Zukunft des Bayernkuriers:Die Stimme des Herrn

Franz Josef Strauß liest den Bayernkurier

Für Franz Josef Strauß war der Bayernkurier mehr als nur die Parteizeitung, es war ein Bonner Oppositionsblatt.

(Foto: Hartmut Reeh/dpa)

Der "Bayernkurier" war ein Machtinstrument des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß und beliebtes Feindbild der Linken. Ideologisch aufgeweicht steht die Wochenzeitung vor dem Aus. Die Argumente für den Stammtisch entschwinden ins Internet.

Von Sebastian Beck

Das nur kurz vorweg: Es ist eine gute, ja geradezu befreiende Idee, dass die CSU ihre Münchner Landesleitung inklusive Bayernkurier-Flügel abreißen lassen oder verkaufen will. Wer mit Chefredakteur Peter Hausmann im Aufzug nach oben fährt, der betritt Redaktionsräume, in denen der Muff der Siebzigerjahre wie trockene Heizungsluft steht. So muss die Zentrale des bulgarischen Geheimdienstes ausgesehen haben.

Ein irgendwie bräunlich-grünes Ambiente mit Textilfasertapeten und seltsamen Deckenfliesen. Der Besprechungsraum: düster, holzgetäfelt, drückend. Daneben der ausrangierte Chefschreibtisch. Unter der Platte ein Alarmknopf - für den Fall, dass mal ein APO-Gammler, eine dieser Gestalten aus den Brutstätten des Verfalls, aus den Lasterhöhlen der Kunst bis in die Räume an der Nymphenburger Straße vorgedrungen wäre. Dann hätte die bayerische Polizei dieses linke Subjekt entfernt.

Man muss nicht lange in den vergilbten Ausgaben des Bayernkuriers blättern, um auf den Jargon der Nachkriegszeit zu stoßen. Gesindel. Naive Friedensgesichter. Entmenschte Vandalen-Horden, die sich wie Tiere benehmen. Herr Brandt. Die fünften Kolonnen des Kreml.

Der Chefredakteur? Verdächtig liberal

Einen wie Chefredakteur Peter Hausmann hätte das eigene Blatt in den Sechzigerjahren wahrscheinlich auch zu den eher zwielichtigen Gestalten gezählt. Er ist mehr der lockere Typ. Verdächtig liberal. Wie er da schon lümmelt, in Bluejeans, in der Ecke seine beiden Elektrogitarren, der Marshall-Verstärker. Aber das Schlimmste: Hausmann spielt - um es wieder im alten Jargon zu sagen - in einer Beat-Kapelle mit dem Münchner SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter und dem Grünen Hep Monatzeder. 1969 hätte der Bayernkurier geschrieben: eine vom elitären Wahn besessene Bohemien-Minderheit.

Zukunft des Bayernkuriers: Der jetzige Chefredakteur Peter Hausmann wirkt verdächtig liberal. Er hat seinen Vertrag nicht mehr verlängert.

Der jetzige Chefredakteur Peter Hausmann wirkt verdächtig liberal. Er hat seinen Vertrag nicht mehr verlängert.

(Foto: Catherina Hess)

Insofern ist es nur konsequent, dass das CSU-Parteiblatt im 65. Jahr nach seiner Gründung vor dem Ableben steht - ideologisch aufgeweicht wie die ganze Partei. Hausmann hat schon sein Bild im Büro abgehängt, die meisten Bücher sind eingepackt. An der Wand klebt das Layout für die letzte Nummer. Der Aufmacher beschäftigt sich mit dem schlechten Zustand der Bundeswehr. Danach ist Schluss für ihn: Der 63-Jährige hat seinen Vertrag nicht mehr verlängert. Man könnte auch sagen, er mag nicht mehr.

Abschied ins Internet - "ewig schade drum"

Im nächsten Jahr soll der Bayernkurier ins Internet entschwinden. Gedruckt gibt es ihn dann nur noch einmal im Monat als Magazin. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer formuliert es im Neo-Jargon: Die Partei wolle "was Modernes aufsetzen". Hausmann, der früher mal Regierungssprecher von Helmut Kohl war, zählt eher zur Generation der Papiermenschen. Er sagt: "Dieses Blatt gehört zum Markenkern der CSU." Insofern sei "es ewig schade drum".

Darüber kann man nun geteilter Meinung sein. Was die publizistische Bedeutung der "Deutschen Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur" betrifft, so erfährt man darüber alles am Kiosk im U-Bahnhof Sendlinger Tor. Dort liegen auch eher abseitige Druckerzeugnisse aus. Der Bayernkurier? Die Verkäuferin wirkt fast erschrocken: "Na, den hamma ned. Der ist uns zu klein."

Zwangsbeglückung für Parteimitglieder

Lange Zeit hatte der Bayernkurier eine Existenz als Scheinriese geführt: In den Siebzigerjahren brachte er es auf eine Auflage von 180 000 Stück und brüstete sich als zweitgrößte Wochenzeitung Deutschlands, deren Stimme angeblich in ganz Europa vernommen wurde. Nur: CSU-Parteimitglieder wurden mit einem Abonnement zwangsbeglückt, im freien Verkauf spielte der Bayernkurier nie eine Rolle. Wichtiger aber war seine Funktion als Störsender und Machtinstrument des CSU-Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß. Er ließ das Mitteilungsblättchen im Juni 1964 zur politischen Wochenzeitung aufblasen.

Von Anfang an dabei war Wilfried Scharnagl, der als Journalist vom Freisinger Tagblatt kam und von 1977 bis 2001 als Chefredakteur fungierte. In der CSU wird der Name Scharnagl mit ehrfürchtigem Tremolo ausgesprochen, er ist geradezu umwabert von Trockeneisnebel. Scharnagl bewahrt die Omega Speedmaster auf, die Strauß am Handgelenk trug, als er 1988 beim Jagdausflug zusammenbrach. Der heute 75-Jährige hat selbst an der Legendenbildung entscheidend mitgewirkt: "Scharnagl schreibt, was ich denke, und ich denke, was Scharnagl schreibt", lautet ein immer wieder zitierter Strauß-Spruch, der verdeutlichen soll, wie kongenial-symbiotisch das Verhältnis zwischen dem CSU-Parteichef und seinem Chefredakteur gewesen sei.

Die Stimme aus München klang mehr wie ein Bellen

Etwas anderes wäre bei einer Parteizeitung auch kaum vorstellbar gewesen. Marcel Hepp, einer von Scharnagls Vorgängern, wurde schon Ende der Sechzigerjahre als "Stimme seines Herrn" bezeichnet. "Es war, als ob die Hunnen in eine Kulturlandschaft eingebrochen wären", schrieb Hepp damals über Proteste bei der Frankfurter Buchmesse. Die Stimme aus München klang mehr wie ein Bellen, heute würde man wohl Hetze dazu sagen.

Aber die Wortwahl entsprach dem Zeitgeist, Linke und Liberale zahlten es Strauß und der CSU mit gleicher Münze heim. Der spätere Zeit-Feuilletonchef Dieter E. Zimmer kam 1969 nach der Analyse von zehn Ausgaben des Bayernkuriers zum Schluss: Das Blatt sei "tendenziell kleriko-faschistoid". Aber selbst dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) wurde es irgendwann zu blöd: Er stufte den Bayernkurier als "Organ der Verdummung und der Parteidisziplinierung von oben" ein.

Die Wende kam erst 1988 nach dem Tod von Strauß, als in der CSU die Ein-Mann-Ära endete. Und als dann ein Jahr später auch noch die DDR kollabierte, zerbröselte für den Bayernkurier das lebensnotwendige Feindbild. Scharnagl wuchs in der CSU mehr und mehr in die Rolle des irdischen Stellvertreters von Franz Josef Strauß hinein und schrieb im Bayernkurier fortan, was der große Vorsitzende vermutlich gedacht hätte.

Affären ausklammern, Opposition ärgern

Bei der Berichterstattung über das Parteileben in der CSU setzte das Blatt sehr eigene Prioritäten: Max Streibls Amigo-Affäre und dessen Sturz 1993 klammerte der Bayernkurier großzügig aus und beschäftigte sich lieber mit dem - wie immer heillosen - Zustand von SPD und Grünen.

Als Edmund Stoiber 1999 den Parteivorsitz übernahm, stand der Bayernkurier bereits sehr einsam in der grellen Modernisierungswelt. Die Jubiläumsausgabe zum 50-jährigen Bestehen im Jahr 2000 war deshalb dem Ahnenkult gewidmet: ein Grußwort von Strauß aus dem Jahr 1975, ein Aufsatz des früheren Ministerpräsidenten Hanns Seidel aus dem Jahr 1961 und eine mehrseitige Strauß-Eloge von Scharnagl, das waren, abgesehen von 50 Grußworten, die Höhepunkte der Ausgabe.

In der CSU mehrten sich die Stimmen, man solle den teuren Bayernkurier doch einstampfen. Stattdessen wurde er noch einmal einem Relaunch unterzogen: Das Layout erinnerte danach an ein Apothekerblatt, aus den Artikeln verschwand der geifernde Ton von einst, aber die Frage blieb: Wozu braucht man eine Partei-Wochenzeitung? Hausmann sagt: "Viele Leute lesen ihn, um sprechfähig zu werden. Wir liefern durchaus Argumente für den Stammtisch."

Keine Lust auf Scheuers Platitüden

Nun ja, die Aufsätze von Generalsekretär Andreas Scheuer taugen kaum fürs Wirtshaus. "Die Landtagsfraktion ist die Herzkammer der CSU, und sie schlägt am Puls der Zeit", schreibt er. Solche Plattitüden wollen selbst einfacher gestrickte Mitglieder nicht mehr nachplappern. Was aber schlimmer ist: Parteichef Horst Seehofer, der in der Woche zweimal seine Meinung wechselt, braucht kein Partei-Organ, das bloß einmal in der Woche erscheint. Und wie sollte man mit ihm eine Scharnagl-Symbiose eingehen? Wenn Seehofer doch selbst nie weiß, was er anderntags denken wird?

Die Auflage des Bayernkuriers ist inzwischen auf 55 000 Stück geschrumpft, davon gehen 40 000 an Parteifunktionäre. Scharnagl will sich über die Zukunft und den Zustand des Bayernkuriers nicht äußern. Er schweigt so sehr dazu, dass es fast schon wieder einer Wortmeldung gleich kommt. Man darf vermuten, dass er von der modernen Aufsetzerei Scheuers nicht viel hält.

Lieber schreibt Scharnagl einmal in der Woche als Kolumnist im Sinne des verstorbenen großen Vorsitzenden. Scharnagl/Strauß warnt in der aktuellen Ausgabe vor einem Rot-rot-grünen-Bündnis in Thüringen mit Ex-Stasi-Mitarbeitern als Ministern: "Wie der Wolf, der Kreide gefressen hat, gibt sich die Linke irgendwie geläutert." Früher hätte Strauß das schärfer formuliert. Er ist halt auch altersmilde geworden.

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