Süddeutsche Zeitung

Garmisch-Partenkirchen:Aufgeweichter Bahndamm könnte ein Grund für Zugunglück gewesen sein

Von Dienstag an müssen die Züge an der Unfallstelle wegen eines "Untergrundmangels" langsamer fahren. Einem Gutachten zufolge könnte der Zug auch wegen eines durchwässerten Bahndamms entgleist sein.

Von Matthias Köpf und Klaus Ott

Seit acht Monaten schon untersuchen Eisenbahn-Fachleute, wie es zu dem verhängnisvollen Zugunglück Anfang Juni 2022 in Burgrain bei Garmisch-Partenkirchen mit fünf Toten und zahlreichen Verletzten kommen konnte. Jetzt gibt es neuere Erkenntnisse der Behörden darüber, was zu dem Unfall beigetragen haben könnte. Möglicherweise war der Bahndamm so durchnässt, dass Schienen und Schwellen unter der schweren Last des doppelstöckigen Regionalzugs nachgaben und die Wagen auch deshalb entgleisten. Der Staatsanwaltschaft München II, die wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, liegt seit Kurzem ein entsprechendes Gutachten vor.

Die Staatsanwaltschaft hat das Gutachten sogleich an die Deutsche Bahn (DB) weitergereicht, die umgehend mit einer Vorsichtsmaßnahme reagierte. Von diesem Dienstag an dürfen die Züge die längst reparierte Unfallstelle nur noch mit verminderter Geschwindigkeit passieren, mit 70 Stundenkilometern. Als Begründung wird in einem internen Verzeichnis der DB ein "Untergrundmangel" genannt. Bei dem internen Verzeichnis handelt es sich um eine Zusammenstellung der sogenannten Langsam-Fahrstellen.

Die Bahn erklärte auf Anfrage, "rein vorsorglich folgen wir der Empfehlung des Gutachters", langsamer zu fahren. "Die Reduzierung der Geschwindigkeit auf 70 Stundenkilometer verringert die vom Zug auf das Gleis wirkenden physikalischen Kräfte deutlich und ist in diesem Fall ausreichend." Außerdem prüfe man, ob weitere Maßnahmen erforderlich seien. Bislang hätten der Bahn keine Hinweise darauf vorgelegen, "dass der Bahndamm unfallursächlich gewesen sein könnte".

Die neue Langsam-Fahrstelle gilt auf einer Länge von 600 Metern; auf dem Streckenabschnitt zwischen Kilometer 97,4 und 98 auf der Strecke von München nach Garmisch-Partenkirchen. Das ist genau jener Abschnitt, auf dem am 3. Juni 2022 zur Mittagszeit ein Regionalzug entgleiste, der aus den Bergen in die Landeshauptstadt unterwegs war. Zwei der fünf Wagen stürzten die Böschung des Bahndamms hinunter. Es dauerte Monate, bis der eingleisige Streckenabschnitt repariert und wieder befahrbar war.

Der Staatsanwaltschaft München II, die wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt, liegen inzwischen drei von der Behörde in Auftrag gegebene Gutachten vor. Bei der jüngsten Expertise geht es um den Bahndamm. Dieses Gutachten besagt, dass der Bahndamm an der Unglücksstelle "durchwässert" sei und dass dies zu Problemen führen könne. Die Züge müssten deshalb dort langsamer fahren. Laut Expertise liegen "geotechnische Besonderheiten" vor, die sich bei Bohrungen im Bahndamm herausstellten. Auch wird der Katzenbach erwähnt, der direkt an der Strecke vorbeifließt.

Am Unfallort führt ein Wildbach vorbei

Die möglichen Ursachen für einen instabilen Bahndamm an der Unglücksstelle reichen weit zurück. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hatte zusammen mit anderen Organisationen bei einer Pressekonferenz knapp zwei Monate nach dem Zugunglück erste Einschätzungen vorgelegt. Vor zwei Jahrzehnten seien am Unfallort zwei Bundesstraßen über ein ausgedehntes Bauwerk miteinander verknüpft worden. Zu Lasten des Bahndamms sei dabei ein "in Hochwasserzeiten gefährlicher Wildbach", der Katzenbach, an den Bahndamm verlegt worden. Das habe möglicherweise Folgen für die Stabilität des Bahndamms gehabt. Auch habe sich einer der entgleisten Waggons mit Wucht in den künstlich angelegten Graben gebohrt, während ebenes Gelände einen solchen harten Aufprall womöglich verhindert hätte.

Die Bundesregierung hatte zu all dem Ende vergangenen Jahres auf eine Bundestagsanfrage der Linken mitgeteilt, die Verlegung des Katzenbachs sei mit der Deutschen Bahn und dem Wasserwirtschaftsamt Weilheim abgestimmt gewesen. Die Maßnahme sei dann nach den "technischen Vorgaben" des Wasserwirtschaftsamtes erfolgt. Die Regierung erklärte Ende 2022 weiter, nach Auskunft des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) lägen "im Rahmen der Eisenbahnaufsicht keine Erkenntnisse über gravierende Mängel oder erhöhten Instandhaltungsbedarf am betreffenden Streckenabschnitt vor".

Die Vermutung, dass ein aufgeweichter Bahndamm zu dem Unglück beigetragen haben könnte, war bereits während des laufenden Rettungseinsatzes in Burgrain aufgekommen. Jetzt erhält diese These neue Nahrung. Abschließende Erkenntnisse, was alles zu dem Zugunglück geführt hat, liegen aber noch nicht vor. Möglicherweise kamen mehrere Umstände zusammen. Ein weiteres der Staatsanwaltschaft bereits seit einiger Zeit vorliegendes Gutachten verweist auf Probleme bei den Schwellen.

Betonkrebs soll die Schwellen beschädigt haben

Die Bahn hatte bereits im August 2022 erklärt, die Schwellen in diesem Streckenabschnitt würden "teilweise Unregelmäßigkeiten in der Materialbeschaffenheit" aufweisen. Das hätten von der Bahn in Auftrag gegebene Gutachten ergeben. Kenner des Falles sprechen vom sogenannten Betonkrebs. Durch Risse im Beton könnte Wasser in die Schwellen eingesickert sein und zu Schäden geführt haben. Betonkrebs ist kein neues Phänomen, davon waren früher schon Bahnstrecken und Autobahnen in Deutschland betroffen und sind es auch heute noch.

Was nun genau zu dem Unfall geführt hat, soll eine weitere Expertise klären, ein sogenanntes "Gesamtgutachten". Fachleute sollen die vorliegenden Einzelgutachten auswerten und so zu einem Gesamtbild kommen. Auf dieses Ergebnis wartet die Staatsanwaltschaft München II noch. Wann das Gesamtgutachten vorliegt, ist derzeit noch nicht absehbar. Insofern ist offen, was am Ende bei dem Ermittlungsverfahren herauskommt. Die Bahn sagt, die Unfallursache sei "noch nicht abschließend geklärt".

Ab Tutzing - von dort an ist die Strecke fast durchweg eingleisig - über Garmisch-Partenkirchen bis zur Grenze bei Mittenwald gibt es aktuell neun Langsam-Fahrstellen; meist wegen "Oberbaumangel". Also wegen Mängeln am Gleisbett. Wegen "Untergrundmangel" ist aktuell neben dem Unglücksabschnitt noch ein zweiter Streckenteil zwischen Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald hinzugekommen. Hier dürfen die Züge sogar nur 20 Stundenkilometer fahren.

Der Fahrgastverband Pro Bahn erklärte dazu auf Anfrage der SZ, die neuen Langsamfahrstellen deuteten darauf hin, dass die Probleme bei den Strecken noch "weitaus schlimmer" seien als bislang angenommen. Für die Fahrgäste in der Region Werdenfels sei das eine "ganz schlechte Nachricht", sagt Norbert Moy, der Vorsitzende von Pro Bahn in Oberbayern. Wenn jetzt nicht nur der Oberbau, sondern auch der Untergrund betroffen sei, dann kämen "langwierige und aufwendige Baustellen auf uns zu". Die Deutsche Bahn müsse jetzt rasch aufklären, "wie es zu den katastrophalen Zuständen im Netz kommen konnte", und die Instandhaltung verbessern. Und der Bund müsse sich als Eigentümer der Bahn zu seiner Verantwortung für den Zustand der Strecken bekennen.

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