Debatte um US-Lehrplan:Wie kritisch darf ein US-Schüler sein?

Cowboystiefel auf rotem Teppich

Amerikas Konservative fürchten, dass ihre Nation im schulischen Geschichtsunterricht zu negativ dargestellt werden könnte.

(Foto: dpa)
  • In den USA streiten Konservative und Liberale um die Darstellung ihrer Nation im Geschichtsunterricht.
  • Anhänger des "American exceptionalism" fürchten, dass das in der Schule vermittelte Bild der USA nicht positiv genug sein könnte.
  • Die Debatte um Bildungsstandards dürfte ein großes Thema im Präsidentschaftswahlkampf 2016 werden.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Amerika ist anders. So anders, dass alle republikanischen Präsidentschaftsanwärter das Gleiche bekennen. Ob Jeb Bush, Rand Paul oder Ted Cruz, sie alle geloben: "Ich glaube an den amerikanischen Exzeptionalismus". Die Idee des American exceptionalism, also der besonderen Stellung der USA in der Welt, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Ihre Bedeutung ist nicht ganz geklärt, Historiker interpretieren sie als Definition der USA als ein Produkt besonderer Werte und Umstände.

Dass die Vereinigten Staaten ein gewöhnliches Land wären, wird wohl kaum jemand behaupten, zu unterschiedlich sind Prägung, Institutionen und Rollenverständnis. In den vergangenen Jahren jedoch, als die Einordnung der USA in eine multipolare Welt deutlicher wurde, hat sich die antiintellektuelle Tea Party den Begriff zu eigen gemacht und zu einem politiktheoretisch verkleideten Nationalismus verkürzt: die USA als "bessere" Nation, tugendhaft und nicht mit den Fehlern anderer Länder behaftet. Dieses Credo wollen viele konservative Politiker nun in den Lehrplänen verankern. Dabei geht es um die Grundsatzfrage, was Geschichtsunterricht leisten soll.

Konservative fürchten linke akademische Elite

Konkret geht es um das "Advanced Placement Program" (AP). Im AP können Oberstufenschüler Kurse auf Universitätsniveau belegen und Prüfungen ablegen - was ihnen bei der Bewerbung an einer Universität helfen kann.

Im neuen AP-Lehrplan soll das kritische Hinterfragen des amerikanischen Narrativs gefördert werden, heißt es. Die Konservativen sehen das als Versuch einer linken akademischen Elite, ihre Ideologie in die Klassenzimmer zu tragen. "Geschichte wird inzwischen durch die Brille von Missständen, Fragen der sozialen Gerechtigkeit und solchen Dingen betrachtet, und das zum Nachteil des amerikanischen Exzeptionalismus", beschwerte sich jüngst Will Ligon, ein republikanischer Senator im Bundesstaat Georgia.

Georgia ist neben Colorado, Oklahoma, North Carolina, South Carolina und Texas einer der Staaten, in denen Aktivisten und Politiker gegen den neuen AP-Lehrplan vorgehen. "Der Rahmen-Lehrplan indoktriniert einen durchgehend negativen Blick auf die Vergangenheit der Nation", schrieb der konservative Geschichtslehrer Larry S. Krieger in einem Aufsatz.

Schulbücher, rechts gefärbt

Die Konservativen stören sich nicht nur an der verordneten Selbstkritik, sondern auch dort aufgeführten "Schlüsselkonzepten". Diese beschreiben beispielsweise die Wandlung des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan vom kalten Krieger mit hohen Militärausgaben zu einem "freundschaftlichen Verhältnis" zu Sowjet-Chef Michail Gorbatschow. Eine solche Sichtweise würde kein Republikaner teilen, weshalb die Partei das Dokument offiziell ablehnt. Der konservative Politiker Ben Carson, ein möglicher Präsidentschaftskandidat, erklärte gar: "Nach diesem Kurs würden die meisten Menschen bereit sein, sich dem Islamischen Staat anzuschließen."

Politiker in Oklahoma hatten zunächst ein Gesetz eingebracht, das den amerikanischen Exzeptionalismus, die Tradition des freien Marktes und die begrenzte Rolle der Regierung für den Lehrplan vorgeschrieben und damit AP de facto verboten hätte. Wie in anderen Staaten hatten jedoch Schüler und Lehrer protestiert, die Initiatoren zogen ihren Vorschlag zurück.

Die Kontroverse ist damit noch nicht ausgestanden. Im Gegenteil: Wie bereits bei der Frage nach der Rolle der Evolutionstheorie im Biologieunterricht wird die Schulbildung zum Politikum. Beiden gemein ist ebenfalls, dass plötzlich auch über eine größere Rolle der Religion bei der Auswahl des Lernstoffs gestritten wird.

Denker von John Locke bis Moses

Im vergangenen Herbst stimmte der Bildungsausschuss von Texas für aktualisierte Schulbücher, die dem Christentum eine auffällig prominente Rolle in der politischen Tradition des Westens eingeräumen. Vier Denker hätten beispielsweise die Gründungsväter beeinflusst, die Staatstheoretiker John Locke und Montesquieu, der britische Parlamentarier William Blackstone und: Moses. Andere Passagen waren deutlich rechts gefärbt: Die Aussage, dass die Sklaverei kein entscheidender Grund für den Amerikanischen Bürgerkrieg gewesen sei, wurde erst nach Protesten entfernt.

Die Demokraten fürchten nun, dass konservative Bundesstaaten einen neuen Geschichtsrevisionismus vorantreiben könnten. Skeptiker unter den Historikern prognostizieren, dass US-Schüler bald völlig unterschiedliche Versionen ihrer Landesgeschichte zu hören bekommen - je nach politischer Ausrichtung ihres Bundesstaates.

Ganz so weit ist es noch nicht, doch unter diesen Vorzeichen bekommt auch die Ablehnung gemeinsamer landesweiter Bildungsstandards für einige Fächer (der in 43 Bundesstaaten geltende "Common Core") durch die Republikaner eine andere Note. Die Debatte gilt als großes Thema für den Wahlkampf 2016 - die meisten republikanischen Präsidentschaftsanwärter haben sich bereits klar gegen eine Vereinheitlichung positioniert.

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