Es ist noch nicht allzu lange her, da war das Internet der Wilde Westen, in dem Regeln der analogen Welt nicht zu gelten schienen. Man ärgerte sich vielleicht darüber, Geld für ein vermeintliches Online-Schnäppchen bezahlt zu haben, das dann nie ankam - aber niemand rechnete ernsthaft damit, dass der Betrüger gefasst würde. Das ändert sich allmählich. Im vergangenen Jahr landete beispielsweise ein Münchner vor Gericht, der online hochwertige Kaffeevollautomaten angeboten, aber nie geliefert hatte.
Der Staat hat sich lange schwer getan, angemessen auf die noch immer zunehmenden Verbrechen im Internet zu reagieren. Erst nach und nach entstehen Strukturen, um die Netz-Kriminalität wirksam einzudämmen. Bayern hat seit 2014 ein "Cybercrime-Kompetenzzentrum" beim Landeskriminalamt, seit März 2017 hat jede Kriminalpolizeiinspektion ein eigenes Kommissariat Cybercrime. Deren Partner im Kampf gegen Internetkriminalität sind die Staatsanwälte der "Zentralstelle Cybercrime" in Bamberg.
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Gerade an dem Fall mit den Kaffeemaschinen zeige sich, wie sinnvoll es sei, Internetdelikte zu bündeln, erklärt Oberstaatsanwalt Thomas Goger, der stellvertretende Leiter der Zentralstelle. Da alle Anzeigen nach Bamberg weitergeleitet wurden, fiel schnell auf, dass der Münchner Online-Händler, der sich nach Spanien abgesetzt hatte, mehrere falsche Shops eröffnet und Hunderte Kunden betrogen hatte. "Wegen einer Kaffeemaschine brauche ich kein Rechtshilfeersuchen ins Ausland zu stellen", sagt Goger. Am Ende ging es aber nicht um eine Handvoll Kaffeemaschinen, sondern um fast eine halbe Million Euro.
Als die Zentralstelle Cybercrime Anfang 2015 gegründet und bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg angesiedelt wurde, bestand sie aus zwei Staatsanwälten, die sich ein Büro teilten. Inzwischen zählt die Spezialeinheit 31 Mitarbeiter, davon sieben Staatsanwälte und zwei IT-Referenten. Seit November sind sie in großzügigen Räumen einer ehemaligen US-Kaserne untergebraucht. Die Zentralstelle bearbeitete im vergangenen Jahr 2000 Fälle - "Tendenz steigend", wie Goger sagt. Und die Behörde wird weiter wachsen: Zum 1. Oktober 2018 sollen weitere drei Staatsanwälte dazukommen.
2017 fassten die Strafverfolger einige Straftäter. Da war etwa der viel beachtete Fall eines 28-jährigen Mannes aus Südbayern, der seine Stieftochter sexuell missbraucht und Aufnahmen davon verbreitet hatte. Ermittler der Polizei stießen im Darknet, also dem schwer zugänglichen Teil des Internets, in dem sich Kriminelle gern herumtreiben, auf Bilder und Videos, die den Missbrauch der damals Achtjährigen zeigten, und fanden dabei auch Aufnahmen, auf denen der Täter selbst zu sehen war. Die Staatsanwaltschaft ließ Anfang 2017 öffentlich nach dem Mann fahnden, kurz darauf wurde er festgenommen. Im Oktober wurde der Mann vom Landgericht Traunstein zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Zusammenarbeit mit ausländischen Ermittlern
Mit Fake-Shops und Vorkasse-Betrügereien hat die Zentralstelle Cybercrime häufig zu tun. Auch für Urheberrechtsverstöße im großen Stil sind die Staatsanwälte zuständig. 2017 schlossen sie mehrere Plattformen, auf denen Programme von Bezahlsendern oder auch elektronische Bücher illegal verbreitet wurden. In solchen Fällen entrollen sie gerne ihr virtuelles Banner: "Diese Plattform und der kriminelle Inhalt wurden beschlagnahmt durch das Bayerische Landeskriminalamt im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg - Zentralstelle Cybercrime Bayern."
Dass die Bamberger Juristen mit Ermittlern im Ausland zusammenarbeiten, ist Alltag. "Einen rein nationalen Cybercrime-Fall gibt es eigentlich nicht", sagt Goger. Täter, Opfer, Server - irgendjemand befindet sich sicher nicht in Deutschland, geschweige denn in Bayern. Kontaktpflege ist deshalb wichtig, Oberstaatsanwalt Goger hat schon drei Monate bei Interpol in Singapur verbracht.
In den Büros der Zentralstelle erkennt man erst auf den zweiten Blick, dass es um Internet-Kriminalität geht. Die Staatsanwälte haben neben dem normalen Computer noch einen Laptop, der über ein rotes Kabel angeschlossen ist. Damit können sie im Internet recherchieren, ohne Angst, das Behördennetz zu gefährden. Auf den Schreibtischen liegen die üblichen Aktenstapel - allerdings extradicke.
Zahlreiche Fälle von Kinderpornografie
Da die Bamberger nur für Verbrechen von besonderer Bedeutung zuständig sind, umfasst ein einzelner Fall meist etliche Ordner Material. An die Juristen stellt das hohe Ansprüche: Sie können nicht mal schnell einen Ladendieb zwischendurch abfertigen, quasi zur Entspannung. Man darf sich nicht wundern, wenn ein Strafverfolger erzählt, dass er für Kinderpornografie zuständig ist und sich "zum Ausgleich" um große Fälle der Wirtschaftskriminalität kümmere.
Kinderpornografie macht etwa ein Drittel der Bamberger Fälle aus. Oft kommen Hinweise von seriösen Providern, das meiste läuft aber im Darknet ab. "Unglaublich, welche Massen an Bildern da getauscht werden", sagt Goger. Die Staatsanwälte müssen entscheiden, welche Ermittlungen Vorrang haben. "Priorität ist, die Opfer aus der Missbrauchssituation herauszuholen" - also Fälle zu übernehmen, in denen Kinder möglicherweise noch immer leiden.
Erst vor wenigen Tagen haben die Kriminalpolizei Miesbach und die Bamberger Zentralstelle gemeinsam zugeschlagen: Ein 27-jähriger Mann aus dem Landkreis Miesbach soll seine Tochter im Kleinkindalter schwer sexuell missbraucht und Aufnahmen davon hochgeladen haben. Er sitzt jetzt in Untersuchungshaft.