Chancengleichheit:Rückkehr der Elite-Gymnasien

Young Pros

Mit elf Jahren absolvierten Schüler den Aufnahmetest für die Grammar School. Wer bestanden hatte, wie diese Gruppe 1964, hatte gute Chancen auf Plätze an den besten Unis.

(Foto: Keystone/Getty)
  • Theresa May will wieder Grammar Schools in Großbritannien eröffnen.
  • Die Premierministerin gilt als Anhängerin der Elite-Schulen, denn sie hat selbst eine besucht.
  • Kritiker betonen hingegen, dass die Schulen Kinder aus ärmeren Familien benachteiligen.

Von Christian Zaschke, London

Wer in Großbritannien eine hitzige Debatte über Bildung und Aufstiegschancen in Gang setzen will, muss lediglich vorschlagen, doch beizeiten wieder ein paar Grammar Schools zu eröffnen. Mitte der Sechzigerjahre gab es im Vereinigten Königreich 1300 dieser Schulen, die dem deutschen Gymnasium entsprechen. Heute sind es lediglich 164. Sie wurden von Mitte der Sechzigerjahre an größtenteils abgeschafft und durch Gesamtschulen ersetzt, um für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Der Sunday Telegraph hat nun erfahren, dass Premierministerin Theresa May eine Renaissance der Grammar School plant. Vertreter aller Parteien haben angekündigt, sich diesem Vorhaben mit aller Macht entgegenstellen zu wollen.

Grammar Schools sind staatliche weiterführende Schulen, die über die Aufnahme von Schülern mittels eines Leistungstests entscheiden. Die Idee war, dass das begabteste Viertel der Teilnehmer aufgenommen wird. Wer den Test nicht bestand, musste auf eine sogenannte Secondary Modern School gehen. Dann beschloss die Regierung, ein flächendeckendes Gesamtschulsystem einzuführen, um den Kindern zu ersparen, bereits im Alter von elf Jahren in schlaue und nicht ganz so schlaue Schüler eingeteilt zu werden.

Laut Gegnern benachteiligen Grammar Schools ärmere Schüler

Seither trauern besonders manche Konservative dem alten System hinterher. Ihr Argument: Es eröffne Kindern aus ärmeren Familien die Chance auf eine exzellente Ausbildung und damit zum sozialen Aufstieg. Rund 100 konservative Abgeordnete unterstützen eine Kampagne der Gruppe "Conservative Voice", die sich für die Wiedereinführung der Grammar School einsetzt. Die Gruppe war, wie die meisten ihrer Unterstützer im Parlament, auch für den Austritt aus der EU.

Gegner der Grammar Schools sagen, dass diese überwiegend von Kindern aus der Mittelklasse besucht würden, weil deren Eltern es sich leisten könnten, ihren Nachwuchs mittels Privatunterricht auf den Aufnahmetest vorzubereiten. Die sozialen Verhältnisse würden zementiert. Tatsächlich kommen an Grammar Schools nur drei Prozent der Schüler aus den ärmsten Familien, während es im gesamten Schulsystem 20 Prozent sind.

Die Regierung von Tony Blair hatte 1998 ein Gesetz verabschiedet, demzufolge es keine neuen Grammar Schools geben darf. Auch die konservative Regierung von David Cameron hat sich daran gehalten. Der vormalige Premier genoss die Vorzüge einer Ausbildung an der Privatschule in Eton, die derzeit 42 000 Euro im Jahr kostet. Doch er war der Ansicht, dass es im staatlichen Schulsystem keine Klassifizierung von Schülern in jungen Jahren geben solle. "Eltern haben kein Interesse daran, dass ihre Kinder im Alter von elf Jahren in Schafe und Ziegen eingeteilt werden", sagte er und nannte Rufe nach der Rückkehr zum alten System "oberflächlich". Cameron war dem rechten Flügel der Partei stets ein wenig verdächtig, weil er als "Modernisierer" galt. In diesem Ruf steht Theresa May nicht.

Ein symbolischer Schritt für einen Wandel in der Bildungspolitik

Bei 24 000 staatlichen Schulen im Land fiele die Zahl von neuen Grammar Schools vermutlich nicht spürbar ins Gewicht. Der Schritt bedeutete jedoch einen symbolischen Wandel in der Bildungspolitik der Konservativen hin zu einem System mit mehr Wettbewerb schon in jungen Jahren. Er zeigte zudem, dass May sich nicht scheut, die Politik ihres Vorgängers, in dessen Kabinett sie sechs Jahre lang diente, grundsätzlich zu überdenken.

Eine Labour-Sprecherin sagte, die Premierministerin versuche, ein "mythisches Goldenes Zeitalter" wieder zum Leben zu erwecken. "Aber Selektion gehört in den Mülleimer der Geschichte und hat keinen Platz in der modernen Gesellschaft." Tim Farron, Chef der Liberaldemokraten, sagte, er werde ein Bündnis mit Mitgliedern aller Parteien schmieden, "um diesen rückwärtsgewandten Plan zu verhindern".

May gilt als Freundin des alten Systems

Die Tories verfügen über eine Mehrheit von lediglich zwölf Sitzen im Parlament. Da die Cameron-treuen Modernisierer unter den Konservativen ebenfalls kein Interesse an der Rückkehr zum alten Bildungssystem haben, könnte es für die Premierministerin schwierig werden, die Pläne im Unterhaus durchzusetzen. May ist bekannt dafür, ihre Vorhaben bis ins Kleinste zu planen. Daher wird sie die kommenden Wochen wohl dazu nutzen, das Terrain zu sondieren, bevor sie ihre Pläne auch offiziell verkündet. Dazu böte sich der Parteitag im Oktober an.

Dass May eine Freundin des alten Systems ist, mag mit ihrem persönlichen Werdegang zusammenhängen. Wie die Musiker Mick Jagger und John Lennon, wie ihre Vorgänger John Major und Margaret Thatcher bestand sie als Elfjährige den Test und besuchte eine Grammar School. Das eröffnete ihr den Weg nach Oxford, wo sie Geografie studierte.

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