Letzte Magister- und Diplom-Studenten:Druck auf die Letzten ihrer Art

Unis setzten im Kampf gegen Plagiate auf Prävention

Die Letzten ihres Standes: 200.000 Studierende wollen ihr Studium noch mit Magister oder Diplom abschließen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Lernen mit Tiefgang - dafür steht das alte Studiensystem. Elf Jahre nach Bologna gibt es noch 200.000 Studierende, die einen Magister- oder Diplom-Abschluss anstreben. Doch manchem droht jetzt der Rausschmiss.

Von Hannes Vollmuth

Ludwig Heider musste sich beeilen für sein entspanntes Studium. Seine Mitschüler feierten noch ihr Abitur, da wechselte er schon im Altenheim die Bettlaken, schrubbte die Gänge und trug das Essen auf. Sein Zivildienst endete am 31. März 2009, am nächsten Tag begann sein Studium in München - letzte Chance auf einen Magister im Fach Philosophie. "Selbst die Studienberatung hat mir zum alten Magister geraten", sagt der 25-Jährige heute. Doch aus der Entspannung ist ein Endspurt geworden.

Elf Jahre ist es her, da begann der Bologna-Prozess die deutsche Studienlandschaft umzupflügen. Erst kam der Bachelor an die Hochschulen, dann der Master. Inzwischen sind neun von zehn Studiengängen umgestellt, das errechnete die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vor einem Jahr. Aber noch immer wollen 200.000 Studenten ihr Studium mit dem Magister oder dem Diplom abschließen. Und der Druck auf die Letzten ihrer Art steigt.

Dabei standen gerade die alten Studiengänge für eine andere Zeitrechnung, für Lernen mit Tiefgang, Gründlichkeit und Muße. Der Münchner Student Ludwig Heider las sich erst mal durch die antiken Philosophen: Platon, Aristoteles. Epikur. Damals, 2009, vergifteten Wörter wie Anwesenheitspflicht, Workloads, ECTS-Punkte und Module die Universitäten. Ludwig Heider war wie eine Katze, die sich durch einen Zaun quetschte. Der Zaun war die neue Studienordnung, die für ihn nicht galt.

"Vielen fehlte nur noch ein Schein"

Die LMU München gewährt ihren letzten Magister- und Diplomstudenten so viel Zeit, wie sie brauchen, 2500 sind es noch. Doch während Ludwig Heider nur mit Aristoteles kämpft, kämpfen Magister-Studenten anderer Unis mit dem Rausschmiss, der Exmatrikulation.

Vor zwei Wochen bekamen 270 Kölner Studenten einen Brief: Exmatrikulation. "Vielen fehlte nur noch ein Schein", kritisiert Patrick Schnepper, Mitglied des Kölner Asta. Doch die Universität gewährte keine Fristverlängerung. "Die alten Studiengänge sind eine zusätzliche Belastung für das Personal", sagt der Sprecher der Universität Köln, Patrick Honecker.

Nicht überall handeln die Universitäten so strikt wie in Köln. Doch auch in anderen Städten erhöht sich der Druck auf die letzten Vertreter des alten Systems. Wer sich beispielsweise an der Freien Universität Berlin für seinen Magister Zeit lässt, muss zur Zwangsberatung. "Wer nicht hingeht, der kann sich nicht zurückmelden", sagt Philipp Bahrt, Mitglied der Studierendenvertretung. Nach der Regelstudienzeit gewährt die Universität nur einen Aufschub von vier Semestern.

Etwa 1700 Magister- und Diplomstudenten waren im letzten Semester noch eingeschrieben. "Sollten ihnen noch Leistungsnachweise fehlen, werden mit den Studierenden, insbesondere bei Härtefällen, einzelfallbezogene Lösungen gefunden", teilte die Universität mit. Auch wenn die Universität dazu nicht verpflichtet sei.

Dabei haben nur wenige Studenten, die jetzt unter Druck geraten, ihre Zeit vertrödelt. Manchmal war es eine Krankheit, eine Behinderung oder ein Nebenjob. In Köln kostet ein WG-Zimmer mittlerweile 400 Euro, in München manchmal sogar 500 Euro. Zwei von drei Studenten, das ergab die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, gehen inzwischen nebenbei arbeiten.

Ludwig Heider aus München lebt sein Studium, wie es Professoren raten. Beim Hochschulsport zieht er Boxhandschuhe über seine Fäuste. Er besuchte schon Vorlesungen in Kunstgeschichte und lernte Italienisch für sein Auslandssemester in Rom. In den ersten Semestern wechselte er am Wochenende noch immer die Laken im Altenheim, wie damals als Zivi. Dann diskutierte er im Fachschaftsrat, im Fakultätsrat, war Mitglied im Konvent. An anderen Unis bricht solches Engagement den Magisterstudenten gerade das Genick.

Amrit Malhotra hat Studenten schon weinen sehen in ihrem Büro, kurz vor dem Ende. Malhotra ist Endspurtberaterin an der Universität Münster, zur ihr kommen alle, die jetzt gehen sollen, weil Magister und Diplom längst der Vergangenheit angehören. "Für manche ist es sogar eine Befreiung, endlich eine Frist zu haben", sagt Malhotra. Manche beeilten sich dann tatsächlich, andere wechselten in den Bachelor, sagt sie. Auch wenn nicht immer alle Scheine anerkannt werden.

Raus aus dem System

Wie schnell Magister- und Diplomstudenten gehen müssen, hängt auch am jeweiligen Landeshochschulgesetz. Aber auch die Universitäten entscheiden mit. Manche Hochschulen gewähren großzügige Fristen oder erleichtern den Wechsel ins neue System. Andere erhöhen den Druck und drängen Magister- und Diplomstudenten aus dem System.

Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), fordert: "Für Härtefälle, bei denen sich aufgrund ihrer persönlichen Situation das Studium darüber hinaus verzögert, müssen individuelle Lösungen gefunden werden."

Ludwig Heider ist es mittlerweile trotzdem peinlich, wenn er sagen muss: "Ja, Magister, 10. Semester." Sein Auslandsaufenthalt hat ihn ein Jahr gekostet, außerdem hat er zwei Nebenfächer. Er hat jetzt Angst, irgendwann mit 13 Semestern dazustehen, während die Master-Leute nur zehn in ihren Lebenslauf schreiben. Vor Kurzem hat ihn auch noch einer aus dem ersten Semester gefragt: "Magister - was ist das gleich noch mal?"

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