Insolvenz:Das größte Sägewerk Europas ist pleite

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Die Firmenzentrale der Ziegler Group und das angeschlossene Sägewerk in Plößberg in der Oberpfalz. (Foto: Uwe Ritzer)

Die Ziegler Group ist rasant gewachsen, nun haben die Banken den Stecker gezogen. Mit dem Flaggschiff der bayerischen Holzindustrie leidet auch der Wirtschaftsstandort Oberpfalz.

Von Uwe Ritzer, Plößberg

Natürlich ist die Zentrale der Ziegler Group im Kern aus Holz gebaut. Wie Palisaden schirmen dicke, 18 Meter hohe Baumstämme die Glasfassade in alle Himmelsrichtungen ab. „Ein Haus wie ein Wald“, schrieb die bayerische Architektenkammer beeindruckt. Wälder, sehr große zumal, sind für Ortsfremde undurchsichtig, schwer zu durchdringen. Man muss die richtigen Pfade finden, um sich nicht zu verirren. Auch Volker Böhm sucht danach, denn die Firmengruppe ist unübersichtlich. Zieglers Kerngeschäft ist Holz, man lebte stets vom Wald. Aber das Familienunternehmen mit seinen etwa 40 Gesellschaften hat sich heillos verzettelt in allerhand Aktivitäten. Als dann auch noch die Branche zu schwächeln begann, zogen die Banken den Stecker.

Nun geht es um nicht weniger als die Zukunft des mutmaßlich größten Sägewerkes in Europa, angesiedelt unmittelbar hinter der Firmenzentrale an der Betzenmühle in Plößberg im Landkreis Tirschenreuth. Es geht um bis zu 3000 Arbeitsplätze, die meisten im Nordosten Bayerns. Es geht um ein Flaggschiff der bayerischen und deutschen Holzindustrie und am Wirtschaftsstandort Oberpfalz. Und es geht um ein unternehmerisches Lebenswerk, das gerade in sich zusammenbricht. Am 20. November meldete die Ziegler Holding Insolvenz an. Das setzte einen Dominoeffekt in Gang. Eine Tochterfirma nach der anderen geht in die Knie. Aufgabe von Volker Böhm ist es, als vorläufiger Insolvenzverwalter Wege zu finden, um zu retten, was zu retten ist.

Der diesbezüglich erfahrene Jurist aus Nürnberg bringt dafür reichlich Expertise mit, unter anderem als Verwalter bei bekannten Insolvenzen wie Rosenthal oder Solar Millennium. „Meine Hauptaufgabe ist es aktuell, das sehr verflochtene Firmenkonglomerat zu entflechten und genau herauszufinden, welche Firma wirtschaftlich wie gut oder schlecht dasteht“, sagt Böhm im SZ-Gespräch. „Dann erst wird feststehen, wie wir die Gruppe auflösen und sinnvoll neu aufstellen können.“ Böhm ist vorsichtig optimistisch: „Viele Ziegler-Firmen sind attraktiv, am meisten natürlich die größten Assets, nämlich das zentrale Sägewerk in Plößberg, die beiden Auslandsunternehmen in Rumänien und Schweden, sowie die Dämmstofffirma Naturheld GmbH.“ Hier ist er „besonders zuversichtlich, dass sich Investoren oder Käufer finden werden und es eine Fortführung gibt“.

So oder so endet in diesen Tagen eine unternehmerische Erfolgsgeschichte, denn dass ein Investor die Ziegler Group komplett übernehmen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Dafür ist das Gebilde aus Holzfirmen, Logistik, Gastronomie, Immobilien und sogar einem Kindergarten zu heterogen und uneinheitlich. 1948 von Ludwig Ziegler in die waldreiche Region hinein als Sägewerk gegründet, machten dessen Sohn Wilhelm und vor allem dessen Nachfolger Stefan Ziegler die Firma groß. Als „bodenständige Visionäre“ wurden sie gefeiert, als sie 2019 den Gründerpreis der bayerischen Sparkassen erhielten. „Das trifft es genau“, sagt Roland Grillmeier, Landrat im Kreis Tirschenreuth. „Sie haben viel in ihrer Heimat und in Arbeitsplätze hier investiert. Stefan Ziegler fühlt sich dieser Region verbunden und hat das auch immer gezeigt.“ Als er den Betrieb übernommen habe, habe dieser 200 Beschäftigte gezählt, rechnet Grillmeier vor. Jetzt seien es mehr als zehnmal so viele. „Es ist ihm gelungen, binnen weniger Jahre aus dem regionalen Betrieb ein internationales Unternehmen zu machen“, sagt der CSU-Landrat.

Geschäfte bis nach Australien

Tatsächlich macht die Ziegler Group weltweit Holzgeschäfte, selbst in Australien. Man kaufte Werke in Rumänien und Schweden, schuf am Güterbahnhof in Wiesau im Kreis Tirschenreuth ein eigenes Logistikzentrum, von dem aus jährlich bis zu 50 000 Container umgeschlagen wurden. Ziegler begann damit, Holz nicht nur zu zersägen und zu portionieren, sondern auch zu Dielen, Profilbrettern oder Holzhäusern zu verarbeiten. Das Stammwerk in Plößberg wurde ausgebaut und das Holzgeschäft erweitert. Um eine Pellets-Fabrik etwa, oder die von Böhm erwähnte Dämmstofffirma Naturheld.

Die Firmengruppe wuchs derart rasant, dass sich Stefan Ziegler veranlasst sah, sich einen Hubschrauber zuzulegen, um stets schnell abheben zu können. Neben dem Kerngeschäft investierte das dem Vernehmen nach stark auf Inhaber Stefan Ziegler zugeschnittene Unternehmen in anderen Bereichen. In einen Kindergarten in Wiesau zum Beispiel, in Wohnungen, gastronomische Betriebe und Hotels, von denen die einen nie öffneten und andere nach kurzer Zeit wieder schlossen. Finanziell waren die Investments oft auf Kante genäht. Vieles wurde fremdfinanziert, das Start-up Naturheld dem Vernehmen nach über gewagte Leasingkonstruktionen. Kaum eine deutsche Großbank, die Ziegler kein Geld lieh. Insgesamt sollen sich die aufgelaufenen Bankschulden auf mehr als 600 Millionen Euro belaufen; Volker Böhm spricht von einem „höheren dreistelligen Millionenbetrag“.

Natürlich ist die Firmenzentrale im Kern aus Holz gebaut. (Foto: Uwe Ritzer)

Die vielen Investments gingen so lange gut, wie das riesige Sägewerk an der Betzenmühle Gewinne in die Firmengruppe spülte. Im Hitzejahr 2022 boomten die Geschäfte, als der Borkenkäfer in den Wäldern wütete und für günstiges Holz sorgte. Danach ging es steil bergab. Das Sägewerk fährt hohe Verluste ein. Damit versiegte die wichtigste Einnahmequelle für die verschachtelte Firmengruppe. Ziegler geriet immer mehr in die Schieflage und die Banken wurden immer nervöser. Seit mehr als einem Jahr bastelt Stefan Ziegler mit externen Beratern an Überlebensstrategien. Der geplante Bau eines Holzhaus-Werkes bei Tirschenreuth wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Unrentable Gastronomiebetriebe wurden geschlossen oder zumindest ihr Angebot drastisch reduziert. Man nutzte auch die Möglichkeit der Kurzarbeit.

Die Insolvenz habe sich „schon abgezeichnet“, sagt Landrat Grillmeier vorsichtig. Dass die Banken aber gerade jetzt die Reißleine gezogen hätten, habe ihn „schon auch überrascht“. Insider sagen, Ziegler habe sich überhoben und verzettelt, das Wachstum sei zu rasant und zu riskant gewesen. Das ist die eine Seite. Vielleicht wäre auch alles gut gegangen, wäre die bayerische Holzwirtschaft nicht insgesamt in die Krise geschlittert. Man kämpfe „mit den gleichen strukturellen Problemen wie die gesamte deutsche Wirtschaft“, sagt Melinda Hannemann vom bayerischen Branchenverband und zählt auf: „Konjunkturschwäche, Kaufzurückhaltung, die Inflationsentwicklung der vergangenen zwei bis drei Jahre, Energiekosten, Bürokratiekosten.“ Und vor allem die lahme Baukonjunktur. „Aktuell haben viele Unternehmen mit Auftragsrückgängen, Umsatzeinbrüchen und Kostenexplosionen“ zu kämpfen. Betroffen seien alle, „die direkt vom Bau abhängen, wie etwa Sägewerke, die Material liefern“, so Hannemann. „Aber auch Zulieferer wie Fenster- und Türenhersteller, Parketthersteller und Betriebe, die Konsumgüter herstellen wie beispielsweise Möbel.“

Die Spuren, welche die Pleite des Flaggschiffs Ziegler in der bayerischen Holzwirtschaft hinterlassen wird, sind noch nicht absehbar. Genauso wenig, wie für das nordöstliche Bayern. „Natürlich machen wir uns auch Sorgen um den Standort“, sagt Tirschenreuths Landrat Grillmeier. Bis 1989 abgelegenes Randgebiet am Eisernen Vorhang zu Tschechien, kämpfte man unmittelbar nach der Wende mit Abwanderung und wirtschaftlichen Problemen. Doch dann gelang die Trendwende. „Vor 15 Jahren hatten wir weniger als 20 000 Arbeitsplätze im Landkreis, heute sind es mehr als 30 000“, sagt Grillmeier. Die Erwerbslosenquote liegt bei überschaubaren 3,5 Prozent. Die Holzbranche trug in der waldreichen Region zum Aufschwung bei.

Diese Woche will der vorläufige Insolvenzverwalter Volker Böhm potenzielle Investoren ansprechen. Sein Ziel ist es, so viel wie möglich von Ziegler und von den Jobs dort zu erhalten. Drei Monate sind die Löhne und Gehälter über Insolvenzausfallgeld erst einmal gesichert. Aktuell denkt Böhm darüber nach, „im Sägewerk in einen vorgezogenen Weihnachtsurlaub zu gehen, da aktuell zu wenig Vorratsvermögen in Form von verarbeitungsfähigem Holz da ist. Die Produktion schnell wieder hochzufahren, ist angesichts der langen Lieferzeiten schwierig.“

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