten Programm "Optimierung des Studienerfolgs", das seit 2011 und bis Ende 2020 aus den Mitteln des Bund-Länder-Programms "Qualitätspakts Lehre" finanziert wird, soll auch dieses Prinzip verbreitet werden. Insgesamt stehen zwei Milliarden Euro dafür zur Verfügung. Das Ziel: die Verbesserung der Studienbedingungen und der Lehrqualität. Insgesamt werden 342 Hochschulen gefördert, die sich zuvor um Fördermittel beworben hatten.

Sandra Wiegand leitet das Mentoringprogramm an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Sie erhält überwiegend positive Rückmeldungen dazu: "Das Mentoringprogramm ist ein wichtiger Baustein für die Willkommenskultur." Insbesondere das Vorhandensein von persönlichen Ansprechpersonen und die freundschaftliche Atmosphäre werde von Mentoren und Mentees positiv herausgehoben. "Die Teilnahmequoten liegen bei uns bei 47 Prozent aller Bachelor-Erstsemester." Die Betreuung sei besonders aufgrund der folgenden Herausforderungen nötig: Sprachbarrieren, fehlendes soziales Umfeld, unzureichende Lernstrategien, mangelndes Wissen, wie man einen eigenen Haushalt führt.

Mentoren berichten Wiegand von der Schwierigkeit vieler Erstis, soziale Kontakte zu knüpfen. Auch hier können die Buddys, ähnlich wie Tutoren, helfen: Sie organisieren lockere Treffen und vermitteln Mentees an die jeweiligen Beratungsstellen, wenn etwa spezielle Themen wie Steuerfragen oder psychische Probleme auftreten. Neue Mentoren finden sich wie von selbst: Viele Mentees bewerben sich später als Mentoren.

Sich an der Hochschule sozial zu engagieren, ist eine positive Erfahrung, das bestätigt Lisa Jatho: "Es fühlt sich gut an, wenn die Aufnahme an der neuen Hochschule klappt und man sich direkt wohlfühlt, ohne zu sehr zu bemuttert zu werden. Dazu möchte ich beitragen", erklärt die Wirtschaftsstudentin.

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