Lehrkräfte:Burn-out im Klassenzimmer

Lehrkräfte: Viele Pädagogen werden krank durch die Belastungen, die ihr Job mit sich bringt.

Viele Pädagogen werden krank durch die Belastungen, die ihr Job mit sich bringt.

(Foto: Michelle Fraikin/mauritius images)

Kaum eine andere Berufsgruppe wird so oft Opfer psychosomatischer Erkrankungen wie Lehrkräfte. Fachleute überrascht das überhaupt nicht.

Von Joachim Göres

Vor Kurzem erst hat in Bayern die Schule wieder begonnen, in anderen Bundesländern wie in Hessen oder Rheinland-Pfalz hingegen stecken Schüler und Lehrer quasi schon mitten drin im Hausaufgaben- und Klausuren-Stress. Angesichts wachsender Belastungen in ihrem Beruf gelingt es manchen Pädagogen nicht mehr, sich während der Sommerferien zu erholen. Psychosomatische Erkrankungen sind der Hauptgrund, wenn Lehrer länger als sechs Wochen in der Schule ausfallen. So hat nach aktuellen Zahlen der Landesschulbehörde jeder dritte der ungefähr 4600 über einen längeren Zeitraum erkrankten Lehrer in Niedersachsen psychische Beschwerden.

Besonders betroffen sind Grundschullehrer ab einem Alter von 50 Jahren, die vor allem unter depressiven Stimmungen, Angststörungen oder Erschöpfung leiden. Gutachten, welche die Dienstfähigkeit von Pädagogen klären sollen, haben in Rheinland-Pfalz seit Jahren zu circa 70 Prozent eine psychische Erkrankung der Lehrkraft als Hintergrund. Wird eine aktuelle Dienstunfähigkeit aus psychischen Gründen festgestellt, kehren diese Personen später nur selten wieder zurück - bei einer Überprüfung durch ein sogenanntes Reaktivierungsgutachten wird in Rheinland-Pfalz zu 95 Prozent eine weiter bestehende Dienstunfähigkeit bescheinigt.

Dirk Lehr, Professor für Gesundheitspsychologie an der Universität Lüneburg, hat zu diesem Thema geforscht und Studien anderer Autoren ausgewertet. Nach einer repräsentativen Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unter mehr als 20 000 Erwerbstätigen sind Lehrer deutlich häufiger als andere Berufsgruppen von Erschöpfung (mehr als jeder Zweite), Kopfschmerzen (mehr als 40 Prozent), Nervosität und Reizbarkeit (knapp 40 Prozent) sowie von Schlafstörungen (35 Prozent) betroffen. Nach der Potsdamer Lehrerstudie, für die 16 000 Lehrkräfte befragt wurden, liegt die Burn-out-Rate bei 29 Prozent - zusammen mit Erziehern die höchste Rate aller Berufe.

Laut Lehr legen einige Studien den Schluss nahe, dass das Risiko für spätere psychische Erkrankungen erhöht ist, wenn Berufsanfänger unrealistische Erwartungen an ihren Einfluss auf Schüler und überhöhte Leistungsansprüche an sich selbst haben. Starke negative Gedanken verhinderten einen erholsamen Schlaf, was das Risiko von Depressionen und Herzerkrankungen erhöhe. Wichtig sei die Förderung von Verhaltensweisen, die der Erholung dienten. Auf der Grundlage dieser Studien hat das Lüneburger Institut Lern-Gesundheit unter dem Titel "Stark im Stress" ein Überlastungstraining für Lehrer entwickelt.

Lutz Schumacher leitete ein Projekt, für das 30 Schulen in ganz Deutschland über drei Jahre bei der Verbesserung der Gesundheitsbedingungen beraten und circa 1000 Lehrkräfte befragt wurden. Der Professor für Personalmanagement an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin hat dabei drei etwa gleich große Gruppen von Pädagogen ausgemacht: die gesunden, zufriedenen Progressiven, die für Veränderungen offen sind; die gesunden und zufriedenen Desinteressierten, die alles beim Alten lassen wollen; die belasteten und unzufriedenen Resignierten, deren psychische Gesundheit angegriffen ist und die Veränderungen als dringend nötig bezeichnen. Wobei sie aber an deren Realisierung nicht glauben.

Der Druck von Ministerien und Eltern nimmt zu

"Wir haben keine Vorgaben gemacht, sondern die Lehrer konnten sagen, was verändert werden soll. Dabei fiel auf, dass Probleme mit der Schulleitung am seltensten ein Thema war, aus Angst vor Konflikten", sagt Schumacher. Aus seiner Sicht haben Schulleiter eine Schlüsselrolle - von ihnen hänge ab, ob Lehrer sich unterstützt fühlen, ob sie an Entscheidungen beteiligt werden und ob ein Gruppengefühl an ihrer Schule entsteht, an der man idealerweise gemeinsame Werte und Ziele teilt.

Ansprechende Räumlichkeiten, das gilt insbesondere für das Lehrerzimmer, können das Wohlbefinden erheblich verbessern - davon ist Sebastian Ginser, Fremdsprachenlehrer am Gymnasium Burgdorf bei Hannover, überzeugt. An der 860 Schüler und 80 Lehrer zählenden Schule ist vor Kurzem das 50 Jahre alte Lehrerzimmer umgebaut und neues Mobiliar angeschafft worden. Neue Teppiche und abgehängte Decken reduzieren den Lärm. Ein neuer Ruheraum kann für das Nickerchen zwischendurch an der Ganztagsschule genutzt werden. "Früher sind viele Kollegen sofort nach ihrem Unterricht abgehauen, weil es hier laut und nicht schön war. Jetzt bleiben viele länger zu kollegialem Austausch. Außerdem kann man sich auch eher mit einem Kaffee zurückziehen und wirklich eine Pause machen", sagt Ginser.

In Rheinland-Pfalz bietet das Institut für Lehrergesundheit (IfL) allen Bediensteten an staatlichen Schulen eine persönliche Beratung vor Ort sowie eine telemedizinische Sprechstunde an, zudem werden regelmäßig Studientage zum Thema Lehrergesundheit veranstaltet. Dort geht es darum, was die Gesundheit im Berufsalltag beeinflusst, und wie die laut IfL wichtigsten Faktoren - störungsfreie Arbeitspausen, Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten, Verwaltungsaufwand und Lärmpegel - in den Schulräumen verbessert werden können. "Die Vergleiche der Ergebnisse des diesjährigen Gesundheitsberichts mit denen der vier vorangegangenen Schuljahre zeigen, dass sich wenige Veränderungen in der Gesundheitssituation der Bediensteten sowie auch bezüglich der Arbeitsmerkmale finden lassen", heißt es im aktuellen IfL-Gesundheitsbericht.

Karl Gebauer, der 25 Jahre Rektor einer Göttinger Grundschule war und heute im Ruhestand ist, wundert das nicht. Zu den Belastungsfaktoren im Lehrerberuf gehören nach seiner Erfahrung nämlich auch Konflikte mit Kollegen oder der Schulleitung sowie Neuerungen im Schulsystem. "Der Stress wächst seit der Diskussion um das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler beim Pisa-Test im Jahr 2000. Seitdem ist alles auf Effizienz ausgerichtet. Der Druck von Ministerien und Eltern nimmt zu. Der Schulleiter hat heute mehr Macht und sagt, wo es langgeht, und viele Lehrer ziehen sich zurück. Nicht Menschen, sondern Ziele stehen im Vordergrund, und die nötige Empathie wird zurückgedrängt", kritisiert Gebauer. Nach seiner Überzeugung ist das Einfühlungsvermögen in andere eine Quelle für besseren Umgang mit Stress. Der Autor rät, mit Kollegen über Gefühle und Belastungen zu sprechen und gemeinsam nach Veränderungsmöglichkeiten zu suchen.

In seinem Buch "Stress bei Lehrern. Probleme im Schulalltag bewältigen" beschreibt Gebauer, wie an seiner einstigen Schule ein Team von 16 Lehrern konstruktiv mit Problemfällen umging, unter anderem in Form von Rollenspielen, Aufzeichnungen in einem pädagogischen Tagebuch oder dem Zeichnen von Karikaturen. Eine seiner Empfehlungen am Ende des Buches: "Fehlschläge und Misserfolge sind Teil der Arbeit. Sie müssen als normal angesehen werden. Lehrkräfte sollten darauf achten, dass sie Misserfolge nicht gleichsetzen mit einer allgemeinen Unfähigkeit für Erziehungsprozesse. Aus Fehlern kann man lernen. Ist diese Lernfähigkeit nicht mehr vorhanden, ist dies oft ein deutlicher Hinweis auf Stress. Wenn kein Ausweg mehr gesehen wird, sollten die Alarmglocken läuten. Man muss sich dann selbst auf den Weg machen, um aus einer solchen Sackgasse wieder heraus zu kommen. Dabei geht es oft nicht ohne die Hilfe eines Teams oder einer Therapie."

Nähere Informationen zum Überlastungstraining für Lehrer finden sich unter www.training-sis.de

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