Sozialverhalten an Schulen:Mobbing macht sexy

Sozialverhalten an Schulen: Szene aus dem US-Film "Bully" aus dem Jahr 2001, in dem es um einen rücksichtslosen Mobber geht, der sein Umfeld terrorisiert

Szene aus dem US-Film "Bully" aus dem Jahr 2001, in dem es um einen rücksichtslosen Mobber geht, der sein Umfeld terrorisiert

(Foto: imago stock&people)
  • Von Selbstzweifeln befreit rangieren Mobber im sozialen Gefüge der Schule ganz oben.
  • Eine neue Studie fordert Verständnis für die Rüpel ein: Ihr rücksichtsloses Verhalten sei evolutionsbedingt, sagen die Forscher.
  • Das zuweilen bösartige Verhalten von Mobbern in der Schule sei keine Absicht - sondern diene unbewusst der Fortpflanzung.

Von Matthias Kohlmaier

Im Regelfall ist er Kapitän der Footballmannschaft, breitschultrig, braungebrannt, immer mit dem hübschesten Mädchen der Schule zu sehen, im Auftreten arrogant und rücksichtlos. Die US-Popkultur hat den Chef im sozialen Gefüge einer Highschool schon oft thematisiert - wie zum Beispiel im Video zum Song "Teenage Dirtbag" von Wheatus aus den Nullerjahren. Der "Chef" macht ohne Gemütsregung beim Einparken mit seinem dicken Schlitten Fahrräder von Mitschülern platt oder rempelt selbige im Schulflur derart an, dass sie zu Boden gehen.

Bully heißt diese Gattung im Englischen, sie ist das Pendant zum deutschen "Mobber". Wer hinter solchen Gestalten bis dato immer im Kern todtraurige Menschen vermutet hat, dem widerspricht eine aktuelle Studie aus Kanada. Demnach haben die bullies nicht nur das größte Selbstbewusstsein und genießen hohes Ansehen, sie haben auch seltener als Mitschüler Depressionen oder soziale Ängste.

Studienleiterin Jennifer Wong von der Simon Fraser University in Vancouver hat an einer örtlichen Highschool 135 Schüler zwischen 13 und 16 Jahren nach ihren Erfahrungen bezüglich Mobbing befragt. Aus den Antworten ließen sich die Teilnehmer in vier Gruppen einteilen: Mobber, Mobber/Opfer (solche, die zwar mobben, aber auch selbst gemobbt werden), Opfer und Unbeteiligte. Mobber waren demnach am zufriedensten, Mobber/Opfer am unzufriedensten.

Macht = Mädchen = Fortpflanzung gesichert

Bis hierhin scheinen die Ergebnisse wenig überraschend zu sein. Doch Wong betrachtet ihre Daten vor einem evolutionspsychologischem Hintergrund, der sogenannten Evolutionary psychology theory (EPT). In verkürzter Form besagt diese: Jede Verhaltensweise dient dem Ziel, sich in der eigenen sozialen Umgebung nach oben zu arbeiten, da man dort nicht nur am sichersten ist, sondern auch mit den besten Möglichkeiten in puncto Fortpflanzung rechnen darf.

"Bullies setzen sich durch", sagt Wong dazu zur Washington Post, hier kommt auch wieder das Beispiel aus "Teenage Dirtbag" zum Tragen. Denn natürlich ist es der Kapitän der Footballmannschaft, der das hübsche Mädchen bekommt, während der Gerempelte (im Videoclip gespielt von Jason Biggs, bekannt aus dem Film "American Pie") nur von ihr träumen darf. Wongs Studie, erschienen im Journal of Interpersonal Violence, heißt dementsprechend: "Survival of the Fittest and the Sexiest: Evolutionary Origins of Adolescent Bullying" (deutsch: Überleben der Stärksten und Sexiesten: Evolutionstheoretische Wurzeln von Mobbing bei Teenagern).

Auf der Suche nach Status

Die Studie ist aufgrund der geringen Probandenzahl nicht repräsentativ. Dennoch lässt sie eine Annahme zu: Das Verhalten von Mobbern sei nicht erworben, sondern erblich bedingt, so Wong. Davon ausgehend müssten die Schulen im Umgang mit Mobbern massiv umdenken, denn Strafen können gegen ein quasi angeborenes Verhalten wohl kaum helfen. Wong und ihr Co-Autor Jun-Bin Koh schlagen vor, mobbende Schüler mit bestimmten Aufgaben in der Schulgemeinsaft zu betrauen, um ihrem Verhalten einen positiven Nutzen abzugewinnen.

Bei einem Pilotprojekt an einer Schule im US-Bundesstaat Arizona wurden vermeintliche bullies zum Beispiel als Aufsichtspersonen am Eingang eingesetzt - ein Job mit vergleichsweise viel Macht, aber auch Verantwortung. Hänseleien und Anfeindungen zwischen Schülern seien daraufhin "dramatisch" zurückgegangen, berichtet Psychologe Tony Volk, der an der Evaluation des Projektes mitarbeitet, in der National Post. Volk hat im Übrigen in einer anderen Untersuchung herausgefunden, dass die Mobber unter 178 befragten Teenagern am häufigsten Sex hatten - damit stützt er Wongs Mobbing-macht-sexy-These. Bullies seien keine Sadisten, sagt Volk, "Status ist das, was sie antreibt".

Dass man Mobbing an Schulen trotzdem nicht einfach akzeptieren kann, selbst wenn es ein angeborenes Verhalten sein sollte, davon ist auch Jennifer Wong überzeugt. "Wir müssen an den generellen Funktionsweisen in der Schule arbeiten, so dass Mobber keine positiven Effekte mehr damit erzielen können, wenn sie jemandem wehtun."

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