Zugunglück:"Die Bilder kommen jetzt wieder"

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Wolfram Höfler, Feuerwehr-Kommandant in Bad Aibling, erlebt schon das zweite schwere Zugunglück. Trotz der Belastung muss er bis zum Ende der Bergungsarbeiten durchhalten. Die können sich noch einige Tage hinziehen.

Von Ingrid Fuchs und Anna Günther, Bad Aibling/München

Wie viel er in den letzten Nächten geschlafen hat, kann Wolfram Höfler nicht sagen. Es war wenig. Der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr in Bad Aibling ist seit Dienstagfrüh im Einsatz und koordiniert seine Mannschaft - dabei sind auch seine Söhne. Er war unter den ersten Helfern, die nach dem frontalen Zusammenstoß der beiden Regionalzüge an die Unfallstelle kamen. Das Telefon klingelt seitdem durchgehend, 1112 Anrufe zählte Höfler in 48 Stunden. Die Führungsebene muss durchhalten, sagt er und zuckt mit den Schultern. Die Mannschaft sei aber gewechselt worden. Zu groß war die Belastung, psychisch und physisch.

Auch am Donnerstagmorgen war Höfler wieder unter den ersten am Mangfallkanal, um sieben Uhr gingen die Bergungsarbeiten weiter. Nur in der Nacht hatten die Spezialisten der Bahn und des Technischen Hilfswerks die Arbeiten unterbrochen, weiterzumachen war zu gefährlich. Die Unglücksstelle liegt im Wald an einer Hangkante, die steil zum Kanal abbricht und schwer zu erreichen ist. Die Bad Aiblinger Feuerwehr ist bei der Bergung der Meridianzüge dabei, falls etwas passiert. Zwei Spezialkräne aus Fulda und Leipzig sind nach Oberbayern gebracht worden, sie haben eine Tragkraft von 160 und 60 Tonnen. Die schweren Trümmer einfach anzuheben und abzutransportieren ist nicht möglich, die verkeilten Triebwagen stehen unter enormer Spannung, herumfliegende Teile könnten die 140 Einsatzkräfte verletzten.

Persönliche Gegenstände, die beim Zusammenstoß der Züge verloren gingen, können Angehörige und Passagiere bei der Feuerwehr in Kolbermoor abholen. (Foto: Matthias Balk/dpa)

"Aber die Teams arbeiten sehr umsichtig, es besteht keine Gefahr für die Helfer", sagt Höfler. Und die Spezialisten kommen schneller voran als erwartet: Donnerstagvormittag konnten sie fünf Waggons wegschleppen. Die Bergung des sechsten Waggons, der hinter den ineinander verkeilten Triebwagen hängt, ist ungleich komplizierter. Die Räder sind beim Aufprall abgebrochen, der Kran muss den Waggon erst anheben und etwas unterschieben, um ihn nach Rosenheim schleppen zu können. Erst dann können sich die Spezialisten mit den verkeilten Triebwagen befassen.

Dort soll sich auch die dritte Blackbox befinden, die Antworten liefern könnte. Die vorläufige Sichtung der ersten beiden Fahrtenschreiber ergibt laut Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt keine Hinweise auf technisches oder menschliches Versagen. Einen technischen Fehler an den Zügen schließen die Ermittler inzwischen offenbar auch aus. Neben menschlichem Versagen ziehen sie auch einen Technikfehler an der Bahnstrecke in Betracht.

Nach SZ-Informationen verdichten sich die Hinweise, dass menschliches Versagen die Ursache für das Unglück ist: Der Fahrdienstleiter im Stellwerk soll den beiden aufeinander zufahrenden Zügen die gleichzeitige Einfahrt in den Streckenabschnitt erlaubt haben. Polizei und Politik verweisen auf die laufenden Ermittlungen der Traunsteiner Kriminalpolizei.

Persönliche Gegenstände, die beim Zusammenstoß der Züge verloren gingen, können Angehörige und Passagiere bei der Feuerwehr in Kolbermoor abholen. (Foto: dpa)

Die Polizei rechnet damit, dass die Bergung der zerstörten Meridianzüge noch mindestens zwei Tage andauert. "Sollte sie in dieser Zeit nicht abgeschlossen sein, wird auch am Wochenende weitergearbeitet", sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn. Die geborgenen Triebwagen sollen anschließend nach Kolbermoor und Bad Aibling transportiert werden. Wann die Ermittler Antworten auf das Warum liefern können, bleibt offen.

Die Angehörigen der Verstorbenen haben traurige Gewissheit. Zehn Männer zwischen 24 und 59 Jahren kamen am Dienstag ums Leben. Neun waren aus der Region, einer aus Brandenburg. Ein Mann aus dem Landkreis München erlag am Donnerstagabend in der Klinik seinen Verletzungen. Einige der 20 Schwerverletzten sind noch nicht über den Berg. Insgesamt saßen 150 Menschen in den beiden Zügen, 62 wurden nur leicht verletzt. Unter den Fahrgästen waren neben den Lokführern und einem Lehr-Lokführer noch ein Angestellter der Bayerischen Oberlandbahn.

Die Betreiber des Meridians und der französische Mutterkonzern Transdev riefen am Donnerstag alle Mitarbeiter zu einer Schweigeminute auf. Zum Mittagsläuten gedachten Angestellte, Zugpersonal und Passagiere den Opfern des Unglücks zwischen Bad Aibling und Kolbermoor. Die Menschen aus der Region können am Sonntagnachmittag gemeinsam trauern. Kardinal Reinhard Marx und die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler werden in der katholischen Kirche St. Georg in Bad Aibling einen Gedenkgottesdienst halten. Am Mittwoch hatte Ministerpräsident Horst Seehofer angekündigt, dass auch Mitglieder der Staatsregierung an einer Trauermesse teilnehmen werden. Ob er selbst dabei sein kann, ist offen. In München findet die Sicherheitskonferenz statt.

Zum Gedenken an das Unglück sollen auch die Flaggen vor allen öffentlichen Gebäuden am Sonntag auf Halbmast wehen.

So lange warten die 50 Feuerwehrler nicht, sie trafen sich am Donnerstagabend, um über die Katastrophe zu sprechen. So will Kommandant Höfler sofort erkennen, ob jemand unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom leidet und individuelle Hilfe braucht. "Bisher sieht's gut aus, wir haben unseren Verdrängungsreflex und das ist gut so", sagt der 62-Jährige. Vor 40 Jahren war er als junger Feuerwehrmann beim schweren Zusammenstoß zweier Züge bei Warngau dabei. "Die Bilder kommen jetzt wieder und die Schreie", sagt er. Psychosoziale Nacharbeitung gab es damals nicht. Der Kommandant klopfte Höfler auf die Schulter. Das war's.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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