Zeitumstellung:Arzt kämpft gegen Sommerzeit: "Du bist der Verrückte!"

Kampf gegen Zeitumstellung - Hubertus Hilg

Schuld ist die Schule: Als Hubertus Hilgers 17 Jahre alt war, wurde die Zeitumstellung beschlossen.

(Foto: David Ebener/dpa)

Die Zeitumstellung ist seit 38 Jahren Realität. Nicht für Hubertus Hilgers. Er verweigert sich der Sommerzeit beharrlich. Weil sie ungesund ist und dumm macht, sagt er.

Interview von Olaf Przybilla, Erlangen

Der Erlanger Arzt Hubertus Hilgers hat 2013 eine Petition gegen die Zeitumstellung gestartet. Mehr als 67 000 Menschen unterzeichneten. Nachdem die EU derzeit Forderungen nach einer Abschaffung der Sommerzeitverordnung prüft, spürt der Mediziner jetzt Aufwind.

SZ: Sie weigern sich seit 38 Jahren standhaft, die Uhr auf die sogenannte Sommerzeit umzustellen. Funktioniert das?

Hubertus Hilgers: Logisch, ohne Probleme. Wissen Sie, ich war 17 Jahre alt, als 1980 die Uhren umgestellt wurden. Man könnte sagen: Ich habe das versäumt.

Im Ernst?

Ganz ehrlich, es war so: Ich hatte zu der Zeit einen Physiklehrer in der Oberstufe. Der hat uns gesagt, dass es keine Sommerzeit gibt. In Wahrheit wechseln wir einfach die Zeitzone: Wir leben im Sommer nach der Moskau-Zeit. Dementsprechend müssen alle eine Stunde früher antanzen.

Ein folgenreicher Unterricht offenbar.

Ich habe beschlossen, den Wecker nicht umzustellen. Ich war Fahrschüler zu der Zeit, musste mit dem Überlandbus in der Stadt. Wissen Sie, was das bedeutete im Sommer? Aufstehen um fünf Uhr.

Ja, das ist nicht komfortabel.

Ist es nicht, nein. Gerade als Heranwachsender brauchen Sie den Morgen zum Ausschlafen. Ich sag's Ihnen, wie es ist: Ich war in den Monaten mit der verstellten Zeit im Durchschnitt in jedem Fach um eine Notenstufe schlechter als mit der normalen Zeit.

Tatsächlich?

Für mich hat das ja bedeutet: Alles beginnt eine Stunde früher. In der DDR wollte der Zentralrat 1981 nach Protesten aus der Arbeiterschaft die Uhren wieder auf Normalzeit umstellen. Hab' ich mir gedacht: Wenn das dort so ist, wird das bei uns auch nur ein kurzes Experiment gewesen sein.

Sie ziehen das seither durch.

Ich hatte Physik-Leistungskurs. Mit meinen Noten ging's im Sommer bergab. Glauben Sie mir: Meinen Physiklehrer hat das richtig aufgeregt. Für den war klar: Um zwölf Uhr sollte die Sonne am höchsten Punkt sein. Und für mich hieß das: Warum soll ich so einen Quatsch mitmachen?

Wenn Sie Arzttermine ausmachen im Sommer. Gibt's da keine Probleme?

Ich gebe immer zwei Zeiten an. Also auch eine für denjenigen, der seine Zeit verrückt, eine Moskau-Zeit, eine Normalzeit. Bei mir im Buch notiere ich die Normalzeit, klar.

Interessant.

In meinem privaten Umfeld werden es immer mehr, die einfach die Normalzeit angeben für Verabredungen. In der Arztpraxis fangen wir im Sommer einfach eine Stunde später an als alle anderen. Das bedeutet: Wir fangen zu der Normalzeit an, zu der wir auch im Winter anfangen. Klappt gut.

Keine Missverständnisse?

Mitunter bekomme ich den Touch des Verrückten. Ich finde das lustig: Da verrückt jemand die Zeiger. Und dieser Verrückte sagt zum Normalen: Du bist der Verrückte! Ich finde das, verzeihen Sie, richtig verrückt.

Landen Sie auch in die Esoterik-Ecke?

Logisch, als Alternativmediziner kommt man da ohnehin rein. Ich lach' da nur noch drüber. Es gibt einen schönen alten Lehrsatz: Für jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen. Wer das für Esoterik hält - bitte.

Jetzt lachen Sie.

Es ist ja auch nur noch zum Lachen. Die Chronobiologen haben den Einfluss der inneren Uhr doch längst nachgewiesen. Es gilt der Satz: In einem biologischen System haben kleinste Veränderungen, mögen sie noch so trivial erscheinen, dramatische Auswirkungen. Und damit Sie merken, dass das nichts mit Esoterik zu tun hat: Menschen in der Frühschicht, in Krankenhäusern etwa, müssen de facto im Sommer um fünf Uhr früh anfangen. Und werden um eine Stunde Nachtzuschlag beschissen. Denn für den Körper ist das Nacht!

Für die Patienten womöglich auch.

Das ist ja das Unglaubliche daran. In meiner Zeit im Krankenhaus musste ich kranke und alte Menschen um kurz nach fünf Uhr aus der Tiefschlafphase reißen! Ich hab mir damals gedacht: Jetzt weiß ich auch, warum das hier Krankenhaus heißt.

Sie klingen bitter.

Verzeihen Sie: Es gibt eine Studie, die eindeutig belegt, dass in den ersten drei Tagen nach der Uhrzeitverstellung die Zahl der Herzinfarkte um 20 Prozent steigt. Auch die Zahl der Schlaganfälle steigt. Es haben immer wieder Ärzte auf die Probleme des frühen Rhythmus hingewiesen. Die Konsequenz aber ist: Es werden immer neue Studien gefordert. Als gäbe es nicht schon hinreichend Verdachtsmomente, die darauf hindeuten, dass diese Umstellung gesundheitsschädlich sein kann. Die Befürworter müssten doch jetzt mal beweisen, dass ihre Umstellung harmlos ist!

Die argumentieren, dass Licht am Abend gut gegen Depressionen ist.

Licht ist an sich eine gute Sache. Nur leider gibt es eine Studie, die belegt, dass in den sieben Monaten der Zeitverstellung die Zahl depressiver Erkrankungen um 25 Prozent ansteigt. Auch Migräne-Erkrankungen nehmen rapide zu. Die Dauer der Krankschreibungen steigt signifikant an. Dass chronischer Schlafmangel dumm macht, das ist auch längst erwiesen. Das Gute ist nur: Der Dumme merkt's nicht.

Werden Sie die Abschaffung der Zeitumstellung noch erleben?

Keine Ahnung. Ich weiß nur: Wer im natürlichen Rhythmus zu Bett geht und eine Stunde früher als normal raus muss, der ahnt, welche Bedeutung das Wort Morgengrauen hat. Und übrigens: Wer die Astrologie nicht versteht, ist kein Arzt, sondern ein Narr. Das ist von Hippokrates. Und auf den habe ich meinen Eid geschworen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: