Zugunglück:Was wir über den Unfallhergang bei Bad Aibling wissen

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"Furchtbares Einzelversagen": Das Unglück von Bad Aibling wurde offenbar von einem Bahnmitarbeiter verursacht. Die Details.

Von Christoph Dorner, Bad Aibling

Das Zugunglück im Landkreis Rosenheim, bei dem am 9. Februar elf Menschen starben und 85 teils schwer verletzt wurden, ist durch menschliches Versagen verursacht worden. Dieses vorläufige Ergebnis teilten die Ermittler am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Bad Aibling mit.

Der für den Zugverkehr zuständige Fahrdienstleiter habe dem Zug, der am Morgen des Faschingsdienstags mit einer Verspätung von vermutlich drei bis vier Minuten von Bad Aibling in Richtung Kolbermoor unterwegs war, ein Sondersignal zur Weiterfahrt gegeben. Daraufhin war er auf der eingleisigen Zugstrecke frontal mit einem pünktlich verkehrenden Regionalzug zusammengestoßen. Das Sicherungssystem PZB 90, das derartige Unfälle auf eingleisigen Strecken verhindern soll, hatte der Fahrdienstleiter durch das Sondersignal "ZS 1" deaktiviert.

Sein Verhalten "sei nicht mit den geltenden Regeln in Einklang zu bringen", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese bei der Pressekonferenz. Hätte der Mann, der 1997 seine Ausbildung zum Fahrdienstleiter abgeschlossen hat, regelkonform gehandelt, wäre das Unglück nicht passiert. Die Ermittler schließen vorsätzliches Handeln des verheirateten 39-Jährigen aus, weshalb er derzeit nicht in Haft ist. Man gehe, so Giese, von einem "furchtbaren Einzelversagen" aus.

Dem Fahrdienstleiter droht eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren

Gegen den Fahrdienstleiter, der an jenem Morgen von fünf Uhr an im Dienst war und bei einem Alkoholtest keine Auffälligkeiten zeigte, läuft ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr. Ihm droht eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren.

Gleichwohl bleiben für die Ermittler der Bundes- und Landespolizei sowie für die Experten des Eisenbahn-Bundesamtes sowie der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes eine Woche nach dem Unfall Fragen offen. Durch "umfassende Puzzlearbeit" sei man weiter dabei, den Unfallhergang zu rekonstruieren, betonte Giese.

Der Fahrdienstleiter konnte erst am Montag umfassend von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft vernommen werden. Zuvor hatte er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Er wurde von seinen Anwälten mittlerweile an einen geheimen Ort gebracht, der der Polizei bekannt ist. "Ihm geht es nicht gut", sagte der Traunsteiner Oberstaatsanwalt Jürgen Branz, der den Fahrdienstleiter mit vernommen hatte. Die Frage der Schuld sei indes nicht abschließend geklärt. Das sei nach Ende der Ermittlungen eine Sache der Justiz, sagte Branz.

Die Frage nach dem Warum hatte der oberbayerischen Stadt an der Mangfall eine Woche lang keine Ruhe gelassen. Noch am Dienstagmorgen hatte sie eine einheimische Frau in großen Lettern in das Kondolenzbuch der Stadt geschrieben. Hinweise auf einen verhängnisvollen Fehler des Fahrdienstleiters im Stellwerk von Bad Aibling hatte es bereits am Abend des Unfalltages gegeben. Polizei und Staatsanwaltschaft verwahrten sich aber am Dienstagmorgen ein weiteres Mal gegen eine Vorverurteilung des Fahrdienstleiters.

Die Spekulationen über ein menschliches Versagen hatten am Montag noch einmal zugenommen, als Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ein technisches Versagen an den Signalanlagen und den Bremsanlagen der beiden Züge des Schweizer Herstellers Stadler erneut ausgeschlossen hatte. Die dritte Blackbox mit Daten war erst am Freitag aus den verkeilten Triebwaggons geborgen worden. Bei der Auswertung der insgesamt drei Fahrtenschreiber und der Zugfunkgespräche waren keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Zugführer festgestellt worden.

Bei der Auswertung des Funkverkehrs stießen die Ermittler jedoch auf zwei Notrufe, die der Fahrtdienstleiter abgesetzt hatte - offenbar hatte er seinen Fehler erkannt. Doch die Warnung kam zu spät: Der erste Notruf erreichte die Lokführer Sekunden vor dem Zusammenstoß, der zweite erfolgte, nachdem sich die Züge bereits ineinander verkeilt hatten. Zuvor hatte der Fahrdienstleiter mit dem Sondersignal das elektronische Sicherungssystem übersteuert, sodass der Zugführer, der Richtung Kolbermoor unterwegs war, über ein rotes Signal fuhr.

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Der Unfall soll detailliert nachgestellt werden

Was gegen 6.48 Uhr im Stellwerk genau geschah, müsse noch geprüft werden, betonte Oberstaatsanwalt Giese. Deshalb wurden dort bereits am Faschingsdienstag schriftliche Unterlagen beschlagnahmt, mit denen der Fahrdienstleiter seine Arbeit dokumentieren musste: Fernsprechbuch, Zugmeldebuch, Störungsbuch. Auch die Videoüberwachung in den Zügen müsse noch ausgewertet, letzte Zeugen befragt, ein externes Gutachten zum Unfallhergang abgewartet werden, so Giese.

Den Oberstaatsanwalt beschäftigt momentan vor allem eine Frage: "Wer hatte wann noch die Möglichkeit, diese Zugkatastrophe zu verhindern." Deshalb soll der Unfall in den kommenden Tagen mit zwei Zügen des Betreibers, der Bayerischen Oberlandbahn, detailliert nachgestellt werden.

Die Räumungsarbeiten der stark beschädigten Bahnstrecke dauern an. Am Mittwoch soll ein Kran den letzten Zugteil auf einen Güterwagen verladen. Im Anschluss können Techniker beginnen, die Oberleitung zu reparieren. Auf einer Länge von 120 Metern müssen Schienen und Schwellen erneuert werden, ehe spezielle Züge der Bahn die Strecke auf ihre Sicherheit testen. Bis Ende der Woche wird der Abschnitt zwischen Holzkirchen und Rosenheim voraussichtlich gesperrt sein.

© SZ vom 17.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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