13-Euro-Lehrer in der Berufsvorbereitung:Prekariat unterrichtet Prekariat

Schlechte Schüler landen oft in "Bildungsmaßnahmen". Dort sollen sie fit gemacht werden für Ausbildung und Arbeitsmarkt. Doch die Lehrer verdienen selbst weniger als Fachkräfte am Bau.

Von Ralf Steinbacher

Es ist so zermürbend", sagt Marcus Bender. Da hat man ein Pädagogik-Diplom, ist zudem Energieelektroniker und noch Fachausbilder für den Sanitätsdienst, arbeitet 39 Stunden die Woche mit jungen Leuten, die kaum die einfachsten Wörter kennen, und dann verdient man weniger als am Bau. Bender ist Fachanleiter am Bildungszentrum Köln und unterrichtet Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Eine schwierige Klientel. Der Großteil habe noch nicht eine einzige Bewerbung geschrieben, was auch kein Wunder sei, da viele nicht einmal im Ansatz rechnen und schreiben könnten, sagt er. "Wir versuchen hier in zehn Monaten, zehn Jahre nachzuholen."

Bender arbeitet in einer der sogenannten Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB), die kürzlich wieder bundesweit begonnen haben. Solche Kurse zahlt die Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Teilnehmer sollen hinterher eine Lehre beginnen. Doch obwohl die Ausbilder oft hochqualifiziert sind, werden sie mit einem Mindestlohn von 13 Euro brutto die Stunde abgefertigt. So wie auch in anderen staatlich finanzierten Bildungsprogrammen. Das hat Folgen für die Qualität der Kurse und für die Anbieter.

"37 Prozent unserer Mitgliedsorganisationen, die Arbeitsförderung betrieben haben, sind zwischen 2010 und 2013 aus der Arbeitsförderung ausgestiegen oder in Konkurs gegangen", sagt Tina Hofmann, Referentin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beim Paritätischen Gesamtverband. 2012 konnte zwar ein Mindestlohntarifvertrag abgeschlossen werden, der Tarif sieht bis Ende 2015 aber nur ein Gehalt von 13,35 Euro in West- und 12,50 Euro in Ostdeutschland vor. Und das auch nur für pädagogisches Personal. Zum Vergleich: Der Mindestlohn für Fachkräfte im Baugewerbe liegt 2015 bei 14,20 Euro.

Kritiker nennen sie "Warteschleife"

Und diese unterbezahlten Leute sollen dann Jugendliche in berufsvorbereitenden Programmen motivieren und so weit bringen, dass sie einen Ausbildungsplatz finden. Jugendliche aus schwierigen familiären Verhältnissen, mit Vätern, die womöglich selbst keine Berufsausbildung haben. Jugendliche, die oft nicht einmal den Hauptschulabschluss haben: Prekariat unterrichtet Prekariat.

Die Vorbereitungskurse, in denen auch Marcus Bender arbeitet, gehören zum sogenannten Übergangsbereich zwischen Schule und Berufsleben. In dem landeten 2013 laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) immerhin 258 000 Jugendliche. 47 000 begannen eine Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme.

Bildungsgänge des Übergangsbereichs sollen vor allem dreierlei erreichen: Sie sollen Jugendliche reif machen für einen Ausbildungsplatz, ihnen einen Hauptschul- oder höherwertigen Abschluss ermöglichen, und sie sollen für ausbildungsreife Jugendliche, die keine Lehrstelle bekommen haben, eine Überbrückung schaffen. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Angebote (siehe Kasten).

Vorbereitung auf den Beruf

719 000 junge Leute begannen 2013 nach der Schule eine Berufsausbildung, 525 000 besuchten eine weiterführende Schule und 511 000 studierten. 258 000 jedoch landeten dem Bundesinstitut für Berufsbildung zufolge im Übergangsbereich. Die dortigen Kurse werden von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und anderen Trägern durchgeführt, für berufliche Schulen sind die Länder zuständig. Ein Überblick über wichtige Angebote:

Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BvB) der Bundesagentur für Arbeit hatten 47 000 Anfänger und damit mehr als andere Angebote: Sie sollen Jugendlichen helfen, einen Beruf zu wählen, berufliche Grundfertigkeiten vermitteln und berufs- und betriebsorientiert qualifizieren, können auch auf einen Schulabschluss vorbereiten. Auch Jugendliche mit Handicap gehören zur Zielgruppe. BvB dauern meist zehn Monate und sollen in eine Ausbildung münden.

Einstiegsqualifizierung der Arbeitsagentur (EQ): Dabei handelt es sich um sechs- bis zwölfmonatige Praktika in Betrieben, die auf die Ausbildung vorbereiten sollen.

Berufsvorbereitungsjahr (BVJ): Wer die Schule nicht mehr besucht, aber noch schulpflichtig ist, keinen oder einen schlechten Abschluss oder Sonderschulabschluss hat, wird an beruflichen Schulen auf eine Ausbildung und eventuell den Hauptschulabschluss vorbereitet. Ein Praktikum ist Pflicht.

Berufsgrundbildungsjahr (BGJ): Im BGJ wird Jugendlichen, die zumeist Hauptschulabschluss haben, an einer Schule eine breite berufliche Grundbildung vermittelt. Außerdem kann auf die Prüfung für den mittleren Abschluss vorbereitet werden. Das BGJ kann als Ausbildungsjahr angerechnet werden.

Teilqualifizierende Berufsfachschule (BFS): Voraussetzung ist ein Hauptschul- oder mittlerer Abschluss. Je nach Zielsetzung dauert die BFS ein bis zwei Jahre. Teilnehmer erhalten eine berufliche Grundbildung und können den mittleren Abschluss oder das Fachabitur erwerben. Ralf Steinbacher

Bildungsexperten streiten seit Jahren über den Sinn der Maßnahmen. Kritiker nennen sie "Warteschleife". Friedel Schier, der sich am BIBB mit dem Thema beschäftigt, sagt: "Ich spreche nicht vom Übergangssystem, denn es findet kein Übergang statt - und es gibt kein System, auch wenn viel Geld und viel Engagement drinsteckt." Es könne passieren, dass ein Jugendlicher nach einer schulischen Maßnahme eine Maßnahme der Arbeitsagentur beginne, danach in eine Jugendhilfemaßnahme komme und dann wieder in eine schulische Maßnahme. "Und keiner kriegt das mit."

Nicht mal jeder Dritte bekommt einen Ausbildungsplatz

Nach Schiers Meinung kann es "nicht angehen, dass Jugendliche zum Teil Jahre in so einem System verbringen und hinterher kaum qualifizierter sind als vorher".

Studien darüber, wie sinnvoll Maßnahmen aus dem Übergangsbereich sind, gibt es kaum. Eine ältere Untersuchung des BIBB von 2009 zieht den Schulabschluss heran. Wenn also ein Hauptschul- oder höherwertiger Abschluss erzielt werde, heißt es da, verbessere das immerhin die Chancen. Bei BvB könne sich jedoch nur etwa jeder Zehnte verbessern, in teilqualifizierenden Berufsfachschulen (BFS) seien es immerhin mehr als die Hälfte der Teilnehmer. Schier gibt allerdings zu bedenken, dass Erfolg und Wirkung bei Maßnahmen aus dem Übergangsbereich schwer zu messen seien. In Berufsschulen habe Weiterbildung eher den höheren Abschluss zum Ziel, während BvB Jugendliche zu einer Lehrstelle verhelfen sollten.

Die Arbeitsagentur hat eine eigene Forschungseinrichtung, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt hat. In Westdeutschland haben demnach 28 Prozent der Teilnehmer einer BvB hinterher eine Berufsausbildung begonnen, im Osten zehn Prozent. Doch hier handelt es sich teils auch um junge Leute, die schon vorher ausbildungsreif waren, aber zunächst keine Stelle gefunden hatten. Die Studie kommt übrigens noch zu einem weiteren Ergebnis: Wenn der Übergang in eine betriebliche Ausbildung gelinge, dann am ehesten über ein Praktikum.

"Wenn wir die jungen Leute nicht betreuen, stehen sie auf der Straße"

Für Marcus Bender, der für den Internationalen Bund arbeitet, ist der Nutzen klar: "Die Maßnahmen sind sehr wichtig, denn wenn wir die jungen Leute nicht betreuen, stehen sie auf der Straße." Er setze gerne die Jugendlichen auf die Schiene, damit sie ihren Weg im Leben machen könnten, doch sei die Bezahlung für den "unheimlich nervenbelastenden Job" einfach ein Witz.

2205 Euro brutto verdient der verheiratete Vater von drei Kindern, "und ich schreibe mir die Finger wund mit Anträgen auf Wohngeld und Kinderzulage". Da er beides bekommt, ist von Amts wegen festgestellt, dass sein Gehalt nicht ausreicht, um seine Familie durchzubringen.

Hintergrund der Misere ist nach Ansicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), dass der Bund die Mittel für Aus- und Weiterbildung über die Jahre massiv gekürzt habe, und die Arbeitsagentur den billigsten Anbietern den Zuschlag gebe. Das habe zu einem existenzbedrohenden Unterbietungswettbewerb geführt. Arbeitsagentur und Wirtschaftsministerium weisen dies zurück. Nicht der Billigste werde genommen, sondern derjenige, der einen gewissen Qualitätsstandard einhalte und dabei das beste Preis-Leistungsverhältnis anbiete.

Dennoch - das Trägersterben geht weiter. Eben erst hat sich ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und Verbänden formiert, das im Gespräch mit Arbeits- und Wirtschaftsministerium Verbesserungen erreichen will. Die Chancen stehen so schlecht nicht, denn bis 2016 muss die europäische Vergabereform in nationales Recht umgesetzt werden, die dafür Spielraum schafft. Zu den Zielen des Bündnisses gehören der Abschluss langfristiger Rahmenverträge und bessere Arbeitsbedingungen in der Branche.

Der Diplom-Religionspädagoge Marcus Bender freilich wird bis dahin noch viele qualifizierte Kollegen gehen sehen, die wegen der miesen Bezahlung hinwerfen. Und er wird weiter Antrag um Antrag auf staatliche Beihilfen schreiben, Gehaltsbescheinigungen beilegen, Konten offenlegen und Einkommensnachweise beifügen. Er selbst nennt das "Seelenstriptease".

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