Lesergeschichten von Linkshändern:"Sie sind Linkshänderin? Dann sowieso nicht."

Linkshändigkeit in Schule und Beruf.
(Foto: Kelly Sikkema/Unsplash; Illustration Jessy Asmus)

In Schule und Job wird an Linkshänder oft nicht gedacht: Zum Weltlinkshändertag erzählen Leser von quälenden Häkelstunden, gescheiterten Bewerbungen und Hausaufgaben in Spiegelschrift.

Kinder dürfen heute auch mit links schreiben. Wie sehr Schule und Arbeitsbedingungen aber weiterhin auf Rechtshänder ausgelegt sind, zeigen die Erfahrungen unserer Leser. Zum Weltlinkshändertag eine Auswahl ihrer Geschichten.

Vom Lehrer drangsaliert

Die ersten zwei Jahre in der Grundschule habe ich als sehr angenehm in Erinnerung. Meine Klassenlehrerin Frau K. war eine sehr liebevolle, ältere Dame, die die Tatsache, dass ich Linkshänderin bin, nie thematisiert hat. Dann kam Herr M.ins Spiel, der mir die nächsten zwei Jahre in der Grundschule das Leben zur Hölle machte! Herr M. ein großer schlanker Mann mit nach hinten gegeltem Haar und schmalen Oberlippenbart. Er trug während des Unterrichts einen langen weißen Kittel. Diesen lies er sich vor Unterrichtsbeginn mithilfe von einem vorher ausgewählten Schüler anziehen und nach Unterrichtsschluss wieder ausziehen.

Herr M. war ein autoritärer, unberechenbarer Lehrer Ende 40. Ganz schnell fiel ihm auf, dass ich Linkshänderin war. Die Leichtigkeit des Seins war für mich in den nächsten Jahren erstmal auf Eis gelegt. Meine Hausaufgaben musste ich als einzige jeden Morgen zu ihm ans Lehrerpult bringen. Im Beisein aller Mitschüler strich er alles, was ich geschrieben hatte, durch. Morgens musste ich um 7 Uhr, also eine Stunde vor Unterrichtsbeginn, zu ihm ins Lehrerzimmer kommen und meine Hausarbeiten vor seinen Augen mit rechts noch einmal schreiben.

Dies ging über mehrere Wochen. Jeden Morgen bin ich mit Bauchschmerzen aufgewacht und habe viel geweint. Hey Mann, ich hatte nichts verbrochen! Ich war ein kleines achtjähriges Mädchen und konnte nur einfach nicht mit der rechten Hand schreiben! Dann endlich ging meine Mutter zu besagtem Lehrer und teilte ihm mit, dass ich in Zukunft auch erst um 8 Uhr wie alle anderen Kinder zur Schule kommen würde und ab dato nur noch mit der linken Hand schreiben würde.

Dies akzeptierte Herr M., dennoch ließ er mich bis zum Ende der Grundschule spüren, dass es ihn überhaupt nicht gefiel. Ich musste mehrmals wöchentlich ohne für mich ersichtliche Gründe in der Ecke stehen oder Strafarbeiten schreiben. Ich war eingeschüchtert und fing an zu stottern und mich nicht mehr am Unterricht zu beteiligen. Die Erlösung kam mit dem Schulwechsel auf eine der ersten integrierten Gesamtschulen! Keinem der Lehrer dort störte es, dass ich mit links schrieb. Trotzdem war ich bis zum Ende meiner Schulzeit irgendwie traumatisiert! Mich aktiv in den Unterricht einzubringen fiel mir absolut schwer und Blackouts bei Prüfungen lagen an der Tagesordnung. Mein Abitur habe ich dann Jahre später mit Mitte dreißig im Zuge einer Umschulung nachgeholt.

Regina C.

Knoten im Hirn

Meine Erzieherinnen im Kindergarten waren mit meiner "Andersartigkeit" überfordert, als es darum ging zu lernen, wie man sich die Schuhe bindet. Weder ihnen noch mir gelang es damals, die Bewegungen andersherum auszuführen. Resultat: Ich binde mir noch heute die Schuhe, indem ich zwei "Ohren" mache und mit diesen einen einfachen Knoten mache. Anders, bzw. "richtig", habe ich es nie wieder gelernt.

Dominik D.

Es war gerade keine Pistole für Linkshänder da

Mein großer Traum war es immer, Polizistin zu werden. Ich habe mich während der Oberstufe für eine Laufbahn im höheren Polizeidienst beworben, für die - zur damaligen Zeit - vier verschiedene Phasen erfolgreich absolviert werden mussten, um am Ende eingestellt zu werden. Zu Beginn stand der allseits gefürchtete Sporttest, danach die schriftliche Prüfung, bei der das Allgemeinwissen getestet wurde. Beide Hürden meisterte ich mit Bravour, wie mir versichert wurde.

Nachdem ich diese beiden Phasen bestanden hatte, blieb nur noch die körperliche Untersuchung auf Polizeidiensttauglichkeit übrig, danach sollte schon das persönliche Vorstellungsgespräch stattfinden.

Es kam der Tag und ich durchlief alle notwendigen Stationen: Sehtest, Hörtest, Urinprobe - alles kein Problem. Ich sah mich meinem Traum so nah wie noch nie. Am Ende der Untersuchung sollten noch das Gespräch mit dem zuständigen Arzt und ein Belastungs-EKG anstehen. Ich stand schließlich nur in Unterwäsche bekleidet vor dem Arzt, der mich anwies, verschiedene Bewegungen zu machen, mich nach vorne zu beugen, mich zu strecken.

Bevor es weiter zum Belastungs-EKG gehen sollte, drückte mir der Arzt überraschend eine Pistole in die rechte Hand. Natürlich war das keine echte, jedoch in Form und Gewicht realitätsgetreu. Ohne weitere Erklärung meinte der Arzt zu mir, ich solle einmal mit ausgestrecktem Arm zehn Mal gegen die Wand schießen (beziehungsweise den Auslöser betätigen). Ich wollte natürlich diszipliniert und gehorsam wirken, daher stellte ich keine näheren Fragen bezüglich der Übung.

Ich tat wie mir geheißen und schoss zehn Mal gegen die Wand. Mit dem rechten Arm, schließlich legte mir der Arzt die Pistole zuvor in ebendiese rechte Hand. Wie ich selbst merkte, fiel mir das Schießen nach dem siebten Mal schwerer, immerhin war das meine schwache Hand und auch mein schwacher Arm - ich bin ja Linkshänderin. Nachdem ich fertig war, stellte der Arzt mit scharfer Deutlichkeit fest: "Das Schießen ist Ihnen nach der Hälfte der Schüsse sichtlich schwer gefallen - das sind keine guten Voraussetzungen für den Ernstfall."

Etwas verdattert erwiderte ich dann, dass ich ja auch Linkshänderin sei und rechts daher meine schwächere Seite wäre. Auf die Nachfrage, ob ich die gleiche Übung nicht noch einmal mit links wiederholen könnte, gab es dann eine Antwort, die sicherlich für mein Scheitern bei der Polizei mitverantwortlich war: "Achso, ne, ist eigentlich auch egal. Außerdem haben wir grade keine für Linkshänder da."

Ich bin sicher, dass dieser einzelne Test allein nicht entscheidend dafür war, dass ich bei der Polizei nicht genommen wurde (mein Belastungs-EKG danach war eher grenzwertig). Ich bin jedoch auch sicher, dass dieser Test etwas zerstört hat: Auf Seiten des Arztes fehlte von da an der Wille, mich als Kandidatin "durchzuboxen" und für mich einzustehen; Auf meiner Seite fehlte ab diesem Zeitpunkt das Vertrauen in die Fairness des gesamten Auswahlverfahrens. Ein negativ ausfallendes Belastungs-EKG hätte man gegebenfalls sogar nachholen/ wiederholen können. Ich kann jedoch nichts daran ändern, Linkshänderin zu sein - und will es auch überhaupt nicht.

Carolin H.

Linkshänder werden sowieso versagen

Ich persönlich hatte nie Probleme mit meiner Linkshändigkeit. Es war immer nur mein Umfeld. Im Handarbeitsunterricht die Lehrerinnen: Wir können dir Stricken/Häkeln nicht auf links beibringen! Du kannst nicht mitmachen. Ich musste es ja sowieso neu lernen. Dann war es mir egal ob auf links oder rechts. Jetzt stricke und häkle ich halt auf rechts.

Das Gleiche im Kindergarten mit der Papierschere: Oh, wir haben keine geeignete Schere für dich! Ich habe auch da von vorne herein gelernt, mit der "normalen" Rechtshänder-Schere zu schneiden. Das ist mir bis heute geblieben - ich kann selbst im Beruf nur mit Rechtshänder-Scheren arbeiten.

Weiter ging es in der Realschule. Ich habe an der 8. Klasse den kaufmännischen Zweig belegt, damals noch mit Steno. Ende der 7. Klasse ging die künftige Steno-Lehrerin durch die Klassen und fragte, wer von ihren künftigen Schülern Linkshänder sei. Zu denen, die sich gemeldet haben, sagte sie, dass sie für Steno gänzlich ungeeignet wären. Wir müssen uns bewusst sein, in der Prüfung zu versagen. Da ich immer gut im Zeichnen etc. war, nahm ich dies als Ansporn und war durchgehend und auch in der Steno-Prüfung Klassenbeste!

Andrea S.

Gewaltsam umerzogen vom Hinterhofpsychologen

Auch wenn in der DDR zur Zeit meiner Einschulung 1986 (Jahrgang 1980) das sogenannte "Umschulen" bereits verboten war, gab es Möglichkeiten, mit der Hilfe von "Hinterhofpsychologen" doch noch dem Wunsch gestörter Elternteile nachzukommen. Ich wurde regelmäßig samstags abgeliefert, damit die Mutter einkaufen gehen konnte. Sie teilte mir mit, es wäre nötig, da ich sonst als Linkshänder nicht an der POS (Polytechnische Oberschule) aufgenommen werden würde. Linkshändigkeit gleich Behinderung.

Physische und psychische Gewalt (die Grundlagen der sogenannten Umschulung) erbrachten allerdings nur Probleme mit dem Sprachzentrum. Mit dem ersten Stottern endete dieser Versuch. Als Linkshänder war man dann für unverständige Pädagogen maximal lästig. Hilfen, wie das richtige Eindrehen von Heften um das Schmieren zu vermeiden, waren unbekannt.

Maik S.

Als Lehrerin in Indien ungeeignet

Ich war nach der Schule ein Jahr lang für einen Freiwilligendienst in Indien. Dort gilt die linke Hand als die schmutzige Hand, mit der man sich den Hintern abwischt, mit der man kein Geld berühren und nicht essen soll. Ich habe einem kleinen Jungen eine Aufgabe mit links vorgeschrieben und ihm das Heft und den Stift hingehalten, damit er sie nachmacht. Doch er wollte den Stift partout nicht nehmen. Ich dachte einfach, dass er keine Lust hat und hab ewig mit ihm diskutiert. Am Ende hat er sich eine Mullbinde um den Stift gewickelt, bevor er ihn genommen und geschrieben hat. Er wollte ihn nicht mehr anfassen, weil ich ihn vorher mit der linken Hand berührt hatte.

Isabella E.

Schreiben stresst bis heute

Ich bin umgedrehter Linkshänder, gehöre also mit Jahrgang 76 noch zu den umgelernten Kindern. Ich habe eine schlimmere Schrift als jeder Arzt. Ich hatte in Rechtschreibung und Handarbeit immer die schlechtesten Noten. Sämtliche Handgriffe fallen mir schwer. Die linke Hand will, ist aber völlig untrainiert. Die rechte Hand kann nicht, muss aber alles machen. In meiner Jugend konnte ich nichts mit einer Schere schneiden. Ich war ob meiner Rechtschreibung und Handarbeit immer sehr unbeliebt bei den Lehrern. "Der will sich halt keine Mühe geben!"

Lebhaft erinnere ich mich an eine Begebenheit aus dem Textilunterricht. Mehrere Mädchen hatten sich über mich und meine Unbeholfenheit lustig gemacht. Ich wollte mich wehren, indem ich so tat als würde ich ihren Häkelstoff durchschneiden. Ich wusste, dass ich das eh nicht schaffen würde. Ich konnte nicht mal ein Blatt Papier ordentlich schneiden, wie sollte es mir bei dem Stoff gelingen? Und es gelang mir auch nicht. Auf einmal wurde mir schwarz vor Augen. Die Lehrerin (unsere Klassenlehrerin, die auch für unsere Umgewöhnung von links nach rechts verantwortlich war) hatte bemerkt, was vor sich ging. Und verpasste mir von hinten eine Ohrfeige. Und danach gab es natürlich Anschiss.

Diese absolute Unbeholfenheit hat sich bis heute fortgesetzt. Ich schreibe keine handschriftlichen Briefe, Unterlagen ausfüllen verursacht mir psychischen Stress, ich bekomme nicht einmal Nägel in die Wand, so ungeschickt bin ich.

Hendrik F.

Die heimliche Links-Strick AG

Vor allem in der Grundschule hatte ich einige Schwierigkeiten aufgrund meiner Händigkeit. Meine Handarbeitslehrerin hat sich partout geweigert, mir das Stricken mit Links beizubringen. Weil ich schrecklich verzweifelt war und es nicht rechtsherum lernen wollte, musste meine Mutter es lernen, um es mir anschließend beibringen zu können. Im Handarbeitsunterricht ging die Lehrerin dann meistens an mir vorbei und würdigte mich keines Blickes, weil ich in ihren Augen den Unterricht boykottierte.

Gegen ihren Willen brachte ich es auch den anderen Linkshändern meiner Klasse bei, selbstverständlich erst nach dem Unterricht. Auch bei der Einführung des Füllers in der zweiten Klasse hatte ich so meine Probleme, da ich das Geschriebene immer verwischte und die Tinte an meinem Handballen hasste. Ich begann dann damit, von rechts nach links und spiegelverkehrt zu schreiben, was meine Deutschlehrerin wahnsinnig machte.

Nach einem anscheinend sehr lauten Gespräch mit meiner Mutter (die sich wirklich sehr für mich eingesetzt hat), durfte ich fortan mit einem blauen Stabilo schreiben, von links nach rechts versteht sich. Meine Handschrift ruinieren würde das, behauptete zumindest die Lehrerin. Von rechts nach links spiegelverkehrt schreiben kann ich nach 18 Jahren noch immer. Jahrelang habe ich so Tagebuch geführt, damit ja niemand meine geheimen Aufzeichnungen entziffern kann.

Julia F.

Als Eisverkäuferin abgelehnt

Während der Schulzeit bewarb ich mich für einen Job in der Eisdiele. Beim Gespräch eröffnete mir die Chefin, dass sie fünf Euro die Stunde zahlen würde. Als ich meinte, das sei aber unter dem gesetzlichen Mindestlohn, war sie schon nicht mehr besonders begeistert von mir. Sie meinte, sie habe schon viele andere Interessenten, ich solle ihr aber mal meine Telefonnummer aufschreiben, damit sie mich erreichen könne.

Ich griff nach dem Stift und sie sagte: "Ach, Sie sind Linkshänderin. Na, dann geht es ja sowieso nicht." Sie begründete das damit, dass ich den Eislöffel von links nach rechts bewegen und den Kollegen so den Weg versperren würde. "Glauben Sie mir, ich kenne das." So hat mir meine Händigkeit eine Karriere als Eisverkäuferin verbaut. Oder aber die Weigerung, mich ausbeuten zu lassen.

Sarah M.

Den Spitzer drehen, nicht den Stift

Ich bin 1994 geboren und gehöre somit nicht zur "Mich hätte man noch getadelt"-Generation der Linkshänder. Doch auch ohne Umschulung, Tatzen oder Hiebe war mein Leben in der Grundschule nicht wie das der Rechtshänder. Es begann alles mit der "Füller-Prüfung" am Ende der 1. Klasse. Aufgabe war es, zu jedem Buchstaben im Alphabet, einen Satz zu formulieren. Soweit, so gut.

Für normalsterbliche (Rechtshänder) stellte die Tatsache, dass diese Prüfung mit Tusche und Feder zu lösen war, keine Herausforderung dar. Für mich war das der erste Hinweis dafür, dass der Füller und ich keine besonders guten Freunde mehr werden würden. Auch die Holzstifte, die ich lieber spitzte, indem ich den Spitzer drehte und nicht die Stifte, waren mir eher suspekt.

Meine Begabung, was das Häkeln und Stricken anging, hielt sich auch in Grenzen. Erklärt wurde natürlich für die Rechtshänder. Aussage der Werken-Lehrerin damals: "Mit links kann ich das doch auch nicht!" - somit war die Note 4 im Jahreszeugnis wohl oder übel gerechtfertigt (dachte ich zumindest damals). Mit Omas Hilfe wurde aus der Note 4 im neuen Jahr dann immerhin noch eine 2.

Auch in meinem Beruf als Bankkaufmann, werde ich von alten Damen noch immer als "Falscher" bezeichnet. Erst letzte Woche wurde ich gefragt, seit wann "Die Linken" denn in einer Bank arbeiten dürfen.

Felix N.

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