Süddeutsche Zeitung

Zwei Jahre Rauchverbot:Per Mundpropaganda ins Qualmstüberl

Die Debatte übers Rauchverbot war ein Kulturkampf. Nun ist die Regelung in Bayern seit zwei Jahren in Kraft, und die Sache scheint sich eingespielt zu haben. Doch noch immer klagen Wirte über Verluste - und so mancher holt zu später Stunde noch immer die Aschenbecher raus.

Michael Tibudd

Hubert Waldherr muss einem die vielen Miesen gar nicht vorrechnen, man sieht sie ihm an. Es ist ein warmer Sommerabend, Waldherr sitzt vor seiner Kneipe, dem Belfort 7 in Haidhausen, und zündet sich eine Lucky Strike an. "Hier sind alle Raucher", sagt er und zeigt auf eine Handvoll Gäste, die auf den Stühlen vor seinem Lokal Platz genommen haben. "Der einzige, der nicht raucht, ist der Bladi, und der kommt nur alle nas'lang mal."

Hubert Waldherr erzählt von jener Zeit vor vier Jahren, als er die Kneipe in der Belfortstraße als Pächter übernommen hat. 70 Quadratmeter Gastraum, Theke, vier, fünf Tische, ein paar Automaten zum Zocken, Zielscheiben zum Dart-Spielen. "Damals musste man noch anstehen, um reinzukommen", sagt er.

Bis dann vor zwei Jahren alles anders wurde. "Jetzt kommt kaum noch einer." 40.000 Euro, so sagt der 50-Jährige, hat er seither aus dem Ersparten ins Geschäft gesteckt, um den Betrieb überhaupt am Laufen zu halten - eine Rechnung, die wohl nicht mehr lange aufgeht. "Das hier ist meine Existenz", sagt Waldherr mit tiefer, verrauchter, frustriert klingender Stimme, "und die hat man mir mit dem Rauchverbot zerstört."

Die Zerstörung ging in diesem Fall vom Volke aus, genauer gesagt vom Ergebnis des Volksentscheids zum Nichtraucherschutz in Bayern, bei dem am 4. Juli 2010 61 Prozent für ein strenges Rauchverbot in Bayerns Gastronomie stimmten. Zum 1. August 2010 trat die neue, scharfe Regelung in Kraft.

Damit endete ein regelrechter Kulturkampf zwischen jenen, die im Rauchen einen Ausdruck von Freiheit sahen, und den anderen, die ihre Freiheit durch Raucher in Kneipen und Gastwirtschaften als eingeschränkt empfanden.

Auch politisch war das Thema schwer umkämpft, eine ursprünglich sehr strenge Regelung lockerte die schwarz-gelbe Koalition nach der Landtagswahl 2008. Dagegen zog bald darauf eine Initiative um Sebastian Frankenberger zu Felde. Höhepunkt war besagter Volksentscheid.

Und nun, zwei Jahre später? Ob Boazn, Szenekneipe oder Speiselokal: Zum Rauchen stehen oder sitzen die Leute draußen, im Gasthaus selbst ist die Luft oft frischer als vor der Tür. Riesig scheint die Zahl der Verstöße nicht zu sein, jedenfalls hat das Münchner Kreisverwaltungsreferat als zuständige Behörde im ersten Jahr gerade einmal 195 Bußgelder gegen Wirte verhängt, im zweiten Jahr waren es 135. Bei 6000 Gaststätten im Stadtgebiet ist das zumindest nicht die Welt.

Auch anderswo gibt es offenbar drängendere Probleme. Das Landratsamt Starnberg etwa hat nach entsprechenden Hinweisen aus der Bevölkerung in den vergangenen zwei Jahren 15 Bußgeldverfahren durchgefochten, Kosten für die Wirte: bis zu 800 Euro.

Im Kreis Dachau gab es sieben Bußgeldverfahren. "Die soziale Kontrolle funktioniert", sagt Münchens Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle. Die ganz großen statistischen Auswüchse lassen sich nach seinen Angaben auch nicht bei einem Nebeneffekt des Rauchverbots beobachten: dem Geräuschpegel vor den Kneipen.

Schließlich unterhalten sich rauchende Gäste mitunter gern. "Die Zahl der Beschwerden hat sich nicht deutlich vergrößert", sagt Blume-Beyerle. Einzelne Veränderungen gibt es freilich: So schließt das Szenelokal Trachtenvogl in der Reichenbachstraße nun bereits um 22 Uhr - eine Folge der nächtlichen Auseinandersetzungen mit Nachbarn.

Das Thema scheint sich dennoch irgendwie erledigt zu haben, vielleicht auch, weil sich das eine oder andere Stüberl als heimlicher Ort für Raucher etabliert hat. "Da darf man rauchen", heißt es dann schon mal in der Mund-zu-Mund-Propaganda.

Darf man natürlich eigentlich nicht, der Wirt duldet es halt, verdient vielleicht gutes Geld an den rauchenden Gästen - und muss hoffen, dass keiner dieser Gäste ihn verpfeift. Ähnliches gilt für manche Nachtclubs und Diskotheken. Nach zwei Uhr morgens rechnet offenbar kaum mehr jemand mit dem plötzlichen Besuch eines Bezirksinspektors. Also wird gequalmt.

Zu solchen Ordnungswidrigkeiten aufzurufen liegt dem Verein zum Erhalt der Bayerischen Wirtshauskultur (VEBWK) natürlich fern. Dieser Verein hat sich 2007 gebildet, als die Diskussion über ein Rauchverbot in der Gastronomie ernsthaft entbrannte - oder auch das Unheil seinen Lauf nahm, wie es dieser Verein mit seinen bayernweit heute noch 40.000 Mitgliedern sieht. "Vor allem die kleinen Kneipen und Wirtshäuser mussten starke Umsatzverluste hinnehmen", heißt es in einer Erklärung des VEBWK zum zweiten Jahrestag des strengen Rauchverbots.

Als Beleg dient der Hinweis auf eine gemeinsame Umfrage mit dem Hotel- und Gaststättenverband, wonach Kneipen Mitte 2011 28 Prozent weniger Umsatz machten als vor dem Rauchverbot. Die Zahlen des Statistischen Landesamtes wiederum geben diesen Zusammenhang nicht her, danach ist der Umsatz von 2010 auf 2011 sogar leicht gestiegen.

Was den VEBWK empört, stellten die Statistiker doch im Jahr 2011 ihre Bemessungsgrundlage um: Betriebe mit einem Jahresumsatz von weniger als 150.000 Euro würden seither nicht mehr erfasst, "ein Großteil der kleinen Kneipen liegt da doch drunter", sagt ein erboster Bodo Meinsen vom VEBWK.

Er vermutet hinter dem Vorgehen Methode: "So bietet die Statistik ein Bild der Zufriedenheit." Eine Verschwörung der Statistiker gegen die Raucher? Wohl eher nicht. Fachleute räumen die veränderte Bemessungsgrundlage ein, beteuern aber, dass das vor allem einem Gefallen des Gesetzgebers an die Kleingastronomen zu schulden sei. Die müssen seither nicht mehr jeden Monat ihre Umsatzzahlen melden, was vielen sehr lästig war.

Einem Wirt wie Hubert Waldherr hilft das freilich auch wenig. Er fühlt sich als großer Verlierer eines aus Sicht der meisten längst ausgefochtenen Kampfes um das Rauchverbot. Der Verein zum Erhalt der Bayerischen Wirtshauskultur mag von einer Lockerung der Regeln träumen, "nach zwei Jahren hätte man die Möglichkeit, das Gesetz noch einmal zu novellieren", heißt es in der aktuellen Erklärung. "Für mich", sagt Waldherr, "gibt es keine Hoffnung."

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SZ vom 01.08.2012/tob
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