Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:Warum es wichtig ist, Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen

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Jahrelang betrachtete man diese Würde mit dessen Tod als erloschen an. Für den Historiker Jürgen Zarusky ist das aber eine Frage der Identität.

Von Isabel Meixner, München

Mindelheim hat es erst getan, Bayreuth und Kulmbach schon vor längerer Zeit - und nun auch Tegernsee: Die Stadt hat, 71 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, Adolf Hitler und Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerschaft aberkannt. Zwei Stadträte seien zwar etwas verwundert gewesen, dass sie sich in ihrem Leben jemals mit Hitler beschäftigten müssen, sagt der Geschäftsleiter im Rathaus, Hans Staudacher, "aber eigentlich war das eine rein formelle Geschichte".

Rund 4000 Kommunen deutschlandweit hatten Nazi-Größen um Adolf Hitler und Steigbügelhaltern wie Hindenburg während der NS-Diktatur die Ehrenbürgerwürde verliehen. Doch erst in den vergangenen Jahren ist das überhaupt ein Thema geworden. Warum?

Jürgen Zarusky wundert das nicht. Der Historiker arbeitet am Institut für Zeitgeschichte in München, seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem der Nationalsozialismus, die europäische Erinnerungskultur und die Geschichtspolitik. "Ein Staat, in dem Zwangsarbeiter entschädigt werden und es noch Ehrenbürgerschaften für Adolf Hitler gibt - das passt nicht zusammen", sagt er.

Das Geschichtsbewusstsein habe sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm entwickelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Menschen sehr wohl gewusst, wie sich ihre Mitbürger unter den Nazis verhalten und positioniert hatten. Aber sie mussten sich arrangieren, einen Modus Vivendi finden - und so wurden Konflikte erst einmal umschifft. "Kommunikatives Schweigen" nannte der Philosoph Hermann Lübbe einmal dieses Phänomen.

Vor dem Hintergrund der Auschwitz-Prozesse und der Tatsache, dass unter den Menschen noch NS-Verbrecher lebten, seien Ehrenbürgerschaften für Adolf Hitler und andere auch erst einmal politisch weniger relevant gewesen, so Zarusky. Viele Gemeinden hätten die Würdigungen deshalb als etwas betrachtet, das sich mit der Zeit erledigt. "In Wirklichkeit erledigt sich so etwas nicht."

"Die Gemeinde positioniert sich damit"

Inzwischen sieht der Historiker die Gesellschaft an einer Schwelle angekommen. Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen, die NS-Vergangenheit wird von der Zeitgeschichte zur Geschichte. Und sie geht damit in das kulturelle Gedächtnis über, wird Teil der historischen Identität. "Da fragt man sich: In welcher Tradition steht man?"

Nazi-Größen und fragwürdigen Personen der Zeitgeschichte Ehrenbürgerschaften abzuerkennen, ist für Zarusky keine bloße Formalie. Zwar gelten diese mit dem Tod als erloschen, dennoch: "Die Gemeinde positioniert sich damit", betont der Historiker.

Einigen Kommunen sehen diese Symbolik offenbar nicht. Die oberbayerische Gemeinde Dietramszell etwa lehnte es vor zwei Jahren zunächst ab, Hitler und Hindenburg die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen, entschied erst nach langem Hin und Her anders. Man sah erst die Notwendigkeit nicht, sich mit der Frage zu beschäftigen. Als dann der internationale Aufschrei und hitzige Diskussionen kamen, reagierte man bayerisch-stur: Das ist unsere Sache, die geht keinen etwas an.

Doch das sei es nicht, findet Jürgen Zarusky: "Die Aberkennung ist eine Art Synchronisierung mit dem internationalen Bewusstheitsstandard." Die Umwelt nehme wahr, dass sich ein Ort zu Hitler positioniert.

Im nahegelegenen Bad Tölz entschied sich die Stadt für einen Kompromiss: Paul von Hindenburg wurde die Ehrenbürgerwürde zwar aberkannt, eine Straße blieb aber nach ihm benannt. Eine Infotafel soll über die Rolle des früheren Reichspräsidenten der Weimarer Republik aufklären, der als Wegbereiter Adolf Hitlers gilt. Zarusky hält das für einen "Holzweg".

Ein Mann, der die Reichstagsbrandverordnung unterschrieben hat, der tatkräftig mithalf, die Demokratie abzuschaffen, und der die Dolchstoßlegende mitverbreitet hat: "Für ein demokratisches Staatswesen ist das alles andere als eine Identifikationsfigur."

Der Historiker findet die formale Aberkennung noch aus einem anderen Grund wichtig. Bei vielen Menschen herrsche das Gefühl vor, dass mal Schluss sein müsse mit der Vergangenheitsbewältigung. Aus dieser Bequemlichkeit treten Stadt- und Gemeinderäte heraus, wenn sie sich in punkto Ehrenbürgerschaften positionieren müssen. Wenn dann einmal eine Neonazi-Demo im Ort angemeldet würde, werden sich diese Personen anders verhalten, glaubt Zarusky: "Denn dann ist man raus aus der Deckung."

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SZ vom 08.04.2016
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