Pascals Mutter erinnert sich noch gut an die Passanten, die sich über den Kinderwagen beugten und strahlend mitteilten, der Kleine sehe mit seinen Sommersprossen ja "so niedlich" aus. Andere, die Pascals schuppige Haut im Gesicht und an den Gelenken bemerkten, fragten besorgt, ob der Kleine vielleicht Neurodermitis habe. Der Hausarzt der Familie winkte ab, es bestehe überhaupt kein Grund zur Sorge. Wirklich beruhigt war Pascals Mutter durch solche Worte nicht - zum Glück. Eine Hautärztin, die sie sodann konsultierte, kam zu einem ganz anderen Schluss. Der Kleine leide womöglich unter XP. Die beiden Buchstaben stehen für die durch einen genetischen Defekt bedingte Hautkrankheit "Xeroderma pigmentosum".
Im Volksmund werden die von ihr betroffenen Patienten auch "Mondscheinkinder" genannt. Der Gendefekt verhindert, dass ihre Haut jene Schädigungen selbst reparieren kann, die durch die im Sonnenlicht vorhandene UV-Strahlung entstehen. Die Konsequenz ist furchtbar: Die Kinder sollten möglichst Sonnenlicht vermeiden, müssen sich auf jeden Fall umfassend davor schützen. An Körperstellen, die dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, bilden sich zunächst Entzündungen und später warzenähnliche Gebilde, die sich zu bösartigen Hautkrebsformen entwickeln können.
Von 30.000 bekannten Erkrankungen gelten 8000 als selten
"Die Krankheit birgt ein bis zu 1000-fach erhöhtes Hautkrebsrisiko", sagt Mark Berneburg, der Leiter der Hautklinik an der Universität Regensburg. Berneburg gehört zu jenen Ärzten, die den sogenannten Seltenen Erkrankungen den Kampf angesagt haben. Zu diesen wird auch Pascals Krankheit gerechnet. Schätzungsweise sind in Deutschland gerade mal 70 bis 90 Menschen an XP erkrankt. Die meisten von ihnen sind - wie Pascal - noch Kinder. Vor wenigen Tagen erst ist im Universitätsklinikum Regensburg ein Zentrum für Seltene Erkrankungen eröffnet worden. Erkrankungen gelten in Europa dann als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen unter einem spezifischen Krankheitsbild leiden. Derzeit werden von den gut 30 000 bekannten Erkrankungen 7000 bis 8000 als selten eingestuft.
Pascal hatte in gewisser Hinsicht Glück, dass die Ursache seiner Hautveränderungen so früh festgestellt wurde. Steht endlich fest, was das Kind hat - und das kann fünf Jahre und länger dauern -, so beginnt für die Eltern die verzweifelte Suche nach geeigneten Spezialisten. Hier setzt nun die Uniklinik Regensburg mit ihrem neuen Zentrum an. Berneburg, der maßgeblich daran beteiligt war, hat sich mit seinen Kollegen vorgenommen, ein Netzwerk aus Spezialisten zu knüpfen, die auf diesem Gebiet tätig sind - sei es forschend, sei es im Bereich der Therapie. Das Kultusministerium finanziert dafür die Stelle eines ärztlichen Koordinators, der Experten ausfindig machen und deren enge Zusammenarbeit auf den Weg bringen soll.
Vier Millionen in Deutschland haben eine seltenen Erkrankung
Laut Berneburg ist es höchste Zeit: " In Deutschland leben gut vier Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung. Seltene Erkrankungen sind also gar nicht so selten", sagt er. Immer noch gibt es aber für die Betroffenen kaum Medikamente. Angesichts der niedrigen Zahl der jeweils Betroffenen scheut die Pharmaindustrie hohe Entwicklungskosten. Dabei, so wirft Berneburg ein, würde die Forschung in diesem Bereich auch für gängige Volkskrankheiten wertvolle Erkenntnisse bringen.
"Waisen der Medizin", werden die an Seltenen Erkrankungen leidenden Menschen genannt, dabei sind sie selbst oft vom Tod bedroht. "Patienten mit XP zum Beispiel haben eine drastisch reduzierte Lebenserwartung", sagt Berneburg. Aber es gibt Hoffnung. Zur Eröffnungsfeier des neuen Zentrums hatte Berneburg auch die Eltern des mittlerweile 18-jährigen Markus eingeladen. Markus war gerade erst ein Jahr alt, als sich eine Warze auf dem Nasenrücken als Stachelzellkrebs herausstellte. "Ich lief nur noch ferngesteuert durch die Gegend", sagt seine Mutter, Monika Prenting.
Selbsthilfegruppe in München gegründet
Markus habe nur dann eine Überlebenschance, wenn er von der Sonne ferngehalten werde, hörte sie von den Ärzten. "Die hätten uns in die Nacht geschickt", sagen Monika Prenting und ihr Mann Dirk. Anfangs fand ihr Familienleben tatsächlich nach Sonnenuntergang statt, dann hatten sie genug "von diesem Wahnsinn". Zug um Zug entdeckten sie Hilfsmittel: UV-sichere Kleidung, Schutzfolien gegen die gefährliche Strahlung, hochwirksame Cremes. Marcus Vater, ein Techniker, entwickelte für seinen Sohn sogar einen Schutzhelm - vergleichbar jenem der Straßenarbeiter.
Die Prentings haben vor gut neun Jahren in München eine Selbsthilfegruppe gegründet. Über sie lernten sie auch Pascals Mutter kennen. Pascal hat seinen ersten weißen Hautkrebs hinter sich, aber er hat sich zu einem aufgeweckten kleinen Jungen entwickelt. Seine Mutter spricht von der stetigen Angst, ob sie Pascal auch wirklich umfassend vor den Strahlen schützen kann. Monika und Dirk Prenting kennen diese Angst. "Wir sind so froh um dieses neue Zentrum in Regensburg", sagen sie.