Zugunglück:Fahrdienstleiter ließ sich offenbar auch während der Notrufe vom Handy ablenken

Laut Staatsanwaltschaft verursachte der 39-Jährige so den Zusammenstoß der beiden Züge bei Bad Aibling. Der Beschuldigte sitzt nun in Untersuchungshaft.

Von Markus Balser, Berlin, Heiner Effern und Lisa Schnell

Zwei Monate nach dem schweren Zugunglück von Bad Aibling kommen neue Erkenntnisse der Ermittler ans Licht. Der zuständigen Staatsanwaltschaft in Traunstein zufolge soll der Fahrdienstleiter das Unglück grob fahrlässig verursacht haben, weil er sich von einem Handy-Spiel ablenken ließ. Der 39-Jährige wurde deshalb laut Behörden am Dienstag festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft.

Damit nehmen die Untersuchungen der Behörden eine neue Wendung. Der Beschuldigte soll den Ermittlern zufolge zum Unfallzeitpunkt auf seinem Mobiltelefon ein Computerspiel gespielt haben. "Es muss aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte dadurch von der Regelung des Kreuzungsverkehrs der Züge abgelenkt war", teilte der Leitende Oberstaatsanwalt am Dienstag mit.

Fahrdienstleiter bestreitet abgelenkt gewesen zu sein

Das Spiel soll fatale Folgen gehabt haben. Auch während er falsche Signale gab und sogar während er die Notrufe absetzte, soll der Fahrdienstleiter durch sein Handy abgelenkt gewesen sein. Dabei soll er nach Erkenntnissen der Ermittler die Tastenkombinationen verwechselt haben, so dass die Zugführer seine Warnung nicht hören konnten.

Bei seiner Festnahme habe der Mann dann zwar gestanden, am Handy gespielt zu haben. Er habe aber bestritten, dadurch abgelenkt worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft geht aber von einer Fehlerkette aus, die direkt durch das Computerspiel ausgelöst wurde. Den Ermittlern zufolge wird dem Mann nach den neuen Erkenntnissen nicht mehr nur Augenblicksversagen, sondern eine erheblich schwerer ins Gewicht fallende Pflichtverletzung vorgeworfen.

In Untersuchungshaft ist er unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Er hat eine erheblich längere Haftstrafe zu fürchten, was wiederum automatisch eine deutlich höhere Fluchtgefahr nach sich zieht. Unter diesen neuen Vorzeichen sprach die Staatsanwaltschaft beim Haftrichter vor. Dieser erließ daraufhin einen Haftbefehl.

Das Strafgesetz unterscheidet deutlich zwischen einem spontanen Fehler und einem langwierigen Verstoß gegen Vorschriften. Von der Deutschen Bahn heißt es, der Fahrdienstleiter hätte eindeutig gegen das Regelwerk der Bahn verstoßen, indem er Computer gespielt hätte. Die Nutzung von Ton, Film oder privaten Datenverarbeitungsanlagen, in diesem Fall einem Mobilfunkgerät, sei nicht gestattet.

Wie die Bahn auf die neuen Informationen reagiert

Uwe Reitz, Sprecher der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ließ durchblicken, dass es sich bei dem Verhalten des Fahrdienstleiters in Bad Aibling um einen Einzelfall handele. "Gewissenhaft und verantwortungsbewusst zu arbeiten ist der Anspruch aller Kollegen an sich selbst", sagte Reitz.

Bei dem Zusammenstoß zweier Nahverkehrszüge nahe Bad Aibling waren am 9. Februar auf der Strecke von Holzkirchen nach Rosenheim elf Fahrgäste ums Leben gekommen und 85 teils lebensgefährlich verletzt worden. Stefan Hofmeister aus Bad Aibling verlor bei dem Unglück seinen Arbeitskollegen. "Das ist für mich ein Schock", sagt er, als er von den neuesten Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft erfuhr. "Warum, wieso, weshalb", diese Gedanken würden ihm immer noch im Kopf herumkreisen.

Bis jetzt war Hofmeister davon ausgegangen, dass der Fahrdienstleiter sich in einer hektischen Situation befunden hatte. Sein Vater war selbst bei der Bahn angestellt und ging der gleichen Tätigkeit nach. Hofmeister kennt deshalb den Stress, den dieser Beruf mit sich bringt. Eine hektische Situation, in der jeder Fehler machen kann, das war für Hofmeister eine erträgliche Erklärung für das Zugunglück.

Staatsanwaltschaft hat keine Hinweise auf eine technische Störung

Wenn es aber stimme, dass der Fahrdienstleiter durch ein Computerspiel abgelenkt gewesen sei, dann sei das für ihn "wie ein Faustschlag". "Man hätte es verhindern können", sagte er. Diese Information mache es für die Angehörigen nicht leichter.

Die Ermittlungen zu den Ursachen des Unglücks dauern allerdings noch immer an. Bislang haben sich laut Staatsanwaltschaft aber keine Hinweise auf technische Störungen ergeben, die Ursache oder Mitursache des schweren Unglücks sein könnten. Zuvor hatte es auch Mutmaßungen gegeben, Probleme beim Zugfunk hätten das Unglück mit ausgelöst. Dem hatte die Deutsche Bahn allerdings widersprochen.

Im März hatten die Ermittler die Bahn noch vor einer "Fehlerquelle bei der Abwicklung des Funkverkehrs bei Notrufen der Fahrdienstleiter" gewarnt. Sprecher der Eisenbahngewerkschaft EVG hatten deshalb zuletzt Konsequenzen gefordert. Auch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer mahnte an, "gefährliche Lücken im Zugmobilfunk" müssten geschlossen werden.

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