80 Jahre Straubinger Zoo:Geht ein Schimpanse ins Café

Der Tiergarten Straubing wird 80 Jahre alt: Zoodirektor Hans Schäfer und der Schimpanse Jimmy

In den 1950ern ging Zoodirektor Hans Schäfer mit Schimpanse Jimmy zum Kaffeetrinken.

(Foto: Stadtarchiv Straubing)

Anekdoten wie diese zeichnen den Zoo im niederbayerischen Straubing aus. Nun feiert er 80. Geburtstag. Dass die kleine Stadt einen eigenen Tierpark hat, hat auch viel mit dem Engagement der Bürger zu tun.

Von Andreas Glas

Das Ungeheuer schwimmt direkt auf Wolfgang Peter zu. Es öffnet sein furchtbares Maul, dann dreht es ab, kurz vor der Scheibe. Peter, 61, schaut dem Waller nach. Er ist ganz nah ans Aquarium gerückt. "Das ist doch der Hammer, dieses Urviech", sagt er. Der Waller ist der größte Süßwasserfisch Europas. Bis zu drei Meter lang, bis zu 150 Kilo schwer. Er haust auch in Badeseen, das ist nicht jedem bewusst, vielleicht besser so. "Jeder weiß, wie ein Löwe ausschaut", sagt Peter, "aber die wenigsten wissen, was der Waller für eine imposante Erscheinung ist."

Auch Wolfgang Peter kennt das Gefühl, trotz stattlicher Größe übersehen zu werden. Er ist Direktor des Straubinger Tiergartens; das Gelände ist so groß wie 25 Fußballfelder. Den Münchner Tierpark kennt jeder, den in Nürnberg die Mehrheit. Aber Straubing? Was im Umkreis von 100 Kilometern alle wissen, ist in Rest-Bayern nicht überall bekannt: Die 48 000 Einwohner kleine Stadt hat, Überraschung: einen Tierpark. Seit 80 Jahren. Einen echten Tierpark, mit Schimpansen, Löwen, Tigern, Zebras. Auch wenn "man uns manchmal gar nicht so wahrnimmt", sagt Peter.

Als die Lokalzeitung 1937 erstmals über die Zoo-Pläne berichtete, hielten das auch die Straubinger für einen Witz. "Straubing und ein Tierpark! Eine hellichte Narretei!", befand Stadthistoriker Hanns Rohrmayr. Beim Faschingsumzug 1937 gab es Menschen, die sich in Affenkostümen über die Pläne lustig machten. Selbst 1968 noch schrieb der oberbayerische Schriftsteller Josef Martin Bauer über den Tiergarten, dass "man meinen möchte, er sprenge die Möglichkeiten einer Stadt in der Provinz". Doch während einige Oberbayern, Schwaben oder Franken heute noch staunen, wenn sie hören, dass es in Straubing einen Tierpark gibt, gehört er für Niederbayern und Oberpfälzer längst zu den beliebtesten Ausflugszielen.

Mehr als 300 000 Besucher kommen jedes Jahr. 200 Arten leben hier, 1700 Tiere insgesamt. "Wir sind kein kleiner Zoo", sagt Tiergartenchef Peter. Mit den runden Brillengläsern sieht er aus wie Udo Walz, der Berliner Promifriseur. Nur das weiße Haupthaar, Bart und Augenbrauen sind buschiger, auch aus seinem Hemd quellen die Brusthaare. Ein Biologe eben, ein Naturmensch. Einer, der gut damit lebt, wenn ein Münchner irrtümlich meint, dass sein Tiergarten nur ein Streichelzoo sei. Er weiß ja, dass sie in Regensburg oder Ingolstadt neidisch sind. Dort gibt es keine Löwen und Tiger, obwohl diese Städte um einiges größer sind als Straubing. "Wir haben ein Alleinstellungsmerkmal, das andere nicht haben", sagt Peter.

Der Tiergarten in Straubing in Niederbayern feiert 80. Geburtstag

In den 1950ern löst ein Kamel Begeisterung und Interesse bei einer Schulklasse aus.

(Foto: Stadtarchiv Straubing)

Aber wie kam es dazu, dass eine relativ kleine Stadt eine relativ große Attraktion bekam? Alles begann mit einem Mann, der "für Tiere ein Herz hatte, aber für Menschen nicht", sagt Peter. Der Mann hieß Josef Reiter, er war in der Nazizeit Oberbürgermeister in Straubing und baute das "Mooshäusl" im Stadtpark zum Tierpark um. Dort gab es Schwäne, Enten, Ponys. Das "Mooshäusl" war bereits ein Ausflugsort für die Straubinger, als OB Reiter dort um 1938 drei kleine Affen ansiedelte.

Zu Weihnachten 1940 kamen drei Löwen dazu, ein Geschenk des Hamburger Tierparks Hagenbeck. Dass der Straubinger Zoo gegründet wurde, hat also mit einem fanatischen Tierliebhaber und ebenso fanatischen Nazi zu tun. Dass der Tiergarten die Nazizeit überdauerte, ist dem Sachsen Johannes Lange zu verdanken. Sein Künstlername: Rocasimi.

Der Tiergarten in Straubing in Niederbayern feiert 80. Geburtstag

Über die Jahre wurde der Tiergarten immer weiter ausgebaut. In der Afrika-Anlage leben Zebras, Watussirinder und Strauße nebeneinander.

(Foto: Tiergarten/OH)

Eigentlich war es nur eine Etappe auf seiner Tournee, als es ihn im Juli 1941 nach Straubing verschlug. Mit dem Zirkus Europa und seinen Löwen Romeo, Caesar, Simba und Michel trat der Dompteur mal hier, mal dort auf. In Straubing aber kam es nicht dazu, weil "ein Löwe eingegangen und ein zweiter erblindet ist", schrieb damals das Straubinger Tagblatt. Zwar organisierte Lange Ersatz, doch wusste er, dass es dauern würde, bis er die Dressur-Show mit neuen Löwen eingeübt haben würde.

Also holte er sich bei OB Reiter die Erlaubnis, für das Löwentraining vorübergehend in Straubing zu bleiben - und verpflichtete sich im Gegenzug, den Tierpark auszubauen. Bereits im September 1941 trafen "große und kleine Kisten und Körbe mit schnatterndem, brüllendem und heulendem Inhalt" am Straubinger Bahnhof ein, steht in alten Texten. "Wie ein Lauffeuer ging es durch unsere Stadt: junge Löwen, Wölfe, Damhirsche, Zebus, Ziergänse und -enten, Kormorane und farbenprächtige Gold- und Diamantfasane werden unseren Straubinger Tiergarten bereichern."

Stadträte fanden den Zoo zu teuer - dann sprangen die Bürger ein

Noch vor Kriegsende wurde OB Reiter in den Ruhestand geschickt. Die Stadträte stellten den Tierpark in Frage, rangen sich am Ende aber durch, ihn zu erhalten. Sie stellten Johannes Lange vom Kriegsdienst frei und machten ihn offiziell zum Verwalter des Parks. In der Kriegs- und Nachkriegszeit sei der Park den Straubingern endgültig ans Herz gewachsen, sagt Stadtarchivarin Dorit-Maria Krenn. In einer schwierigen Zeit fanden die Menschen Ablenkung bei den Tieren.

Gegen Kriegsende wurden aus dem Nürnberger Zoo neben Tigern, Schimpansen und Zebras sogar Elefanten nach Straubing gebracht, um sie vor den Bomben zu schützen. Am 5. Februar 1945 erlebte aber auch Straubing einen schweren Luftangriff. Mehrere Tiere wurden getötet, darunter ein Kamel und ein Lama. Einige Tage später starb auch ein Elefant an den Folgen des Schocks.

Der Tiergarten Straubing wird 80 Jahre alt: Zoodirektor Hans Schäfer und der Schimpanse Jimmy

Nicht nur gingen Zoodirektor Schäfer und Schimpanse Jimmy manchmal ins Café, sie rauchten dort sogar manchmal auch eine Zigarette. Es waren halt andere Zeiten.

(Foto: Stadtarchiv Straubing)

Als auch Lange 1955 starb, geriet der Tierpark erneut in Existenznot. Zu teuer, fanden einige Stadträte. Doch die Bürger verhinderten, dass die Tiere nach Regensburg kamen, das damals einen Zoo plante. Sie beteiligten sich über einen Förderverein an Erhalt und Pflege des städtischen Tiergartens. Den Verein, 1948 gegründet, gibt es heute noch. Davon profitiert hat zunächst Hans Schäfer, der nach Langes Tod die Zooleitung übernahm. Schäfer ist den Straubingern in Erinnerung geblieben, da er den Schimpansen Jimmy gern ins Café Krönner mitnahm. Dort tranken die beiden Kaffee, rauchten Zigaretten.

Inzwischen heißt der Tierparkchef also Wolfgang Peter. Seit 1996 ließ der Biologe unter anderem eine Känguru- und Emu-Anlage bauen, einen Flamingoplatz, Gehege für Yaks und Luchse. Peter steht jetzt bei der Afrika-Anlage. Hier leben Zebras, Watussirinder und Strauße nebeneinander. Im Nachbargehege gibt ein Tierpfleger dem Kamelbaby Erik ein Fläschchen. Mutter Daisy ist zu alt, um noch Milch zu geben. Erik nuckelt, während der Pfleger ihm den Kopf streichelt. Keine zwei Minuten und die 1,5-Liter-Flasche ist leer.

Man komme "selten so nah an die Tiere ran" wie in Straubing, sagt Peter. Das Löwengehege etwa sei ähnlich groß wie im Münchner Tierpark Hellabrunn. Während dort aber ein Wassergraben zwischen Besuchern und Löwen liegt, nähern sich die Straubinger Löwen den Menschen bis auf zwei Meter. Für Peter ist ein Tierpark kein Gefängnis, sondern Schutzraum.

Es gebe hier "viele Arten, die in der Wildbahn vom Aussterben bedroht" seien. Überhaupt sei der Straubinger Zoo kein bloßer Freizeitpark. Hier arbeiten nicht nur Pfleger, auch Züchter und Forscher. Es gibt Infotafeln, Führungen und eine Zooschule, die über Artenschutz und Erderwärmung aufklärt. Weil es immer noch Menschen gibt, denen die Folgen des Klimawandels nicht bewusst sind, sagt Wolfgang Peter: "Wenn es Zoos nicht gäbe, wäre es jetzt höchste Zeit, sie zu erfinden."

Zur SZ-Startseite
Besucher im Tierpark Hellabrun

SZ PlusTierhaltung
:Der Zoo der Zukunft

Warum Kunstfelsen ihren Sinn verfehlen und wieso man zu den Affen über einen Tunnel gehen sollte: Eine Masterarbeit hat den Tierpark Hellabrunn auf seine Tauglichkeit für Mensch und Tier untersucht.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: