Zugunglück:Fahrdienstleiter von Bad Aibling drohen bis zu fünf Jahre Haft

  • Nach dem Zugunglück von Bad Aibling wird dem diensthabenden Fahrdienstleiter der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen ihn erhoben.
  • Technische Fehler schließen die Ermittler inzwischen aus.
  • Für Angehörige und Opfervertreter steht aber auch in Frage, ob die Deutsche Bahn eine Mitschuld trifft.

Von Anna Günther, Matthias Köpf und Lisa Schnell, Traunstein

Die Staatsanwaltschaft Traunstein hat fünf Monate nach dem schweren Zugunglück von Bad Aibling Anklage gegen den damals diensthabenden Fahrdienstleiter erhoben. Die Ermittler werfen dem Mann fahrlässige Tötung in zwölf Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 89 Fällen vor.

Am frühen Morgen des 9. Februar waren zwei Meridian-Nahverkehrszüge auf der eingleisigen Strecke zischen Bad Aibling und Kolbermoor frontal zusammengestoßen. Der Fahrdienstleiter sitzt seit April in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hatte schon diese Inhaftierung damit begründet, dass er im Dienst ein Computerspiel gespielt haben soll.

Das bestätigt Traunsteins Leitender Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese nun: Es bestehe der Verdacht, "dass der Fahrdienstleiter entgegen einem bestehenden Verbot im Dienst bis unmittelbar vor der Kollision der Züge durch die Nutzung eines Online-Computerspiels abgelenkt war". Technische Fehler schließen die Ermittler der Staatsanwaltschaft und der Rosenheimer Kriminalpolizei inzwischen aus. Mehrere Sachverständige haben demnach keine technischen Mängel an den Gleisanlagen, im Stellwerk und bei der Funktechnik gefunden.

Das automatische Sicherheitssystem hätte laut den Erkenntnissen der Ermittler einen der beiden Züge nicht auf die Strecke gelassen, doch der Fahrdienstleiter soll sich darüber hinweggesetzt haben, weil er irrtümlich von ganz anderen Standorten der beiden Züge ausging. Nachdem er den Fehler erkannt hatte, soll er noch versucht haben, die Lokführer über Funk vor der Kollision zu warnen. Doch dieser Funkspruch traf nie ein, weil der Fahrdienstleiter nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft dann auch das Funkgerät falsch bedient hat.

Während sich die Staatsanwaltschaft auf die Verantwortung des Fahrdienstleiters konzentriert, wollen Nebenklage-Vertreter wie Friedrich Schweikert im Auftrag ihrer Mandanten auch die systemischen Aspekte des Unglücks beleuchtet wissen. Schweikert fragt etwa, ob die Deutsche Bahn wirklich die richtigen Sicherungssysteme installiert und ihren Fahrdienstleiter sorgfältig genug ausgewählt und hinreichend geschult hat. Hintergrund sind neben der Aufklärung auch spätere Schadenersatzansprüche an die beteiligten Bahn-Unternehmen. Bisher bekamen die Hinterbliebenen für jeden Toten 21 000 Euro ausbezahlt, einen EU-weiten Standard-Satz.

"Das ganze Leben hat sich verändert, was sind da 30 000 Euro?"

Viele Überlebende und Angehörige leiden immer noch schwer unter dem Unglück. Michael Elfers zum Beispiel erreicht die Nachricht im Urlaub. Fünf Tage will er ausspannen mit seiner Familie, und vor allem mit seinem Sohn: Mehr als drei Stunden war der 17-Jährige damals eingeklemmt, musste danach mehrmals operiert werden. Seitdem ist seine Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, seine Ausbildung musste er abbrechen. "Wichtig ist, dass es weitergeht. Dass wir endlich einen Abschluss haben", sagt Elfers.

Mit dem Fahrdienstleiter hat er kein Mitleid. Er habe nicht nur einen, sondern "so viele grobe Fehler gemacht, die durch nichts zu verzeihen sind", sagt Elfers. Auch die Bahn trifft seiner Meinung nach eine Schuld. So eine Entscheidung dürfe nicht eine Person allein treffen, sagt Elfers. Der Schadenersatz aber, den er als Nebenkläger bekommen könnte, sei "lächerlich". "Das ganze Leben hat sich verändert, was sind da 30 000 Euro?", sagt Elfers.

Wann der Prozess am Landgericht Traunstein beginnt, steht noch nicht fest. Die Vorbereitungszeit wird von Verfahrenskennern auf drei bis vier Monate geschätzt. Der Prozess könnte also noch in diesem Jahr beginnen. Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre.

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